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KI und der ideale Markt

Wie Märkte klüger werden

Informatiker Sven Seuken designt komplexe elektronische Märkte mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz. Im Idealfall profitieren Anbieter und Kunden gleichermassen davon.
Michael T. Ganz
Sven Seuken
«Der Algorithmus lernt, welche Kombinationen bei einer Adoption im Lauf der Zeit Schwierigkeiten und Krisen auslösen und welche eher nicht.», sagt Sven Seuken, Professor für Computation und Economics.

 

Marktdesign ist der Beruf der Stunde. Marktdesigner geben modernen Märkten wie Amazon, Ebay oder Spotify, aber auch Organspendevermittlungs- oder Datingplattformen die passende Form. Und schrauben so lange daran herum, bis sie optimal funktionieren. Die Idee dahinter ist nicht neu. «Jeder Markt ist ‹designed›, selbst der Wochenmarkt auf dem Dorfplatz», sagt Sven Seuken. Am Institut für Informatik lehrt er Informatik und Ökonomie mit besonderem Augenmerk auf elektronische Märkte.

Win-win-Situaiton 

In elektronischen Märkten hat ein Marktdesi­gner mehr zu tun als im konventionellen Handel. Es gilt, viele Hebel zu bedienen. Fixpreis? Auktion? Mindestangebot? Auktionsdauer? «Der Marktdesigner kann die Hebel so stellen, wie er möchte», sagt Seuken. «Er entscheidet damit, wer am meisten vom Markt profitiert.» Im Idealfall ist es sowohl der Anbieter als auch der Kunde. Das, sagt Seuken, sei die hohe Kunst des Marktdesigns: zu antizipieren, wie Marktteilnehmer auf ein Design reagieren, damit der Nutzen für alle Beteiligten möglichst hoch ausfällt.

Die optimale Adoptivfamilie

Bei Märkten wie Ebay ist das noch relativ einfach; hier wechseln leicht zu beschreibende Objekte die Hand. Mehr und mehr greift die Digitalisierung aber auch auf komplexe Märkte über. So erforscht Sven Seuken zurzeit beispielsweise, wie sich eine Adop­tionsvermittlungsplattform so verbessern lässt, dass jedes Kind die optimale Adoptivfamilie findet. Ein heikler «Markt», denn hier geht es um Menschen, mithin um Emotionen und psychische Verletzlichkeit. Und genau bei dieser Aufgabe soll nun KI helfen.

Genauigkeit und Effizienz

Warum? Seuken macht ein Beispiel: Um herauszufinden, welche Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu welchen künftigen Eltern passen könnten, werden jedem Kind zunächst 75 Eigenschaften zugeschrieben – Alter, Herkunft, Charakter, mögliche Allergien und anderes mehr. Daraus ergibt sich eine gigantische 22-stellige Zahl möglicher Kombina­tionen. Auf der anderen Seite stehen die künftigen Eltern mit ihren Wünschen und Präferenzen, die sich ihrerseits zigfach kombinieren lassen. Ein Fragebogen geriete viel zu lang und könnte dennoch niemals alle Kombinationen erfassen. Ein Algorithmus hingegen kann genau diese Probleme lösen – vor allem einer, der durch Erfahrung klüger wird.

Iteration und Lernfähigkeit

«Unser Ziel ist es, mit wenigen, aber gezielten Fragen möglichst gute Voraussagen zu machen», erklärt Sven Seuken. Statt hundert Fragen beantworten aufnahmewillige Eltern nur deren zehn, die jedoch genau auf sie zugeschnitten sind. Aufgrund der Antworten sucht der Algorithmus die passende Eltern-Kind-Kombination. Ist er nicht sicher, fragt er zurück. Nach zwei oder drei Rückfragerunden müssten – um im Marktjargon zu bleiben – Anforderungs- und Angebotsprofil übereinstimmen. Vorteil dieses iterativen Vorgehens: Der Algorithmus lernt dazu und arbeitet je länger, je genauer. Man nennt das «Machine Learning» oder maschinelles Lernen.
«Der Algorithmus lernt ausserdem, welche Kombinationen bei einer Adoption im Lauf der Zeit Schwierigkeiten und Krisen auslösen und welche eher nicht», erklärt Sven Seuken. Vielleicht sind entgegen allen Erwartungen Sprachprobleme plötzlich gravierender als die Tatsache, dass ein Kind im Rollstuhl sitzt und intensive Pflege braucht. Der Algorithmus wird sich solche Dinge für künftige Vermittlungen merken. Erfolgreiche Plattformen zur Adoptionsvermittlung gibt es schon einige im Internet. Als sinnvolles und erfolgreiches Beispiel betrachtet Seuken etwa die Website adoptpakids.org des US-Staats Pennsylvania. 

Klügere Fragen dank KI

Erfolg hin oder her: Seuken ist sich der Risiken bewusst, die mit dem Einsatz von KI bei Adoptionen einhergehen. «Ein schlechter Algorithmus führt zu schlechteren Ergebnissen als manuelle Zuordnungsmethoden – also zu unglücklichen Kindern und frustrierten Eltern.» Dennoch ist der Informatiker überzeugt, dass KI gerade bei komplexen Aufgaben dieser Art die menschliche Hirnleistung bei weitem überflügelt: «Mit Hilfe von KI kann der Marktdesigner die klügeren Fragen stellen und die besseren Antworten erhalten. So schlägt der Algorithmus vielversprechende Eltern-Kind-Kombinationen vor, was am Ende die Anzahl erfolgreicher Adoptionen erhöht.»

Bündel statt Einzelprodukte

Schon heute verwenden Börsen- und Rohstoffhändler KI, um ihre Geschäfte zu optimieren. Doch das, sagt Sven Seuken, finde er nicht so interessant. Die Chancen der selbstlernenden KI als Werkzeug des Marktdesigners liegen seiner Meinung nach vor allem in komplexen Märkten, die Kunden «Bündel» anbieten – also nicht Einzelprodukte, sondern Produktpakete. Dazu gehört etwa die aufwändige Verteilung von Mobilfunkfrequenzen an die grossen Kommunikationsanbieter, bei der Seukens iterative Befragungsmethode besser abschneidet als herkömmliche Auktionen.

Smarte Semesterplanung

Sven Seukens nächste Herausforderung: die Zuweisung von Seminaren und Vorlesungen an Business Schools. Jedes Semester müssen die Studierenden eine feste Zahl von Veranstaltungen buchen. Doch die Plätze pro Veranstaltung sind beschränkt. Hier, meint Seuken, würden iterative Algorithmen gute Dienste leisten: Sie könnten die Studierenden mehrmals befragen, bis die optimale Kombination von präferierten, gleichzeitig aber auch verfügbaren Seminaren und Vorlesungen gefunden ist.