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Soziologiekongress

Über den Eigennutz hinaus

Die UZH ist Gastgeberin des Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie. Zum Auftakt gab es ein prominent und interdisziplinär besetztes Podium zum Thema Gemeinwohl versus Eigeninteresse. Es wurde kontrovers diskutiert.
Claudio Zemp
Ist der Mensch eher egoistisch oder altruistisch? UZH-Rechtsprofessor Daniel Jositsch (l.) und Thomas Hinz von der Universität Konstanz an der Podiumsdiskussion. (Bild: Claudio Zemp)

 

Der dreitägige Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, der noch bis heute an der UZH stattfindet, befasst sich in diesem Jahr mit einem aktuellen Thema: Gemeinwohl und Eigeninteresse. Zum Auftakt fand eine Diskussion zu diesem Thema statt. Auf dem Podium: der Empiriker Thomas Hinz aus Konstanz, Professorin Margit Osterloh und Daniel Jositsch, beide von der UZH, und Professor Reiner Eichenberger, Professor für politische Ökonomie an der Universität Freiburg. Die Veranstaltung wurde von Christine Maier, bekannt aus dem Fernsehen, moderiert. Maier bezog das Publikum im Auditorium gleich zu Beginn in die Debatte mit ein und stellte die Frage «Gibt es genug Gemeinwohl in der Schweiz – Ja oder Nein?». Einige streckten auf, andere nicht, es war keine absolute Mehrheit auszumachen.

Die Sprecher auf dem Podium betonten, dass die Frage ja auch nicht so einfach zu beantworten sei. Reiner Eichenberger verkündete provokativ sein liberales Credo: «Nichts ist freiwillig, alles ist eigennützig. Alles, was ich tue, ist eine Folge ökonomischer Anreize.» Damit forderte er vorab seine Nachbarin am Stehtisch, Margrit Osterloh heraus. Sie nahm die Steilpässe ihres Kollegen Eichenberger auf und konterte, indem sie sich besorgt zeigte über den Trend zur stärkeren sozialen Selektivität und damit zu gesellschaftlicher Ausgrenzung. Die Wissenschaft und die Gesellschaft müssten diesem Trend entgegenwirken, forderte sie. Die Gesellschaft brauche sozialen Kitt, damit das Land nicht zerrissen werde. Osterloh forderte mehr Engagement für das Gemeinwohl: «Ich möchte mehr Partizipation durch alle Schichten hindurch.»

«Jeder ist eigennützig», meinte Reiner Eichenberger, Professor für politische Ökonomie an der Universität Freiburg. UZH-Professorin Margrit Osterloh widersprach. (Bild: Claudio Zemp)

Globalisiertes Gemeinwohl

Der Disput der beiden Ökonomen drehte sich rasant weiter um Wehrpflicht, Steuermoral und Altruismus. Daniel Jositsch wurde dann konkreter: Am Beispiel des Kandidaten-Karussells im Bundeshaus sehe man, dass niemand nur altruistisch oder egoistisch sei. Die Motivationen seien immer gemischt, sagte der SP-Ständerat. So möchten derzeit verschiedene Menschen Bundesrat werden, um dem Gemeinwohl zu dienen: «Sie haben aber auch Eigeninteressen, weil das Amt mit viel Prestige verbunden ist.»

Thomas Hinz, Professor für Empirische Sozialforschung mit Schwerpunkt Surveyforschung an der Universität Konstanz, zweifelte daran, dass es einen Trend zur individualistischen Orientierung in der Gesellschaft gäbe: Er sei nicht sicher, ob das Gemeinwohl wirklich erodiere. Der Freiwilligenmonitor zeige, dass die Mitgliedschaft in Vereinen in der Schweiz zwar rückläufig sei, aber immer noch sehr hoch ist. Mit Facebook und anderen sozialen Medien sei die soziale Vernetzung dagegen heute internationaler geworden. Insofern gebe es eine Tendenz, dass die Gemeinschaft sich vom Lokalen löse und das Gemeinwohl globalisiert werde.

Zum Schluss spielte Moderatorin Maier den Ball aber noch einmal zurück ins Publikum. Eine Teilnehmerin sagte, dass der Mensch eben nicht nur ein Homo Oekonomicus sei. Es gebe gute Gründe, zu glauben, dass es mehr gäbe als den Eigennutz. Niemand widersprach ihr. So konnten alle die Teilnehmenden mit den Referenten zum Begrüssungsapéro in den Lichthof schreiten, wo sie sowohl für das Gemeinwohl und aus Eigeninteresse weiter diskutierten.