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Digitaltag 2019

Ein Avatar nimmt die Schmerzen

Begeben wir uns in die virtuelle Welt, zum Beispiel als Avatar, kann das unsere Körperwahrnehmung verändern oder unsere Schmerzen lindern. Neuropsychologin Jasmine Ho berichtet darüber am Digitaltag.
Nathalie Huber
Virtuelle Realität im Spital: Sie wird als medizinisches oder therapeutisches Hilfsmittel eingesetzt.

 

Virtual Reality ist in der Gaming-Szene seit langem Wirklichkeit. Spielerinnen und Spieler tauchen mit ihren VR-Brillen in eine künstliche Welt ein, in der sie mit Fabelwesen kämpfen und mit ihren Mitspielenden interagieren.

Aufgrund ihrer rasanten Entwicklung ist VR inzwischen in sehr viele andere Lebensbereiche eingedrungen und bietet vielversprechende Anwendungen – gerade auch die Medizin nutzt die VR-Technik. Die Forschung zeigt, dass VR möglicherweise genauso wirksam sein kann wie eine medikamentöse Behandlung: Versetzt man Verbrennungsopfer über eine VR-Brille zum Beispiel in eine Schneewelt, können sie in manchen Fällen so stark abgelenkt werden, dass sie die Schmerzen beim Wechseln der Bandagen nicht bemerken. 

Uneingeschränkte Kontrolle

«Das Einzigartige an der VR-Technik ist, dass sie es uns erlaubt, die Umgebung präzis zu kontrollieren. Man kann Menschen nicht nur auf eine tropische Insel setzen, sondern auch gleich einen passenden virtuellen Körper kreieren», sagt Jasmine Ho, Doktorandin am Psychologischen Institut für Neuropsychologie der UZH. Am «Body Self and Plasticity Lab» erforscht sie, wie sich VR auf verschiedene kognitive Prozesse auswirkt. Das heisst, inwiefern sich mittels VR das Körpererleben verändern oder gar verbessern lässt – und VR somit als medizinisches oder therapeutisches Hilfsmittel dient.

Jasmine Ho arbeitet dabei mit Patientinnen und Patienten, die an der Körperwahrnehmungsstörung «Body Integrity Disphoria» (BID) leiden. Bei den betroffenen Menschen stimmt das Bild des eigenen Körpers nicht mit dem erwünschten Körper überein. Sie empfinden dabei ein Körperteil – etwa einen Arm oder einen Unterschenkel – als «zuviel». Die Ablehnung gegen diesen als nicht zugehörig empfundenen Körperteil kann dabei so stark sein, dass sie sogar versuchen, diesen selber zu amputieren.

Virtuelle Realität erleben: Patient mit amputiertem Bein.

Amputierten Körper erleben

Die Neuropsychologin startet demnächst eine Studie, in der BID-Patienten erstmals – als Avatar ­– ihren Körper amputiert erleben. «In unserem Lab können wir einen Avatar kreieren, der genau dem Körperbild der Patienten entspricht», führt Ho aus. Sie arbeitet dabei eng mit Peter Brugger und Bigna Lenggenhager zusammen. Die UZH-Neuropsychologen erforschen seit längerem diese seltene Identitätsstörung.

Die Studie ergründet, wie sich die Wahrnehmung des eigenen Körpers verändern kann, während oder nachdem man sich mit einem virtuellen Körper identifiziert. Dabei untersuchen Ho und ihre Forscherkolleginnen und -kollegen, wie sich die Verkörperung eines virtuell intakten aber auch eines virtuell amputierten Beines auf die Körperwahrnehmung und den emotionalen Zustand auswirken. «Mittels Hirnstrom-Messungen versuchen wir besser zu verstehen, was bei den BID-Patienten während den unterschiedlichen Körperzuständen im Gehirn passiert», erklärt Ho.

Hat VR letztlich das Potenzial, das gestörte Körpergefühl von BID-Patienten zu regulieren? Jasmine Ho geht davon aus, dass VR in Zukunft als therapeutisches Hilfsmittel genutzt werden kann. Dabei würde es aber nicht in erster Linie darum gehen, dass BID-Patienten das Empfinden eines intakten Körpers erlangen. Denn für ihre Identität sei es wichtig, amputiert zu sein. «Natürlich wäre es aus therapeutischer Sicht generell wünschenswert, wenn man das Körperbild dieser Patienten wieder normalisieren könnte, falls möglich. Aber wenn man das Leiden von BID-Patienten vermindern könnte, indem sie mittels VR ihren Körper zeitweilig als amputiert erleben, wäre das bereits eine gute Therapiemethode». Bis anhin gebe es keine Therapie, die den starken Wunsch nach einer Amputation aufheben könne. 

Placeboreaktion durch virtuellen Körper

Jasmine Ho forscht auch zur Schmerzlinderung mittels VR. Sie untersucht, ob man, um Schmerzen am eigenen Körper zu lindern, einen virtuellen Körper nutzen kann. Im Zentrum steht dabei die Placeboreaktion: «Wir wissen, dass es in der realen Welt Placeboreaktionen gibt, und sie sehr wirksam sind. Wie stark sie aber mit dem eigenen Körperbewusstsein zusammenhängen, ist wenig erforscht.» Die Wissenschaftlerin stellt folgende Fragen: Ist es für eine kognitive Schmerzlinderung, die Teil einer Placeboreaktion ist, überhaupt notwendig, dass wir unseren Körper als eigenen annehmen müssen? Oder wirkt ein Placebo auch, wenn es einem Avatar verabreicht wird?

Das Team um Ho hat dazu kürzlich eine Studie mit folgendem Setting durchgeführt: Die Probanden wurden in drei Realitätsarten einem Schmerz ausgesetzt, der durch Hitze ausgelöst wurde. Gleichzeitig erhielten sie als Placebo einen hitzeschützenden Handschuh. In der realen Welt trugen die Probanden den Handschuh an ihrem eigenen Arm, in der erweiterten Welt sahen sie durch eine VR-Brille an ihrem eigenen Körper einen virtuellen Handschuh, und in der komplett virtuellen Umgebung trägt ihr Avatar einen virtuellen Handschuh. So testeten die Forschenden die Wirkung des Placebos in der physischen, der erweiterten und in der virtuellen Realität.

Erste positive Resultate

Das Ergebnis: Der am Avatar verkörperte Handschuh erzielte die gleiche schmerzschützende Wirkung wie der Handschuh am realen Körper. «Unsere ersten Resultate belegen, dass gewisse medizinische Interventionen nicht einem echten Körper verabreicht werden müssen, um trotzdem positive Veränderungen am physischen Körper hervorzurufen», schliesst Jasmine Ho.