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Geschichte

Digitales Kloster

Königsfelden war im Mittelalter Kloster und habsburgischer Königinnensitz zugleich. Die wechselvolle Geschichte des Klosters im Aargau lässt sich neuerdings mit Hilfe einer innovativen und frei zugänglichen Online-Edition erforschen, die UZH-Historikerinnen und Historiker erarbeitet haben.
Roger Nickl
1309 im Gedenken an einen ermordeten König gegründet: das Kloster Königsfelden in Windisch.

 

Am Anfang stand ein Mord. 1308 brachte Herzog Johann von Österreich seinen Onkel, den römisch-deutschen König Albrecht I. von Habsburg auf einem Feld in der Nähe von Windisch im heutigen Kanton Aargau um. Grund für die grauenvolle Tat waren Erbstreitigkeiten. Im Gedenken an den Verstorbenen liess dessen Witwe Elisabeth am Tatort das Kloster Königsfelden errichten. Die wechselvolle, 220-jährige Geschichte dieses Klosters spiegelt sich in Akten und Urkunden, die im Aargauer Staatsarchiv gelagert sind. Eine neue digitale Edition des Archivbestands, die Historikerinnen und Historiker der UZH in den letzten vier Jahren erarbeitet haben, ermöglicht nun ganz neue Zugänge zu diesen historischen Quellen und eröffnet neue Forschungsperspektiven.

Die Königin der Schweiz

Prägend für die Geschichte und die Geschicke des Klosters, in dem Schwestern des Klarissen-Ordens und Franziskanermönche getrennt voneinander lebten, arbeiteten und beteten, war Königin Agnes von Ungarn (1281-1364). Die Tochter von Elisabeth und Albrecht machte nach dem frühen Tod ihres Gatten, König Andreas von Ungarn, Königsfelden zu ihrer Residenz. «Agnes war im Spätmittelalter so etwas wie die Königin der Schweiz», sagt Historiker Simon Teuscher, der das Editionsprojekt mit Colette Halter und Tobias Hodel, der mittlerweile Professor für Digital Humanities an der Uni Bern ist, leitet.

Agnes hielt in Königsfelden Hof und schlichtete von dort aus viele Konflikte. Aber nicht nur das: Neben der Äbtissin war sie auch eine Art Klostermanagerin, die ihren Einfluss zuweilen bis zur Gestaltung von Menü- und Diätplänen geltend machte. So legte sie etwa fest, dass kranke Schwestern ein Anrecht auf eine Extra-Portion Reis haben – damals ein exotisches Produkt. Süss zubereitet sollte der Reis den Kranken helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Solche Anordnungen befinden sich im Archiv und geben spannende Einblicke in das Leben vor fast 700 Jahren.

Rund 1200 Dokumente haben die Historikerinnen und Historiker der UZH digitalisiert. Die ersten Schriftstücke stammen aus der Zeit der Klostergründung Anfang des 14. Jahrhunderts. Meist betreffen sie Güterkäufe des noch jungen Klosters und Schenkungen der Habsburger-Familie, mit Hilfe derer Agnes das Kloster zum Blühen brachte. Die letzten aufbewahrten Stücke sind Briefe von Schwestern, die zum Protestantismus konvertierten und deshalb aus dem Kloster austreten wollten. «Viele Schwestern haben danach Reformatoren geheiratet», sagt Historiker Teuscher. 1529 wurde das Kloster dann ganz aufgehoben.

Innovatives Kernstück: Mit Hilfe eines interaktiven Tools lassen sich die «Biografien» einzelner Dokumente in verschiedenen Archivordnungen nachverfolgen.

In der Online-Edition des Archivbestandes sind nun alle Urkunden, Akten und Briefe aus dieser Zeit als hochaufgelöste Faksimiles abrufbar. Die Texte wurden zudem transkribiert und mit Metadaten angereichert. Orte, die in den Dokumenten genannt werden, sind mit einer interaktiven Landkarte und Personen mit dem historischen Lexikon der Schweiz verknüpft. «Anders als in einem Buch können die Dokumente in der digitalen Edition nach verschiedenen Kriterien geordnet und durchsucht werden», sagt Simon Teuscher, «so lässt sich die schiere Informationsmenge nun viel besser verwalten und analysieren.»

Unsichtbare Frauen

Innovatives Kernstück der Edition ist ein interaktives Tool, mit dem sich die «Biografien» einzelner Dokumente nachverfolgen lässt. Denn die Schwestern, Mönche und Verwalter haben die Urkunden im Lauf der Zeit vermutlich 13 Mal ganz neu gruppiert, sortiert und gebündelt. «Je nachdem wie ein Dokument neu eingeordnet wurde, lässt sich daraus schliessen, welche Bedeutung es für die damaligen Akteure hatte», sagt Simon Teuscher, «deshalb ist wichtig zu sehen, in welchen Kontexten die Schriftstücke stehen – welche Dokumente ihnen in der Archivordnung voraus gehen und welche ihnen folgen.» Denn mit der Umordnung von Akten wird auch die Erinnerung neu strukturiert.

Geschehen ist dies etwa, nachdem Bern 1415 den Aargau eroberte. Unter bernischer Herrschaft wurde das Königsfelder Archiv erneut restrukturiert. Dokumente wurden in so genannte Kopialbücher abgeschrieben und so in neue Reihenfolge gebracht. Dies bieb nicht ohne Folgen für die Erinnerungskultur: Denn der bernische Staat verstand sich als legitimer Nachfolger der Habsburger. «Die Kopialbücher des 16. Jahrhunderts inszenierten diese Nachfolge nun als männlich geprägte Dynastie von den früheren Herrschern im Aargau, den Habsburgern, bis zu den bernischen Würdenträgern», sagt Historiker Teuscher, «Frauen, die damals politisch sehr einflussreich waren, wurden dagegen unsichtbar gemacht.» Mit der digitalen Edition lassen sich nun auch frühere Erinnerungsordnungen rekonstruieren. Dies eröffnet neue Perspektiven für die Wissenschaft – etwa für die historische Gender-Forschung.

Dynamische Erinnerung

Die Online-Plattform kann von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern frei genutzt werden. «Unsere digitale Bestandesedition setzt international neue Standards für die Forschung», ist Simon Teuscher überzeugt. Auch er selbst wird künftig damit arbeiten, um – wie er sagt – die Dynamik von Erinnerungsordnungen weiter zu untersuchen. Interessant könnten die digital aufbereiteten Dokumente aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit nicht nur für Historikerinnen und Historiker, sondern auch für Linguistinnen und Linguisten sein. Aber auch ein breiteres Publikum wird von der neuen Edition profitieren können: So will das Museum Aargau das innovative Online-Archiv künftig für Ausstellungen nutzen

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