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Rücktritt von Dekan Klaus Grätz

«Für Müssiggang bin ich nicht der Typ»

Der Kieferchirurg Klaus Grätz war sieben ereignisreiche Jahre lang Dekan der Medizinischen Fakultät – länger als jeder seiner Vorgänger. Nun tritt er altershalber zurück.  
David Werner
Vielseitiger Mediziner: Klaus Grätz setzte sich in seiner Amtszeit für die enge Zusammenarbeit von Forschung und Klinik ein. (Bild: zVg.)

Der Kopf mit der dickrandigen Brille ruht auf breiten Schultern. Das dialektal gefärbte Hochdeutsch mit dem betonten Zungenspitzen-R lässt die fränkische Herkunft erahnen, ebenso das Jackett mit dem dezent folkloristischen Schnitt. Klaus Grätz, siebenundsechzig Jahre alt, wirkt geerdet. Er sieht nicht aus wie jemand, der sich rasch aus der Fassung bringen lässt.

Spitzbübischer Schalk blitzt auf, als der gebürtige Würzburger erzählt, wie er mit zweiunddreissig Jahren zu seinem Fachgebiet, der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie kam. «Ich konnte damals schon fast alles operieren, von der Schädeldecke bis zur Fusssohle. Nur etwas fehlte noch: das Gesicht.» Der sportliche Ehrgeiz gebot es, die Lücke im chirurgischen Repertoire zu füllen. In der Klinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie des Zürcher Universitätsspitals gingen zu Beginn der Achtzigerjahre in Zürich wegweisende Entwicklungen vonstatten. Klinikdirektor Hugo Obwegeser, Pionier der chirurgischen Korrektur von Kieferfehlstellungen, hatte Methoden entwickelt, Kieferschäden nicht von aussen, sondern von der Mundhöhle aus zu operieren, sodass das Gesicht nach einem Eingriff narbenfrei blieb.

Kraftprobe bestanden

Grätz war von diesem Ansatz fasziniert. Er musste aber eine grosse Hürde nehmen, um als Kieferchirurg in der Klinik aufgenommen zu werden. Obwegeser verlangte von Grätz, dem promovierten Humanmediziner, ein Zweitstudium in Zahnmedizin. «Das mache ich nebenher», beschloss Grätz – unterschätzte dabei aber die damit verbundenen Anstrengungen. Das nebenberufliche Zahnmedizin-Studium wurde zur Kraftprobe seines Lebens – die er schliesslich aber bestand.

Nach einer Zwischenstation am Basler Universitätsspital wurde Grätz 1984 Assistenz- und 1999 Oberarzt an der Klink für Kiefer- und Gesichtschirurgie. 1995 veröffentliche er seine Habilitationsschrift. Thema war die Behandlung des für die Kaubewegung verantwortlichen Schläfenmuskels (Muskulus Temporalis) in der rekonstruktiven Chirurgie. 2001 wurde Grätz Klinikdirektor. Den integrativen Ansatz Hugo Obwegesers entwickelte er weiter: Er pflegte die präprothetische und die orale Chirurgie, die Traumatologie und die Tumorchirurgie, die Behandlung von Fehlbildungen des Gesichtsschädels, die Therapie von Kieferfehlstellungen und Kiefergelenkerkrankungen sowie der Infektionsbehandlung.

Lange Zeit im Amt

2008 stellte sich Grätz als Dekan zur Wahl, nachdem er zuvor schon als Prodekan gewirkt hatte. Nach seiner Motivation gefragt, sagt er: «Ich wollte der Universität, der ich viel verdanke, etwas zurückgeben.» Die von ihm geleiteten Kliniken – nebst der Klinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie am USZ war dies auch die Klinik für Zahn- Mund- und Kieferkrankheiten am jetzigen ZZM – waren «gut in Schuss», sodass er die Mehrfachbelastung als Dekan und zweifacher Klinikdirektor mit gutem Gewissen verkraften konnte. Dass er sich in verschiedensten medizinischen Bereichen gut auskannte, kam Grätz in seiner Funktion als Leiter der Fakultät zugute. In den folgenden Jahren wurde er immer aufs Neue mit grosser Mehrheit im Amt bestätigt. Sieben Jahre sind eine ungewöhnlich lange Amtszeit für einen Dekan der medizinischen Fakultät. Seine Vorgänger Günter Burg und Walter Bär waren vier Jahre im Amt, davor waren zwei Jahre die Regel.

Zwischen Forschung und Praxis

In diesen sieben Jahren hat sich an der Medizinischen Fakultät viel bewegt. Der Studiengang Humanmedizin zum Beispiel wurde nach Beginn der Studienreform 2003 laufend verbessert und durch die Etablierung eines Clinical Skills Labors und die Einführung einer standardisierten klinisch-praktischen Prüfung mehr auf klinische Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgerichtet; auch die  Einführung von Peer-Teaching-Programmen ist hier zu erwähnen. Das 6. Studienjahr wurde unter dem Motto «Hinführung zum ärztlichen Handeln» reformiert.

Mit der Einführung der Bolognareform in der Medizin und hier vor allem mit der Einführung von Masterarbeiten wurde eine Voraussetzung dafür geschaffen, dass bei den Studienabsolventinnen und –absolventen die Sensibilität für wissenschaftliche Standards stieg. Auch wenn sich nur ein Bruchteil der angehenden Medizinerinnen und Mediziner nach dem Studium der Forschung zuwendet, sei dies von grosser Bedeutung, sagt Grätz. Denn die enge Zusammenarbeit von Forschung und Klinik klappe nur, wenn Vertreterinnen und Vertreter der ärztlichen Praxis mit der Perspektive der Forschung vertraut sind – und umgekehrt.

Während seiner ganzen Amtszeit war die Verbesserung des Zusammenspiels von Forschung und Klinik ein zentrales Anliegen des abtretenden Dekans. «Der Wissenstransfer vom Labor zum Krankenbett – from Bench to Bedside –, umgekehrt aber auch der Rückfluss von Informationen aus der Patientenversorgung in die medizinische Forschung, ist entscheidend für die Innovationskraft der Medizin», erklärt Grätz.

Begrenzte Einflussmöglichkeiten

Was die Organisation der Zusammenarbeit von universitären Spitälern und Medizinischer Fakultät anbelangt, klaffen in den Augen des abtretenden Dekans Wunsch und Wirklichkeit jedoch noch immer weit auseinander. Die Gründung der Organisation «Hochschulmedizin Zürich» im Jahr 2012 sei zwar ein Fortschritt gewesen. Die von der UZH, der ETH Zürich und mittlerweile von allen  universitären Spitälern gemeinsam betriebene Plattform fördert translationale und interdisziplinäre Projekte in biomedizinischen und medizinaltechnischen Bereichen.

Für ein optimales Zusammenspiel von Forschung, Lehre und Klinik brauche es aber mehr – nämlich tiefergreifende organisatorische Umstellungen, findet Grätz. Ginge es nach ihm, würden sich die universitären Spitäler zu einem einzigen Klinikum mit mehreren Unterabteilungen zusammenschliessen; die medizinische Fakultät wiederum würde in die Klinikleitung eingebunden. «Auf diese Weise könnten Lehre, Forschung und Klinik optimal aufeinander abgestimmt werden», ist Grätz überzeugt. Er hätte als Dekan gern dazu beigetragen, die Entwicklung in diese Richtung voranzutreiben – doch dazu, sagt er, hätten sich seine Einflussmöglichkeiten als zu begrenzt erwiesen.

Viel gelernt

«Die Stimme des Dekans der medizinischen Fakultät hat weniger Gewicht, als ich anfangs dachte», sagt Grätz rückblickend. «Die Funktion, die ich wahrnehmen konnte, war weniger eine gestaltende als eine vermittelnde.» Seine Aufgabe sei es in erster Linie gewesen, nach allen Seiten hin zu informieren und für Rahmenbedingungen zu sorgen, die es den Fakultätsmitgliedern gestatteten, gute Arbeit zu leisten. Wenn etwas schief lief, hatte der Dekan dafür gerade zu stehen. «Vor dieser Verantwortung», sagt Grätz, «habe ich mich nie gedrückt.»

Unerfreuliches blieb nicht aus in der langen Zeit, in der Klaus Grätz Dekan war. Vorkommnisse wie der Konflikt um das Medizinhistorische Institut und Museum kosteten viel Kraft und Energie. «Unter dem Strich aber überwiegt das Positive», sagt Grätz. «Es waren sieben erfüllte Jahre mit vielen bereichernden Begegnungen. Und ich habe viel gelernt.»

Politische Kraftfelder

Gelernt hat Grätz zum Beispiel, wie wichtig die Rolle der Politik in der Medizin ist. «Ich war zu Beginn meiner Amtszeit vor allem auf Klinikmanagement eingestellt; auf die Politik war ich nicht vorbereitet», sagt er selbstkritisch. Das Gesundheitswesen ist ein volkswirtschaftlicher Schlüsselbereich und zugleich ein enormer Kostenfaktor. Kommt hinzu, dass Gesundheitsfragen, weil sie jeden betreffen, emotionsbehaftet sind. Entsprechend stark sind die politischen Interessen, die in die Medizin hineinwirken.

Um im politischen und institutionellen Kräftefeld die Medizinische Fakultät optimal führen zu können, brauche ein Dekan mehr Einflussmöglichkeiten, findet Grätz. «Forschung muss, wie es heute schon der Fall ist, bottom-up organisiert sein, die strategische Führung der universitären Medizin aber sollte stärker top-down ausgerichtet werden.» So gesehen begrüsst Grätz die Stärkung der Rolle des Dekans der medizinischen Fakultät, die im Zuge der Reorganisation der Universitätsleitung geplant ist: Der Dekan der medizinischen Fakultät, der zukünftig «Direktor universitäre Medizin» heissen wird, soll – wenn der Kantonsrat dem Plan zustimmt – zukünftig auch Mitglied der Universitätsleitung sein.

Grätz ist gespannt darauf, wie sich diese organisatorische Neuerung auf die universitäre Medizin auswirkt. An Müssiggang ist für ihn nach der Pensionierung nicht zu denken. Auch nach seinem Rücktritt möchte er seine Erfahrungen dem medizinischen Umfeld zugute kommen lassen. In welcher Form das geschehen soll, verrät er noch nicht.

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