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Wolodimir Selenski virtuell an der UZH

«Wir machen weiter»

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski sprach gestern Abend auf Einladung des Europa Instituts an der Universität Zürich über den Krieg und seine Folgen, so etwa über die Auswirkung des Krieges auf die Kinder in der Ukraine.
Marita Fuchs

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Der Videoauftritt von Wolodimir Selenski. Viele Studierende nahmen vor Ort an der Live-Schaltung teil.


Als Präsident Wolodimir Selenski gestern um 17 Uhr zugeschaltet und sein Bild an der Wand des Hörsaals projiziert wurde, erhob sich das Publikum für Standing Ovations. Selenski – dieses Mal nicht wie sonst bei Auftritten in der Öffentlichkeit in olivgrüner Kleidung – sondern in einem schwarzen Hoody mit der Aufschrift I’m a Ukrainian, begrüsste gut gelaunt die Anwesenden. Zahlreiche Besucherinnen und Besucher, darunter auch viele ukrainische Studierende, hatten sich eingefunden, um Selenski zu erleben. Der ukrainische Botschafter Artem Rybchenko war ebenfalls anwesend. Markus Notter, Präsident des Europa Instituts (EIZ), und Andreas Kellerhals vom EIZ moderierten den Anlass.  

Zu Beginn der Veranstaltung gab es technische Probleme mit der Live-Stream-Übertragung, immer wieder fiel der Ton aus. Nach längerer Pause ohne Tonübertragung entschied Selenski aus Zeitgründen kurzerhand seinen Vortrag zum Thema «War in Europe & Global Security Architecture» nicht zu halten und stattdessen direkt die Fragen der Zuschauerinnen und Zuschauer zu beantworten. Scherzhaft bemerkte er: «Ich habe eine Rede von etwa sieben bis acht Minuten vorbereitet, aber so wird es Stunden dauern» – und erntete daraufhin viele Lacher.

Anschliessend beantwortete Selenski Fragen aus dem Publikum zu ganz unterschiedlichen Themen.

  • Auf die Frage, ob er Wünsche an die Schweiz hätte, sagte Selenski, dass er sich freuen würde, wenn die Schweiz konsequenter helfen würde, die russischen Vermögen zu blockieren. Er kritisierte die Schweizer Neutralität: Wenn es um Gut und Böse gehe, müsse man Stellung beziehen.
     
  • Eine persönliche Frage stellte der Zürcher Regierungsrat Mario Fehr, er wollte wissen, warum Selenski trotz des Krieges und des täglichen Drucks, unter dem er stehe, immer so optimistisch sei. Der gewiefte Kommunikator sagte, dass ihn vor allem der Kampf und das Engagement seiner Landsleute optimistisch stimme. Auch das Interesse an seinem Land – wie es sich an solchen Anlässen wie heute zeige – würden ihn motivieren. Ausserdem freue er sich, dass Europa vereint aufträte. Daraufhin gab es viel Applaus vom Publikum.
     
  • Ein Student fragte, warum junge Leute die Ukraine nicht verlassen dürften, um im Ausland studieren zu können. Selenski erläuterte, dass junge Männer bis 18 Jahren frei seien, das Land zu verlassen. Doch die Ukraine benötige die erwachsenen Männer, um das Land zu verteidigen, deshalb müssten sie bleiben.

 

Trotz aller widrigen Umstände verströmt der ukrainische Präsident Optimismus.


Gestohlene Kindheit

  • Wie wird die Situation der Ukraine nach dem Krieg aussehen? Auf diese Frage hin betonte der Präsident die enge Verbindung zur EU. Als Kandidat für einen möglichen EU-Beitritt habe man bereits einen ersten wichtigen Schritt gemacht. Aber ein Nato-Beitritt sei im Moment wohl eher schwierig.

  • Und wohin er in die Ferien gehe, wenn der Krieg vorbei sei, wollte jemand wissen. Selenski antwortete spontan: «I will go home.»

  • Andere Fragen betrafen das Verhältnis zu Russland, immerhin seien Russland und die Ukraine Nachbarländer. «Das wird von Russland abhängen», sagte er. Die Beziehungen seien jetzt grundlegend gestört. Es sei hart, zu vergeben, denn es hätten zu viele Gräueltaten stattgefunden. «Wir haben eine ganze Generation verloren. Eine ganze Generation hat Angehörige verloren.» Nach dem Krieg reiche nicht ein schlichtes Sorry, so Selenski. Russland müsse die Schuld anerkennen und werde für immer mit Schuldgefühlen leben müssen. Die Schuld treffe nicht ausschliesslich die russische Führung, sondern die gesamte russische Bevölkerung. «Sie hat ihre Regierung gewählt und hat monatelang weggeschaut.» Wenn Putin mit Nuklearwaffen drohe, komme es nicht zu Massenprotesten in Russland. Das weise auf ein tiefgreifendes Problem hin.

  • Auf die Frage nach dem Referendum, das Anfang dieser Woche in den besetzten ukrainischen Gebieten stattgefunden hat, antwortete der Präsident kurz und entschlossen: «Die Fake-Referenden ändern nichts. Wir machen weiter und unsere Antwort wird stark sein.»

  • Jemand aus dem Publikum fragte, wie Selenskis Kinder den Krieg erlebten. «Meine Tochter ist 18 Jahre alt und bereits erwachsen, mein Sohn ist neun Jahre alt», sagte er. «Dieser Krieg hat ihn verändert. Alle Eltern in der Ukraine erleben das. Das, was die Kinder gesehen haben, macht sie zu Erwachsenen. Russland hat unseren Kindern die Kindheit gestohlen.»

  • Am Ende wurde Selenski gefragt, was er mit der Schweiz verbinde. «Die Schweiz habe ich besonders schön in Erinnerung. Damals stand ich an einem See und dachte an die Ukraine, die ich so sehr liebe. Ich werde alles geben, damit wir wie ihr in der Schweiz leben können.»