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1897 griffen britische Kolonialtruppen die Hauptstadt des Königreichs Benin im heutigen Nigeria an, plünderten den Königspalast und brannten ihn nieder. Dabei wurden mehrere tausend Objekte entwendet, die über Auktionshäuser und den Kunsthandel in private und öffentliche Sammlungen in der ganzen Welt gelangten. Auch in Schweizer Museen finden sich heute rund 100 sogenannte Benin-Bronzen, 18 davon im Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Ob sie aus der Plünderung stammen, wurde im Zuge der «Benin Initiative Schweiz» untersucht (siehe Kasten).
Alexis Malefakis: Der Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten beschäftigt uns am Völkerkundemuseum schon lange, und heute wird dieses Thema auch in der Öffentlichkeit viel diskutiert. Da wir an Schweizer Museen auch Objekte haben, die im Verdacht stehen, im Kolonialkrieg von 1897 geplündert worden zu sein, war es uns ein Anliegen, dass wir uns der Verantwortung stellen und die Forschung und den Dialog über dieses sensible Kulturerbe anstossen: untereinander und im Austausch mit Partner:innen in Nigeria.
Besonders prominent sind Gedenkköpfe und Reliefplatten, die in manchen Fällen aus Bronze, oft aber aus Messing und anderen Legierungen sind. Die meisten Gedenkköpfe stellen verstorbene Könige dar. Sie standen auf Altären, wo der amtierende König seinen Vorfahren huldigte – so entstand eine Art Ahnengalerie, die die Abstammungslinie des Königs aufzeigte und ihn in seinem Amt legitimierte. Diese Objekte haben also grosse spirituelle, aber auch politische Bedeutung. Auf Reliefplatten, die bestimmte Bereiche im Königshof ausgekleideten, wurden wichtige historische Ereignisse dokumentiert wie Kriege oder Staatsbesuche. Sie waren das Archiv und kulturelle Gedächtnis des Königshauses. Daneben gibt es auch Objekte aus Elfenbein, Holz und anderem Material, die im Zusammenhang mit dem sakralen Königtum Benins stehen.
Die sogenannten Benin-Bronzen sind als Objektgenre ein weites Feld, und es sind eben nicht nur Bronzeobjekte, um die es bei der Benin Initiative Schweiz geht. Noch dazu ist die Zuordnung zum Königreich Benin in manchen Fällen nicht eindeutig. Es gibt auch Gegenstände in den Museen, bei denen unklar ist, ob sie tatsächlich von dort stammen oder ob sie einfach in diesem Stil gefertigt wurden, zum Beispiel in angrenzenden Regionen des Königreichs. Auch ob sie vor dem Kolonialkrieg entstanden sind oder danach ist oft unklar.
Durchaus. Das historische Königreich Benin stand seit dem 15. Jahrhundert im Austausch mit dem globalen Norden, insbesondere mit den Portugiesen, mit denen es Metalle, Pfeffer und versklavte Menschen tauschte. Auch Objekte aus dem Besitz der Könige waren vereinzelt bereits vor dem Kolonialkrieg in Umlauf, wenn zum Beispiel ein König einem europäischen Handelspartner ein Gastgeschenk machte. Als nach 1897 in Europa ein florierender Markt für die sogenannten Benin-Bronzen entstand, kamen auch viele Fälschungen in Umlauf.
Die untersuchten Objekte wurden von den Forscher:innen in vier Kategorien eingeteilt: 1. Sicher geplünderte Objekte, 2. wahrscheinlich geplünderte Objekte, 3. Objekte, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie geplündert wurden, und 4. nicht geplünderte Objekte. Von den 18 Objekten am Völkerkundemuseum gehören 14 zu den wahrscheinlich geplünderten Objekten, die restlichen zu den nicht oder wahrscheinlich nicht geplünderten.
Nein, und damit müssen wir umgehen lernen. Die wahrscheinlich geplünderten Objekte am Völkerkundemuseum stammen aus der Sammlung von Han Coray, der in den 1920er-Jahren eine grosse Sammlung afrikanischer Kunst angelegt hat. Er hat seine Objekte auf dem europäischen Kunstmarkt gekauft, war aber selbst nie in Afrika. Wir konnten zwar die Herkunft einiger Objekte aus anderen europäischen Sammlungen nachverfolgen, doch oft verliert sich ihre Spur.
Provenienzforscher:innen können an den Objekten selbst einiges ablesen. In der Literatur werden anhand stilistischer Merkmale verschiedene Schaffensperioden unterschieden, und so lassen sich ungefähre Datierungen vornehmen. Die am Projekt beteiligte nigerianische Historikerin Enibokun Uzébu-Imarhiagbe hat sich zudem mit Forschenden vor Ort, aber auch mit Vertretern der Bronze-Giesser-Gilden ausgetauscht, um die Objekte einzuordnen. Bei sehr alten Objekten, die zudem grossen spirituellen Wert haben, ist es eher unwahrscheinlich, dass sie freiwillig hergegeben wurden.
Es belegt den gegenwärtigen Kulturwandel in der Museumswelt und in der Öffentlichkeit. In europäischen Afrika-Sammlungen gab es eine Phase, in der Objekte primär unter ästhetischen Gesichtspunkten verstanden und als Kunst gesammelt wurden. Die exakte Herkunft eines Objekts oder die Namen seiner Urheber:innen und Verwender:innen war dabei häufig nicht von Interesse, und wurden entsprechend nicht dokumentiert. Ausser recht allgemeinen regionalen und stilistischen Zuordnungen findet sich in den Dokumentationen einzelner Objekte oft wenig Information. Heute interessiert es uns aber, wer die Objekte hergestellt hat, weil wir es als unsere Verantwortung sehen, ihre Nachfahren über ihr bei uns bewahrtes Kulturgut zu informieren. Die Provenienzforschung ist da eigentlich nur der erste Schritt.
Die Benin-Initiative als Forschungsprojekt war zunächst einmal darauf beschränkt, Provenienzen zu klären und offenzulegen. Nach dem Blick in die Vergangenheit, müssen wir uns nun überlegen, welche Bedeutung die Sammlung in Gegenwart und Zukunft hat und welche Formen des Umgangs wir damit finden – Fragen, die wir nicht alleine, sondern im Dialog mit den Urhebergesellschaften beantworten wollen. Der Bericht liefert dafür eine ganz wesentliche Grundlage.
Insgesamt ist die Bereitschaft, Rückgabeforderungen zu entsprechen, heute eigentlich auf allen Seiten hoch. Aber: Da oft nicht ganz klar – weil nicht dokumentiert – ist, aus welchem Ort, aus welchem Dorf oder welcher Region die Objekte in den Sammlungen stammen, ist es nicht so einfach, Dinge unmittelbar zurückzugeben. Wir brauchen da die Expertise von Menschen aus den Urhebergesellschaften. Für uns ist es heute wichtig, die bei uns bewahrten Sammlungen an die Urhebergesellschaften zu deklarieren und dann mit ihnen gemeinsam zu entscheiden, was mit den Objekten idealerweise geschehen soll. In einem nächsten Schritt muss dann geklärt werden, wie die Rechtlage ist und ob eine eventuell gewünschte Restitution möglich ist.
Dass wir Europäer Kulturgüter in Museen ausstellen, bedeutet nicht, dass das anderenorts auch so sein muss. Indem wir Objekte in ein Museum stellen, entziehen wir sie letztlich dem Gebrauch. In den Urhebergesellschaften besteht ihre Bedeutung aber vielleicht gerade darin, dass man etwas mit ihnen macht, sie anfasst und einsetzt. Persönlich denke ich, wir Europäer:innen sollten anderen Gesellschaften nicht vorschreiben, wie sie mit ihrer Geschichte und ihren eigenen Kulturgütern umzugehen haben, das ist ihre Sache.
Derzeit machen wir der Öffentlichkeit in der Werkstattreihe «Fünf Fragen an die Sammlungen» nach und nach Sammlungen unterschiedlicher Sensibilität zugänglich. Wir haben beim Bundesamt für Kultur soeben erfolgreich ein Projekt beantragt, in dem es um Objekte aus China in Schweizer ethnologischen Sammlungen geht, die möglicherweise im Boxerkrieg 1900/1901 in Peking geplündert wurden. Unsere Direktorin Mareile Flitsch kuratiert zum Thema gemeinsam mit der chinesischen Gastkuratorin YU Filipiak eine Werkstatt-Ausstellung mit dem Titel «Plünderware?», die am 2. März eröffnet wird. Zudem besetzen wir gerade erstmals eine unbefristete Stelle für Provenienzforschung, die sich hauptamtlich mit dem Thema befassen wird.
Schon für ein einzelnes Objekt können die Nachforschungen sehr aufwändig sein. Wenn ein eher kleines Museum wie das Völkerkundemuseum der Universität Zürich gegen 50’000 Objekte besitzt, muss man priorisieren und realistisch einschätzen, was in absehbarer Zeit zu schaffen ist. Doch die Museen sind hoch motiviert, Fragen der Provenienz anzugehen. Da wird in den kommenden Jahren einiges geschehen und das ist gut so.