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Kommunikation und Medien

Immer schriller, immer schroffer

Wie gelingt es der Wissenschaft, sich in einer zunehmend unübersichtlichen und kurzlebigen digitalen Medienlandschaft Gehör zu verschaffen? Mit dieser Frage und vielen weiteren befasste sich eine grosse internationale Tagung für Kommunikationswissenschaft.
David Werner
Digitaler Wandel: Befeuert von Klicks und Likes wird der Ton in öffentlichen Debatten impulsiver und emotionaler. (Bild: IStock)

 

Die Dreiländertagung «DACH 21» für Medien- und Kommunikationswissenschaft fand dieses Jahr zum ersten Mal statt. Ihre Ausstrahlung reichte weit über die Grenzen der Schweiz, Deutschlands und Österreichs hinaus. Rund 550 Forschende nahmen an der virtuellen Konferenz teil, die von der UZH aus durchgeführt wurde. Das thematische Spektrum war so breitgefächert wie die Kommunikationswissenschaft selbst.

«Vor zwanzig Jahren beschäftige sich unsere Disziplin noch überwiegend mit politischer Kommunikation und Journalismusforschung», sagt Mark Eisenegger, Mitorganisator der Konferenz und Leiter der Abteilung Öffentlichkeit und Gesellschaft am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) der UZH. Seither hat sich das Themenfeld enorm verbreitert, und die Disziplin hat sich in viele Teilgebiete wie beispielsweise Medien- und Plattformgovernance, Mediensozialisation, Wissenschaftskommunikation, Organisationskommunikation, Medienpsychologie oder Medienökonomie ausdifferenziert. Untersucht wird heute nicht mehr nur die Kommunikation zwischen Menschen, sondern auch solche, die von Robotern ausgeht.

Von der Epidemiologie lernen

Die Dynamik der Kommunikationswissenschaft hat viel mit der Digitalisierung zu tun, die heute praktisch alle Lebensbereiche durchdringt. Öffentlichkeit und Privatsphäre sind immer schwieriger zu trennen – selbst beim Gebrauch von Haushaltsgeräten hinterlassen wir mittlerweile digitale Spuren im Netz, wenn wir sie beispielsweise über den Sprachassistenten Alexa steuern.

Der Wandel der Kommunikation in der digtalen Gesellschaft war denn auch das grosse Thema der DACH 21-Konferenz. Wie herausfordernd dieser Wandel für die Kommunikationswissenschaft ist, machte Dietram Scheufele von der University of Wisconsin-Madison in seinem Einführungsvortrag deutlich. Er empfahl seinen Fachkolleginnen und -kollegen, sich noch stärker als bisher für die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen zu öffnen. Als vielversprechendes Beispiel nannte er den Brückenschlag zur Epidemiologie: Wer herausfinden wolle, wie sich Informationen verbreiten, könne methodisch von der Netzwerkanalyse lernen, mit der die Epidemiologie die Ausbreitung von Viren berechnet, sagte Scheufele.

Zerklüftete Öffentlichkeit

Der digitale Wandel hat dazu geführt, dass von einer homogenen öffentlichen Sphäre heute weniger denn je die Rede sein kann. Sie zerfällt zusehends in eine Vielzahl von Teilöffentlichkeiten. Zwar relativiert die Forschung die Wirkung solcher «Bubbles», da sich Nutzerinnen und Nutzer von Social-Media-Plattformen häufig nicht nur in einem Dialogforum, sondern in mehreren bewegen und daneben auch nach wie vor die herkömmlichen, auf ein breites Publikum ausgerichteten Massenmedien zur Kenntnis nehmen. Das ändert aber nichts am grundsätzlichen Befund, dass die Digitalisierung die Zerklüftung des öffentlichen Raums begünstigt. 

Für die demokratische Meinungsbildung bleibt das nicht folgenlos. Neben Vorteilen – die Teilnahme an politischen Debatten ist unkomplizierter geworden – kamen an der Konferenz auch die Risiken der digitalisierten Gesellschaft zur Sprache, so zum Beispiel der Trend zu einer immer impulsiveren und emotionaleren Kommunikation. Befeuert von schnellen Klicks, flüchtigen Tweets und leichtfertig vergebenen Likes wird der Ton in den öffentlichen Diskussionen schroffer und schriller. Populistische Positionen werden mit grosser Resonanz belohnt. «Die Nase vorn haben Akteure, die angriffig sind und auf den Mann beziehungsweise die Frau spielen», sagt Eisenegger. 

Wissenschaft erklären

Wie gelingt es der Wissenschaft, sich unter den Bedingungen einer lauter und unübersichtlicher werdenden Medienlandschaft Gehör zu verschaffen? Diese Frage wurde im Rahmen einer Preconference am Beispiel der Covid-19-Krise diskutiert. In Krisenzeiten zeige sich die gesellschaftliche Relevanz der Wissenschaft besonders deutlich, weil dann der Orientierungsbedarf steige, erklärte die Karlsruher Soziologin und Kulturwissenschaftlerin Caroline Robertson-von Trotha auf dem Podium.

Die Diskussionsrunde war sich einig, dass es zu den zentralen Aufgaben der Wissenschaft gehöre, ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit zu vermitteln. Im Hinblick auf die Bedingungen für diese Vermittlungsarbeit wurden einige kritische Punkte angeführt. Caroline Robertson-von Trotha bemängelte zum Beispiel, dass das Wissenschaftssystem den Forschenden zu wenig strukturelle Anreize dafür biete, Erkenntnisse einem breiteren Publikum zu erklären. Für die innerwissenschaftliche Reputation zählten Veröffentlichungen in internationalen Fachpublikationen. Im Vergleich dazu würden die Bemühungen um eine öffentliche Wissenschaft bisher zu wenig honoriert.

Matthias Egger, Professor für Epidemiologie an der Universität Bern und Präsident des Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds, richtete sein kritisches Augenmerk auf die Politik. Mit Blick auf seine Erfahrungen als ehemaliger Chef der Covid-19-Taskforce des Bundesrates forderte er die Politik auf, der Wissenschaft mehr Gehör schenken.

Der Wissenschaftsjournalist Beat Glogger wiederum hob auf dem Podium die Bedeutung des Wissenschaftsjournalismus als Vermittlungsinstanz zwischen Wissenschaft und Gesellschaft hervor. Er machte zudem den Vorschlag, massenhaft maschinell produzierter Falschinformation mit künstlicher Intelligenz entgegenzutreten – also Bots mit Bots zu bekämpfen.

Gute Noten für Corona-Berichterstattung

Gute Noten erhielt auf dem Podium die Berichterstattung der Schweizer Medien zur Covid-19-Pandemie. Deren Qualität sei gesamthaft gesehen gut, sagte Linards Udris vom Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der UZH. Er nahm dabei Bezug auf die Daten des «Jahrbuchs Qualität der Medien». Als kritischen Punkt führte er an, dass sich die Berichterstattung zur Pandemie sehr stark auf die Aussagen einiger weniger wissenschaftlicher Experten (und noch weniger Expertinnen) verlasse und sich dabei in eine einseitige Abhängigkeit begebe. Als Ursache für diese Entwicklung nannte Udris den Umstand, dass die Medien viele Stellen im Wissenschaftsjournalismus eingespart hätten.