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Rücktritt von Otfried Jarren als Prorektor

Reden hilft

Ein brillanter Kopf, ein hervorragender Kommunikator, eine starke Persönlichkeit: Otfried Jarren hat an der UZH viel bewegt. In stürmischer Zeit übernahm er als Interimsrektor das Steuer. Nach acht Jahren tritt er nun als Prorektor Geistes- und Sozialwissenschaften zurück.
David Werner

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Jarren
Hochschulpolitisches Räsonnement der Extraklasse: Der Publizistikwissenschaftler Otfried Jarren versteht es, die Dinge im grossen Zusammenhang darzustellen. (Bild: Frank Brüderli)

 

Es war ein regennasser November-Samstag im Jahr 2013 – und zufällig Otfried Jarrens 60. Geburtstag. Die UZH erlebte die turbulenteste Phase ihrer bisherigen Geschichte. Der Konflikt um das Medizinhistorische Institut hatte mit dem Rücktritt von Andreas Fischer als Rektor seinen Höhepunkt erreicht. Der Universitätsrat trat zu einer Sondersitzung zusammen und trug Prorektor Jarren auf, das Steuer des ins Schlingern geratenen Schiffs zu übernehmen.

Mit voller Wucht

In den ersten Tagen als Rektor ad interim bekam Jarren mit voller Wucht zu spüren, dass die Universität, die erst seit 15 Jahren autonom war, auf einen solchen Sturm nicht eingestellt war. Eine Anfrage jagte die andere, Aktenberge türmten sich, Fristen drohten abzulaufen. Ein Drehbuch, wie nun zu verfahren sei, lag nicht vor. «In der ersten Phase», so Jarren, «half nur noch Galgenhumor.»

Die anfängliche Unsicherheit wich jedoch bald. «Die Sache begann mir sogar Spass zu machen», sagt Jarren. «Ich hatte eine engagierte, belastbare Kerngruppe um mich herum, dazu kam ein Netzwerk guter interner und externer Berater. Viele Leute meldeten sich und signalisierten, dass sie präsent waren und man auf sie zählen konnte – was mich sehr beeindruckte. Es zeigte sich in diesen Tagen, wie stark die Fundamente unserer Universität sind, und dass sie nicht so einfach zu destabilisieren ist.»

Kultur der Offenheit

Dass nun ein Publizistikwissenschaftler an der Spitze der Universität stand, war für viele Anlass zur Hoffnung auf einen Wandel hin zu einer Kultur der Offenheit an der UZH. Tatsächlich, sagt Jarren, habe ihm seine kulturbedingte Nähe zu den Medien geholfen. Er führte unzählige Gespräche – universitätsintern und extern, mit Professorinnen und Professoren, mit Alumni, mit Politikern und mit Medienschaffenden. Jarren räumte ein, dass Fehler gemacht worden waren, und er vermittelte glaubhaft, dass die Universität sich den Problemen stellte.

Intern verteilte er keine Maulkörbe. Er gab der Meinungsäusserungsfreiheit gegenüber der Loyalitätspflicht den Vorrang. Seine einzige Bedingung: Universitätsangehörige, die zu den Vorfällen öffentlich Stellung beziehen wollten, sollten ihn vorab informieren. Jarren setzte auf Vertrauen – und er wurde nicht enttäuscht.

Kraft der Kontinuität

Langsam begannen sich die Wogen zu glätten. Zu Jahresbeginn 2014 vermeldete die NZZ, die Situation an der Universität sei daran, sich spürbar zu entkrampfen.

Am 31. Januar 2014 war das Interregnum an der UZH vorüber. An einer kleinen Feier überreichte Jarren dem neuen Rektor Michael Hengartner die Rektorkette. Sie symbolisiere die Robustheit der Universität und die Kraft der Kontinuität, sagte Jarren damals. Dem Wunsch des Universitätsrates folgend, blieb er für weitere zweieinhalb Jahre Mitglied der Universitätsleitung.

Nun tritt Jarren nach insgesamt acht Jahren in der Universitätsleitung von seinem Amt als Prorektor zurück. Rektor Michael Hengartner beschreibt ihn als eine «starke Persönlichkeit»,  als «brillanten Kopf» und als einen «gewieften Wissenschafts-Organisator mit hochschulpolitischem Weitblick». «Otfried Jarren», sagt Hengartner, «hat die UZH enorm vorangebracht und bleibende Akzente gesetzt. Sein Wissens- und Erfahrungshorizont ist beeindruckend. Und es war immer Verlass auf ihn. Er war da, wenn man ihn brauchte. Wir werden ihn als Prorektor sehr vermissen.»

Austausch mit den Studierenden

Eine Konstante in Jarrens langer Amtszeit war sein Bestreben, den Stellenwert der Lehre an der Universität zu erhöhen. Er förderte den Dialog zwischen Studierenden und Dozierenden über die Kriterien guter Lehre – beispielsweise, indem er die Tradition des jährlich stattfinden «Tages der Lehre» begründete, an dem auch die Semesterpreise verliehen werden, die seither erheblich mehr Resonanz erhalten. Er initiierte den universitären Lehrkredit zur Förderung innovativer Ideen in der Lehre und führte die systematische Evaluation von Lehrveranstaltungen ein.

Vor allem aber suchte er den Austausch mit den Studierenden, hörte sich deren Kritik an, ging auf ihre Nöte ein und entwickelte mit ihnen Projekte – kürzlich zum Beispiel eines zur Erleichterung des Übergangs zwischen Mittelschulen und der Universität.

Aufmerksamkeit für «kleine» Fächer

Wichtig war Jarren auch die Idee des Lifelong learning – und in diesem Zusammenhang besonders die strategische Ausrichtung des universitären Weiterbildungsangebots sowie die Kinder- und Seniorenuniversität. Jarren erkannte zudem, wie gross für die UZH die Bedeutung der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für Maturitätsschulen ist. Das entsprechende Studienprogramm wurde reorganisiert, und das komplexe Zusammenspiel von Schulen und Universität, das ihm zugrunde liegt, wurde auf eine rechtliche Basis gestellt. Die Zuständigkeit der UZH für die Lehrpersonenausbildung wurde im Universitätsgesetz verankert.

Viel Aufmerksamkeit erhielten die sogenannt «kleinen Fächer» an der Philosophischen Fakultät, die Jarren dazu anhielt, zusammenzuarbeiten und sich zu stärkeren Einheiten zusammenzuschliessen. Mit Hilfe der Stiftung Mercator gelang die Einrichtung zweier neuer Lehrstühle am heutigen Asien-Orient-Institut.

Widerspenstige Wissenschaft

Jarren trieb auch die Erneuerung der Doktoratsstufe voran und leitete die Gründung des Graduate Campus in die Wege. Das Vorhaben konnte dank Drittmitteln zügig umgesetzt werden und trug schon bald Früchte.

Mühevoll gestaltete sich dagegen die Bologna-Reform, bei der vieles nicht auf Anhieb so lief, wie Jarren es sich gewünscht hätte. «Ich musste lernen, dass es einfacher ist, etwas Neues auf die grüne Wiese zu stellen als in bestehende Verhältnisse einzugreifen. Und ich musste akzeptieren, dass Umstellungen am lebenden Organismus einer Universität langwierige Prozesse sind», sagt Jarren.

Auch wenn seine Geduld manchmal auf die Probe gestellt wurde, sieht Jarren die Widerspenstigkeit und Eigenwilligkeit der Wissenschaft gegenüber Managemententscheiden überwiegend positiv. Er hält es für richtig und wichtig, dass die Wissenschaft ihrem eigenen Rhythmus, ihrer eigenen Logik folgt.

Grosses Kino

Als Kommunikationswissenschaftler beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie öffentliche Institutionen sich organisieren, sich entwickeln und mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld interagieren. Dass er sich so leidenschaftlich und über eine so lange Zeit hinweg in der Universitätsleitung engagierte, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass ihn Hochschulpolitik nicht nur in praktischer, sondern auch in theoretischer Hinsicht fasziniert.

Mit der Neugier des Forschers schaute er sich über die eigene Schulter hinweg bei seiner Arbeit als Prorektor zu. Die Doppelperspektive, die sich daraus ergab, prägte die Art und Weise, wie er die Absichten, Pläne und Entscheidungen der Universitätsleitung erklärte.

Jarren verstand es ausgezeichnet, die Dinge in ihren Zusammenhängen darzustellen. Freimütig liess er seine Gesprächspartner an seinen Überlegungen teilhaben. Und wenn man Glück hatte, dann rollte er dabei die ganz grosse Leinwand aus. Was dann folgte, war hochschulpolitisches Räsonnement der Extraklasse, Wissenschafts-Reflexion im Cinemascope-Format sozusagen: Man tauchte ein in ein ausgedehntes gedankliches Experimentiergelände mit dicht gestaffelten Einsichten vor ausgedehntem Horizont. Alles darin schien mit allem verknüpft, und alles in ergebnisoffener Bewegung begriffen.

Wissenschaft und Gesellschaft

Eines von Jarrens grossen Themen ist das Verhältnis von Universität und Gesellschaft. Die Politik, stellt er fest, erwartet eine Art von Hochschulmanagement, die der Wissenschaft nicht immer angemessen ist. Gerade deshalb, so seine Überzeugung, braucht es den ständigen Dialog zwischen Hochschule und Politik.

Die Universität muss sich der Politik erklären. Dazu muss sie sich allerdings selbst Klarheit darüber verschaffen, was sie will und wofür sie steht. Der Hochschul- und Wissenschaftsforschung kommt hier eminente Bedeutung zu. Die Gründung des universitären Kompetenzzentrums CHESS (Center for Higher Education and Science Studies), die 2015 erfolgte, lag Jarren deshalb besonders am Herzen.

Die Deutungshoheit behalten

Früher lenkte die Bildungsdirektion die Universität. In ihrem Schutz konnte sich die Wissenschaft relativ ungestört mit sich selbst beschäftigen. Als die UZH im Jahr 1998 ihre Autonomie erlangte, führte dies paradoxerweise dazu, dass sie heute den oft divergierenden gesellschaftlichen Ansprüchen an Bildung und Wissenschaft viel unmittelbarer ausgesetzt ist als einst. Von allen Seiten werden Universitäten beobachtet, bewertet, gerankt: Wirtschaft, Politik und viele andere Teilbereiche der Gesellschaft glauben Einfluss nehmen zu müssen und machen sich zu diesem Zweck ihr Bild von den Hochschulen.

Auch wenn diese äusseren Zuschreibungen nicht selten auf zweifelhaften Kriterien basieren, darf die Universität sie nicht ignorieren. Sie muss sich den gesellschaftlichen Erwartungen stellen. Aber gleichzeitig, betont Jarren, muss sie auf der Hut sein: Sie muss sich wappnen vor lähmender Überreglementierung und Verrechtlichung, vor ökonomischer Vereinnahmung, vor übertriebenem Aktionismus und allzu viel politischem Gestaltungswillen, und sie muss innere Distanz wahren zum Bild, das die Medien von ihr in der Öffentlichkeit zeichnen. «Die Universität als Ort der Bildung und der Wissenschaft muss die Deutungshoheit über ihr eigenes Tun behalten», sagt Jarren. Das aber geht nur, wenn die Universität sich kritisch über sich selbst verständigt – im dauernden, institutionalisierten Gespräch unter Peers. Jarren ist nicht umsonst Kommunikationswissenschaftler. Er ist überzeugt: Reden hilft.