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Integrative Humanphysiologie

Gluten – schädlich oder nicht?

Viele Menschen fühlen sich wohler, wenn sie sich von glutenfreien Produkten ernähren. Doch ist Gluten wirklich ungesund? Der Gastroenterologe Stephan Vavricka erklärte in einem Referat an der UZH, wer auf gewisse Lebensmittel verzichten sollte und wer die Glutenfrei-Welle ignorieren kann.
Sabina Huber-Reggi
Getreide
Viele Getreidearten wie etwa Weizen, Gerste oder Roggen enthalten Gluten. Die meisten Menschen können das Klebeeiweiss problemlos verdauen. (Bild: Wikimedia)

 

Gluten, das Klebereiweiss, das im Korn einiger Getreide vorkommt (siehe Kasten), steht in der Kritik. Gluten sei ein Dickmacher und mitverantwortlich für moderne Krankheiten wie Diabetes, hört und liest man immer wieder. Spätestens seit auch Weltstars wie der Tennisspieler Novak Djokovic von glutenfreier Diät schwärmen, verzichten viele Menschen auf glutenhaltige Nahrungsmittel, weil sie denken, dies sei gesund. «Doch solche Pauschalaussagen stimmen nicht», sagte Stephan Vavricka in einem Referat, das im Rahmen der Veranstaltungsreihe Wissen-schaf(f)t Wissen des Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie stattfand. Professor Stephan Vavricka ist Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie und Konsiliararzt am Universitätsspital Zürich.

«Glutenfrei bedeutet keineswegs gesünder», fügte Vavricka an. Denn bei einer glutenfreien Ernährung läuft man Gefahr, mehr Zucker und Fett und weniger Ballaststoffe zu sich zu nehmen. Zudem führen glutenfreie Lebensmittel zu einer schnelleren Aufnahme von Glukose, weil sie typischerweise weniger faserhaltig sind. Glutenfreie Produkte sind nicht nur nicht gesünder, sondern häufig auch teurer. «Es muss uns ganz klar bewusst sein, dass hinter der Glutenfrei-Welle eine riesige Industrie steckt, die uns ihre teuren glutenfreien Spezialprodukte verkaufen will», fügte Vavricka hinzu.

Immer mehr Personen betroffen

Was aber stimmt: Gluten verursacht tatsächlich bei immer mehr Personen mehr oder weniger starke Beschwerden. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Einerseits hat sich in den letzten 50 Jahren der Getreideanbau durch proteinhaltigere Züchtungen verändert. Aber auch veränderte Lebensgewohnheiten können eine Rolle spielen. So ernähren wir uns heute sehr hygienisch: «Wir waschen Geschirr und Hände sehr gründlich, bevor wir etwas essen. Dadurch nehmen wir jeden Tag Seifenrückstände zu uns, die die schützende Schleimschicht auf der Darmwand auflösen», erklärte Vavricka. Die Darmwand ist die Grenzfläche zwischen Umwelt und menschlichem Körper und dient neben der Aufnahme von Nährstoffen auch der Immunabwehr. Wenn die schützende Schicht aufgelöst wird, können Bakterien bis zur Darmwand wandern und Reaktionen vom Immunsystem auslösen. 

Gefährliche Zöliakie

Die schwerwiegendste Form einer Reaktion auf Gluten ist die Zöliakie, eine Autoimmunerkrankung, die etwa ein Prozent der Bevölkerung betrifft. Dabei provoziert der Verzehr von Gluten die Bildung von Antikörpern, welche spezifische körpereigene Strukturen im Darm, die sogenannten Zotten, zerstören. Zotten sind Erhebungen der Zellen in der Darmwand, die für die Nahrungsaufnahme verantwortlich sind. Ohne diese Zotten können Nährstoffe nicht mehr richtig aufgenommen werden, es kommt dann zu Verdauungsstörungen und Mangelerscheinungen.

Um Zöliakie zu diagnostizieren, reicht eine Blutuntersuchung: damit können die Antikörper nachwiesen werden, welche die Zotten zerstören. Die Diagnose ist aber nur möglich, solange man Gluten zu sich nimmt. Sobald man anfängt, sich glutenfrei zu ernähren, geht die Anzahl Antikörper zurück, und schon nach wenigen Monaten sind sie nicht mehr nachweisbar. «Wenn Sie den Verdacht auf einer Gluten-Erkrankung haben, gehen Sie daher bitte zum Arzt, bevor Sie mit einer Diät beginnen», sagte Vavricka.

Die gute Nachricht ist, dass sich die Darmzellen mit der Zeit erholen. Die Betroffenen können beschwerdefrei leben, solange sie sich strikt glutenfrei ernähren. 
Von der Zöliakie zu unterscheiden ist die Weizenallergie. Bei dieser Allergie reagiert das Immunsystem direkt gegen verschiedene Bestandteile der Weizen und verursacht zusätzlich zu Verdauungsbeschwerden auch allergische Symptome wie Asthma oder Juckreiz. 

Glutensensitivität – gibt es sie wirklich?

Eine weitere Form von Reaktion auf Gluten ist die sogenannte Glutensensitivität. Dabei handelt es sich weder um eine Autoimmunerkrankung noch um eine Allergie. Die Zusammensetzung der Darmflora und unspezifische Immunantworten spielen möglicherweise eine Rolle. Die Fachwelt rätselt aber darüber, ob es die Krankheit wirklich gibt und wie sie ensteht. Doch die Symptome seien real, so Vavricka. Betroffene berichten neben Verdauungsprobleme häufig über mehrere unspezifische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder depressive Stimmung. Man schätzt heutzutage, dass bis zu sechs Prozent der Bevölkerung betroffen sein könnten.

Wenn schwerwiegendere Erkrankungen wie Zöliakie oder auch Tumore ausgeschlossen wurden, kann es sinnvoll sein, eine glutenfreie Diät zu versuchen. Häufig hilft sie aber nicht. Denn hinter einer vermeintlichen Glutensensitivität kann teilweise eine Unverträglichkeit auf bestimmte fermentierbare Zuckerarten stecken, die sogenannten FODMAPs. Zu den FODMAPs zählt man beispielsweise Fruktose oder Oligosaccharide, die sich auch in gewissen glutenhaltigen Lebensmitteln befinden. Sie werden bei bestimmten Personen nicht richtig verdaut, sondern von Darmbakterien im Dickdarm fermentiert, was zu Gasbildung und Beschwerden führt. «Wir vermuten zudem, dass bei der Fermentierung toxische Gifte entstehen, die systemische Symptome wie Kopfschmerzen oder Konzentrationsstörungen auslösen können», fügte Vavricka an. Eine FODMAP-arme Diät kann die Beschwerden häufig verbessern. In solchen Fällen sei eine fachliche Ernährungsberatung aber extrem wichtig, sagte Vavricka. Denn FODMAPs sind in sehr vielen Lebensmitteln, vor allem in Früchten und Gemüsen, enthalten. Es ist daher wichtig, dass man nur so viel wie nötig weglässt.

Alle, die nicht von einer bestätigten Unverträglichkeit betroffen sind, könnten Weglassdiäten getrost vergessen, sagte Vavricka abschliessend. Sie sollten darauf achten, sich möglichst vielseitig zu ernähren.