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Studenten Theater Zürich

Im Rausch der Illusionen

Die achte Inszenierung des «Studenten Theaters Zürich» zeigt Jean Genets Werk «Der Balkon» von 1957. Bildgewaltig und zerstörerisch wird der Zuschauer durch den Abend gepeitscht.
Tina Lohfing

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Das grausame Spiel im «Haus der Illusionen». (Bild: Studenten Theater Zürich)

Das Stück des skandalumwobenen französischen Autors Jean Genet ist keine leichte Kost – nicht für die Schauspielerinnen und Schauspieler, nicht für das Publikum. Dem «Studenten Theater Zürich» gelang am Premierenabend am vergangenen Freitag ein beklemmendes Schauspiel.

Die schockierende Eingangsszene: Ein riesiges goldenes Kreuz und eine in weiss gekleidete Frau im Schoss eines Priesters. Schnell ist klar: Ein Bordell steht im Mittelpunkt der Handlung – kein Gewöhnliches, sondern ein sogenanntes «Haus der Illusionen». Es ist ganz den Fantasien der Besucher gewidmet: Durchschnittliche Bürger, die im Bordell Repräsentanten von Macht spielen dürfen. Der Bischof benötigt eine Sünderin, der Richter eine Diebin und der General eine Stute, um in die Rollen schlüpfen zu können. Während «Draussen» eine Revolution tobt, versucht im Inneren des Etablissements die geschäftstüchtige Chefin Irma ihren Laden am Laufen zu halten.

Die Inszenierung lässt nicht kalt

Vier Monate probte das 17-köpfige Ensemble das neue Stück. Die Inszenierung ist durchdacht, die Dialoge präzise vorgeführt. Neun Szenen mit jeweils wechselnden Bühnenbildern entführen die Zuschauer in Welten, aus denen es kein Entkommen gibt.

Aber was soll dieses Theater im Zeitalter des medialen Spektakels? Nach der Lesart des Regisseurs Alex Grob ist die Antwort von Genets Stück radikal: «Das Theater soll nicht ermutigen, sondern verletzen, in der Hoffnung, dass die Wunde eine Veränderung beim Publikum herbeiführt.»

Vor allem die Rolle des Polizeichefs, mit eindringlicher Mimik und Gestik gespielt, ist an Brutalität nicht zu übertreffen. Er ist es, der den Aufstand zu bekämpfen hat und gleichzeitig eine enge Beziehung zur Leiterin des Etablissements unterhält. Sein oberstes Ziel: Ein Bild zu werden, das die Bevölkerung begehrt. Die Erfüllung dieses Wunsches ist kein beruhigender Gedanke für den Zuschauer.

Einer der Gewaltausbrüche des Polizeichefs. (Bild: Studenten Theater Zürich)

Kampf gegen die Bilder

Die Aufständischen selbst bekommt man erst spät zu Gesicht. Sie sind zunächst nur durch angstvolle Schreie und lautes Maschinengewehrknattern präsent. Das erklärte Ziel des Revolutionsführers: Die Gesellschaftsform zu bekämpfen, dessen Stützen blosse Bilder sind. Während die Revolution weiter tobt, tritt eine neue Figur ins Geschehen: Die Gesandte der Königin, eine Art PR-Spezialistin, die die Herrscherin für nicht mehr «präsentabel» hält und eine Neue benötigt.

Der Gesandten ist klar, dass dafür keine Frau besser geeignet wäre als die Chefin des «Hauses der Illusionen» mit ihren berühmten Kleiderschränken. Denn was braucht es mehr als angemessene Kleidung und Schauspieler, die die «Stützen der Gesellschaft» darstellen? Die Kunden des Bordells genossen es, hinter verschlossenen Türen General, Richter und Bischof zu sein. Jetzt werden sie gezwungen, ihre Rollen in der Öffentlichkeit zu spielen.

Zwischen Realität und Illusion

Unterstützt von abstrakten Bühnenbildern, der Licht- und Tongestaltung sowie den schillernden Kostümen schafft es die Inszenierung, eine glanzvolle und zugleich erschütternde Atmosphäre zu kreieren. Als die Revolution am Ende scheitert und der Polizeichef sein gewünschtes Bild erhält, reisst die Grande Dame des «Hauses der Illusionen» sogar die Trennung von Realität und Illusion, die entlang von Theater und Zuschauer verläuft, nieder und entlässt das Publikum mächtig durchgerüttelt in den Abend.

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