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Dina Pomeranz klaubt einige Zettelchen aus dem Münzfach ihres Portemonnaies. Darauf stehen Vokabeln auf Suaheli, die sie sich einzuprägen versucht. Die ostafrikanische Sprache lernt die Ökonomin wegen ihres neuen Projekts, das sie unter anderem nach Tansania führt. Pomeranz möchte in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden Lösungen testen, wie ärmere Länder zu mehr Steuereinnahmen kommen können. Dasselbe wird sie in Kongo tun, wobei sie für diese Aufgabe sprachlich bereits gerüstet ist: Die dortige Amtssprache Französisch spricht die 46-Jährige, die unter anderem in Genf studiert hatte, fliessend.
Steuern seien das Fundament so gut wie aller Staaten, erklärt Pomeranz die Hintergründe des Projekts, für das sie im Februar vom Schweizer Nationalfonds einen SNSF Consolidator Grant in Höhe von 1,74 Millionen Franken erhalten hat. «Ausser einigen Ölproduzenten gibt es keine reichen Staaten mit tiefen Steuereinnahmen.» So nehmen Länder, in denen die Einkommen hoch sind, Steuern in der Höhe von 31 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts ein. Bei ärmeren Ländern sind es dagegen lediglich 12 Prozent. Als Folge müssen Entwicklungsländer Schulden machen oder sind von internationaler Hilfe abhängig, um dringend notwendige öffentliche Güter wie Schulen, Strassen, Sozialversicherungen oder das Gesundheitswesen zu finanzieren.
Anders gesagt: Damit arme Länder nicht arm bleiben, müssen sie mehr Steuern einnehmen können. Das Problem: Tun sie dies, laufen sie Gefahr, die Armut zu verschärfen und die Entwicklung der Wirtschaft – und damit auch des Wohlstands– zu behindern. Ein Teufelskreis, den Pomeranz und ihr Team durchbrechen wollen.
Anfang Juli startete das auf fünf Jahre befristete Forschungsprojekt, das Pomeranz mit einem internationalen Co-Autoren-Team aus Kongo, Norwegen, Tansania und den USA und mit Unterstützung eines Forschungsteams vor Ort führt – die Zusammenarbeit mit lokalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sei ihr ein Anliegen, sagt sie im Gespräch. Bereits einen Tag nach dem offiziellen Start des Projekts sass Pomeranz im Flugzeug in Richtung Daressalam. In der grössten Stadt Tansanias unterhielt sie sich mit Steuerbehörden, Forschenden, Gewerkschaften und Businessleuten.
Steuern erhöhen, ohne die Ärmsten zu belasten: Nur auf den ersten Blick ist das mit Hilfe progressiver Steuersätze einfach zu bewerkstelligen. Denn: In ärmeren Ländern ist die Wirtschaft häufiger informell, der Staat hat weniger Zugang zu Informationen und die Ressourcen der Steuerbehörden sind knapp. «Die Behörden wissen oft gar nicht, wer wie viel Geld hat», bringt Pomeranz das Hauptproblem auf den Punkt. Ein bekanntes Phänomen: Auch in der Schweiz und anderen westeuropäischen Ländern konnte der Staat früher nicht zwischen Arm und Reich unterscheiden.
Seit Jahren forscht Dina Pomeranz zur Frage, wie Staaten auf gerechte Art und Weise mehr Steuern einnehmen können – immer in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden. Ihre bisherige Forschung führte sie vor allem nach Südamerika – seit einem einjährigen Aufenthalt als Teenager in Costa Rica spricht sie fliessend Spanisch. In Chile und Ecuador stellte sich die Mehrwertsteuer als geeignete Möglichkeit heraus, um die Steuerhinterziehung zu bekämpfen. «Firmen brauchen Quittungen, um ihre Ausgaben von den Steuern abziehen zu können», erklärt Pomeranz. So entsteht eine Spur aller Verkaufstransaktionen, die Behörden nachverfolgen können. Und für Verkäufer wird es schwerer, Einkünfte vor dem Steueramt zu verbergen.
Ausser einigen Ölproduzenten gibt es keine reichen Staaten mit tiefen Steuereinnahmen.
Tansania und vor allem die Demokratische Republik Kongo sind allerdings weit ärmere Länder und damit nicht direkt vergleichbar, da deren Wirtschaften noch viel informeller organisiert sind – es gibt also weniger Quittungen, weniger schriftliche Arbeitsverträge. Indem sie nun in Ländern mit tiefen Einkommen forscht, betritt Pomeranz ein von der Ökonomie bislang vernachlässigtes Gebiet.
Denn in einer laufenden Studie konnte die UZH-Professorin nachweisen: Je ärmer ein Land ist, desto weniger volkswirtschaftliche Forschungsarbeiten werden dort im Durchschnitt gemacht. «Dabei ist die potenzielle Wirkung in solchen Ländern besonders gross», sagt sie. Forschung sollte ihrer Meinung nach nicht nur für reiche Inseln gemacht werden, sondern die Weltbevölkerung besser abbilden. Schliesslich würde die Mehrheit der Menschen weltweit in so genannten Entwicklungsländern leben. «Reiche Länder sind die Ausnahme.»
Im Nationalfonds-Projekt will Pomeranz mit ihrem Team zwei mögliche Wege aus dem Steuer-Teufelskreis testen. Den ersten nennt sie «besseres Targeting». Oder anders gesagt: herausfinden, wer wirklich bezahlen kann und wer nicht – um dann die Steuerinspektoren vermehrt dorthin zu schicken, wo es bessergestellte Steuerzahlende gibt. Der zweite Weg, von dem sich die Ökonomin einiges verspricht, ist ein verbessertes Timing beim Eintreiben der Steuern. In ärmeren Ländern fallen Ausgaben und Einkommen oft unregelmässig an. «Beispielsweise ist nach der Erntezeit ein besserer Zeitpunkt, um Steuern zu verlangen, als davor», sagt sie. «Ziel ist also, den optimalen Zeitpunkt vorauszusagen, um die Steuer einzufordern, so dass die effektiven Steuereinnahmen steigen und gleichzeitig die Belastung für die Ärmsten sinkt», so Pomeranz.
In den beiden Ländern sind die Voraussetzungen und entsprechend auch die Herangehensweisen der Forschenden sehr unterschiedlich. In Kongo will Pomeranz so viele Informationen wie möglich über potenzielle Steuerzahler zusammentragen («Big Data»). Mit Hilfe von Machine-Learning-Tools sollen daraufhin die verschiedenen Datenquellen kombiniert werden, um relativ wohlhabende Eigenheimbesitzer zu identifizieren und den optimalen Zeitpunkt für das Einfordern der Steuern vorauszusagen. Dabei sollen einerseits Informationen zu Zahltagen, Erntezeiten oder der Fälligkeit von Schulgebühren helfen. Auch bestehende Steuerdaten fliessen ein – bereits heute gibt es in Kongo eine Steuer auf Häuser. Andererseits sollen sogenannte City Chiefs befragt werden. Dabei handelt es sich um meist ältere, für eine Strasse oder ein Quartier verantwortliche Personen, die über mehr Informationen als der Staat darüber verfügen, wer wo angestellt ist, wann Geldüberweisungen aus dem Ausland eintreffen oder wer sich gerade in einer prekären finanziellen Lage befindet.In Tansania wiederum bietet sich eine andere Möglichkeit an, um die Wohlhabenden zur Kasse zu bitten. Viele bessergestellte Familien in der Region beschäftigen informelle Hausangestellte. Indem sie zusammenspannen, könnten Behörden und Gewerkschaften erreichen, dass mehr Arbeiterinnen angemeldet und damit die entsprechenden Sozialabgaben bezahlt werden. «Falls das funktioniert, kommt dies über Pensions- und Krankenkassen direkt den Angestellten zugute», so Pomeranz. Zudem soll auch in Tansania das Timing des Steuereintreibens verbessert werden. Dies, indem Firmen erlaubt werden soll, ihre Steuern zeitlich flexibler zu bezahlen.
Zwei Wochen verbrachte Pomeranz zum Start des Projekts in Tansania. Dass sie zuallererst die Sprache lernt, hinreist, diskutiert, überrascht zunächst. Schliesslich macht die Volkswirtschaftlerin quantitative Forschung, operiert den Grossteil ihrer Zeit mit Zahlen. «Es geht darum, überhaupt die richtigen Fragestellungen zu finden», sagt sie. Zumindest teilweise ohne Übersetzer zu sprechen, helfe, ihr Gegenüber «wirklich zu verstehen». Abgesehen davon diskutiere sie halt gerne, das sei ein Hobby, sagt Pomeranz und lacht. Auch auf Twitter ist die Ökonomin als geübte Debattiererin bekannt.
Was die vielen Gespräche in Daressalam für die Umsetzung des Forschungsprojekts gebracht haben, schildert Pomeranz an einem Beispiel: «Es kam heraus, dass es bereits eine Onlineplattform gibt, mit der Firmen ihre Steuern via Internet regeln können.» Eine solche Plattform würde sich ideal eignen, um zu testen, ob flexibleres Timing des Steuerzahlens die Steuermoral erhöhen kann. Allerdings wird das neue Tool nur wenig genutzt, weswegen die Forschenden nichts davon wussten. Nun wollen sie herausfinden, warum die Plattform kaum genutzt wird. Deshalb planen sie nun eine Telefonumfrage. Die Resultate der Umfrage werden die nächsten Schritte des Projekts stark beeinflussen.
Dieser Artikel ist im UZH Magazin 3/23 erschienen.