Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Rassismus

Stimmzettel für die Zivilgesellschaft

Soziologieprofessorin Katja Rost, Präsidentin der Gleichstellungskommission, äussert sich im Interview mit UZH News über die aktuelle Rassismus-Debatte und die Rolle der Universitäten in dieser Zeit.
Marita Fuchs

Kategorien

Nach dem Tod von George Floyd demonstrieren viele Menschen gegen Rassismus.

 

Frau Rost, das Video des sterbenden George Floyd hat viele Menschen mobilisiert – auch in der Schweiz demonstrierten am Wochenende Tausende gegen Rassismus. Warum kam es gerade jetzt weltweit zu Protesten?

Katja Rost: Das hat sich schon im Vorfeld abgezeichnet. In den USA ist Rassismus gegen schwarze Menschen Alltag, in besonders krasser Form zeigte sich das in der Corona-Pandemie. Die Sterberate an Covid19 war bei den Schwarzen um ein Vielfaches höher, weil sie sich aufgrund ihrer Lebenssituation nicht so gut schützen konnten wie die weisse Bevölkerung.

Die Benachteiligung zieht sich jedoch durch alle Bereiche der US-amerikanischen Gesellschaft, in der Bildung, im Gesundheitswesen, in der Arbeitswelt. Viele Schwarze stecken in einer Armutsspirale, leben in Quartieren mit hoher Kriminalität und wenn man so aufwächst, kann von Chancengleichheit keine Rede sein. Hinzu kommt: Die soziale Ungleichheit in den USA hat in den letzten Jahren extrem zugenommen. Das Video von George Floyd zeigte die Gewalt, die schwarze Menschen zusätzlich erfahren. Floyds Tod löste so weltweit eine Diskussion über Polizeigewalt in den USA und Rassismus aus.

Welche Rolle spielten die sozialen Medien bei der Mobilisierung so vieler Menschen?

Das mehr als achtminütige Video des sterbenden George Floyd, das Knie eines weissen Polizisten im Nacken, ging in den sozialen Medien wie ein Lauffeuer um die Welt. Es bekam eine Schlüsselbedeutung und wurde zum Symbol für Ungerechtigkeit in der Gesellschaft. Neu ist, dass die folgenden Proteste massenmedial vermittelt wurden. Schnell ist auf Twitter ein Like gesetzt, das kostet nicht viel und ist nicht mit Sanktionen verbunden. Man muss auch wissen, dass der marginale Teil der Bewegung auf die Strasse gegangen ist, der grösste Teil fand in den sozialen und traditionellen Medien statt. Fazit: Die breite Zivilgesellschaft bekommt durch die Proteste einen Stimmzettel. Die Politik wird zu Handlungen bewegt.

Gibt es einen Zusammenhang zu anderen Bewegungen, wie zum Beispiel die Fridays for Future?

Ja, ich sehe da einen Zusammenhang. Die Black-Lives-Matter-Proteste, die Fridays for Future-Bewegung, der Frauenstreik, sie haben Analogien und sie sind in ihrer Wirksamkeit vergleichbar mit der #Metoo-Debatte. Diese zivilgesellschaftlichen Initiativen haben heute eine grosse Macht, sie gestalten Politik mit. Thematisch geht es um gelebte Diversität, es geht aber auch um Chancengleichheit. Ungleichheit ist vor allem bei den Jungen in unserer Gesellschaft ein wesentliches Thema.

Wenn Sie von den Jungen sprechen, welche Generation meinen Sie?

Hier in der Schweiz ist es die Generation, die in grosser sozialer Sicherheit aufgewachsen ist. Für sie ist Chancengleichheit und Gerechtigkeit ein wichtiges Leitmotiv. Das merke ich auch an der UZH, bei meinen Studierenden.

Was kann die Wissenschaft zur Debatte über Rassismus beitragen?

Forschung zu Rassismus ist wichtig und notwendig. Sie hat eine ganz lange Tradition in der Soziologie, aber auch in den Kulturwissenschaften oder anderen Fachgebieten. Die Mechanismen, wie Rassismus zustande kommt, sind gut erforscht. Gründe für den Rassismus sind Kategorisierungsprozesse und Stereotypisierungen.

Es ist aber auch belegt, dass nicht alles Diskriminierung ist. Ein Beispiel: Die Kriminalitätsraten in bestimmten Gegenden der USA sind hoch und dort ist es auch gefährlich. Hier kommt es zu einem unglücklichen Zusammenwirken verschiedener Kreisläufe. Sprich, wenn man in ein armes und kriminelles Quartier hineingeboren wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man selber kriminell wird recht hoch. Ein grosses Problem – auch bei uns – ist die mangelnde Durchmischung der gesellschaftlichen Schichten, dadurch entsteht Ungleichheit. Auch zu diesem Thema gibt es aussagekräftige Forschung, die weit über das hinausgeht, was wir gerade in dieser moralisch aufgeladenen Diskussion erleben. 

Was tut die UZH gegen Rassismus?

An Universitäten kommt Diskriminierung weitaus weniger vor als in anderen Teilen der Bevölkerung. Doch muss man achtsam sein: Besonders Alltagsrassismus führt zu Diskriminierung, denn er wird oft subtil vorgebracht und ist schwer verfolgbar.

Mit der Diversity Policy der UZH haben wir aber ein Instrument, auf das wir uns abstützen können und das wirksam ist. Mit dieser Policy hat die UZH gelebte Vielfalt und Chancengleichheit zur Chefsache gemacht. Wir zeigen ganz deutlich, dass Diskriminierung, sexuelle Belästigung oder Mobbing an der UZH nicht akzeptiert wird.

Dass eine Policy wirksam ist, bestätigt die Organisationforschung. Um wichtige Veränderungsprozesse anzustossen, sind Regeln, und zwar möglichst allgemeingültige Regeln notwendig. Sie kennen vielleicht den Begriff der Benediktinerregel, das ist ein Klosterregularium. Aufgrund dieser Regeln sind die Benediktiner eine der ältesten Organisationen, die bis heute überlebten. Im Umsetzungsplan zur Diversity Policy hat die UZH zentrale Massnahmen gegen Diskriminierung erarbeitet. Sehr hilfreich für diese Koordination und Umsetzung ist auch, dass das Querschnittsthema Diversität direkt bei Gabriele Siegert angesiedelt ist.

Müsste man noch mehr tun?

Obwohl an der UZH Diversität gelebt wird – viele Dozierende und Studierende kommen aus aller Welt, aus ganz verschiedenen Kulturen und mit ganz unterschiedlichen Hintergründen – gibt es doch einen Punkt, der selten erwähnt wird. Es sind die unterschiedlich verteilten Bildungschancen. Viele Studierende kommen aus gut gebildeten, wohlhabenden Elternhäusern, und bei den Doktorierenden oder in der Professorenschaft kommt kaum jemand aus der unteren Mittelschicht. Das ist aber ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Was kann jeder Einzelne tun, um rassistisches und vorurteilsbezogenes Denken zu unterbinden?

Zunächst einmal: Vorurteile und Stereotype sind überlebenswichtig, ohne sie wären wir in unserem Alltag gnadenlos überfordert. Vorurteile kommen aber nicht aus dem Nichts. Es ist wichtig, verinnerlichte Denkmuster zu überdenken. Dazu gehört auch die Frage, in welchen sozialen Bubbles man sich bewegt und vor welchen Meinungen man sich abschottet. Wir wissen ja, dass diese Filterblasen durch soziale Medien eher zu- und nicht abgenommen haben. Auch Forschende stecken manchmal in solchen Bubbles fest. An den Hochschulen ist es wichtig, den konstruktiver Diskurs ohne Kategorisierung zu suchen. Das bedeutet eben auch unbequeme Gegenmeinungen zuzulassen und nicht in dasselbe intolerante Muster, wie die Angreifer zu verfallen.