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Das Sterben sei kein Tabuthema mehr, stellte Tanja Krones zu Beginn ihres Vortrags über Entscheidungen am Lebensende fest. Als Leitende Ärztin Klinische Ethik und Geschäftsführerin des Klinischen Ethikkomitees des Universitätsspitals Zürich sprach sie sehr offen und lebendig über ihre Erfahrungen mit dem Sterben und dem Tod im klinischen Alltag. Anhand anschaulicher Beispiele aus der Praxis wurde den zahlreich erschienenen Zuhörerinnen und Zuhörern schnell klar, dass zur Planung des Lebensendes mehr gehört, als nur eine Patientenverfügung auszufüllen.
Es gibt langfristige Verläufe bei Krankheiten, aber oft kommt es auch zu akuten Situationen. Am Beispiel einer 83-jährigen Patientin zeigte Krones auf, wie wichtig es ist, auf einen Notfall vorbereitet zu sein. Die betroffene Frau lebte selbstständig zu Hause, bis ihr Ehemann sie plötzlich wie leblos im Garten vorfand. Er rief den Notarzt, die Frau wurde auf die Intensivstation gebracht und man legte ihr einen Katheder-Stent, wie nach einem Herzinfarkt üblich.
Einen Tag später musste die Patientin reanimiert werden. Am dritten Tag kam der Ehemann mit einer Patientenverfügung ins Spital, aus der hervorging, dass die Frau im Falle einer schweren Erkrankung keine lebensverlängernden Massnahmen erhalten möchte. Die Frau starb nach fünf Tagen infolge ihrer schlechten Gesamtverfassung und eines beginnenden Infekts der Lunge. Der Ehemann war im Nachgespräch hoch traumatisiert, weil er sicher war, das seine Frau ihr Lebensende so nicht gewollt hätte.
Das Beispiel verdeutliche viele Probleme, die mit dem Lebensende und auch mit der Patientenverfügung in Zusammenhang stehe, führte Krones aus. Auch wenn seit 2013 das neue Vormundschafts- und Erwachsenenschutzrecht gelte, das mehr Gewicht auf die Selbstbestimmung des Patienten legt, sei es für den Notarzt, der gerufen wird, in der Eile oft nicht möglich, Klarheit über einen eventuell vorhandenen Patientenwillen zu gewinnen. Für ihn stehe die Lebenserhaltung im Vordergrund.
Deshalb ist es wichtig, dass die Angehörigen gut informiert sind und auch genau darüber Bescheid wissen, was der Patient will. «Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst Ehepaare, die seit langer Zeit zusammenleben und sich lieben, nicht wissen, was der andere sich am Lebensende wünschen würde», sagte Krones. Patientenverfügungen sollten deshalb nicht im stillen Kämmerlein geschrieben werden, sondern im engen Kontakt mit Angehörigen oder Freunden. Auch müssten die Verfügungen immer wieder angepasst werden. Eine Anordnung, die vor zehn Jahren verfasst worden sei, gelte vielleicht gar nicht mehr, wenn es darauf ankomme.
Zusätzlich sei medizinisches Wissen wichtig für Angehörige und Patienten, sagte die Medizinerin. Sie verdeutlichte das am Beispiel der Reanimation bei Herzstillstand. «Reanimationen haben sehr schlechte Prognosen.» In Arztfilmen – etwa der beliebten Serie «Dr. House» – sind reanimierte Patienten nach kurzer Zeit wieder fit. Die Realität sieht anders aus: Von 100 Personen, die im Spital einen Herzstillstand haben, überleben nur 17. Von diesen sind später fünf bis sieben schwer pflegebedürftig. Der Herzstillstand selbst sei kein schlimmer Tod, meinte die Medizinerin.
In der Schweiz haben etwa zehn Prozent der Bevölkerung eine Patientenverfügung ausgefüllt. Damit habe auch ein Paradigmenwechsel stattgefunden, sagte Krones: Weg vom alles bestimmenden Doktor und hin zum selbstbestimmten Patienten.
Doch sehe es heute im klinischen Alltag zuweilen so aus, dass das Klinikpersonal sich mit einer Patientenverfügung konfrontiert sehe, in der zum Beispiel steht: «In einer aussichtslosen Situation möchte ich nicht an Maschinen und Schläuche angeschlossen werden». Damit sei keinem Arzt geholfen, denn es könne zum Beispiel sein, dass eine Operation durchgeführt wird, die zu Komplikationen führt. Der Patient hat zuvor seine schriftliche Einwilligung zur Operation gegeben, muss aber jetzt an Maschinen angehängt werden. Solche Situationen seien oft auch für die Ärzte schwierig.
Es gibt eine Palette unterschiedlicher Verfügungen, sie reichen von einfachen Formularen, die man schnell aus dem Internet laden könne, über christlich ausgerichtete Verfügungen bis zu 30-seitigen Dokumenten. Doch keine der Patientenverfügungen, die heute auf dem Markt sind, reichen aus, den Patientenwillen eins zu eins durchzusetzen, sagte Krones.
Flankierende Massnahmen seien unabdingbar. In einigen Ländern sei man dazu übergegangen, zusätzlich zur Verfügung des Patienten eine zweite Verfügung für den Notfall zu verfassen. Diese soll höchstens eine Seite lang sein und nach einem Beratungsgespräch zwingend von einem Arzt unterschrieben werden.
«Wenn wir wirklich wollen, dass das Erwachsenenschutzrecht greift, benötigen wir professionelle Beratungen von ausgebildeten Fachkräften und Ärzten, die für ihre Beratung auch bezahlt werden», so Krones. Der Arzt oder die Fachkräfte sollten Betroffene und Angehörige oder enge Freunde umfassend und individuell beraten – entscheiden müsse und könne schlussendlich nur jeder Einzelne selbst.