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Astrophysik

Giganten aus Staub und Gas

Mit komplexen und rechenintensiven Modellen untersuchen Astrophysiker der Universität Zürich, wie Gasplaneten und Schwarze Löcher im Universum entstehen. Dabei finden sie Antworten, die an den Grundlagen der Physik rütteln.
Felix Würsten
Faszinierender Riese: Der Planet Saturn könnte aus einer sich immer mehr verdichtenden Gaswolke entstanden sein.

Es sind die fundamentalen Kräfte im Universum, mit denen sich Lucio Mayer, Privatdozent für Astrophysik an der Universität Zürich, in seiner Arbeit beschäftigt: die Anziehung der Masse durch die Gravitation, die Aufnahme und Abgabe von Energie durch Strahlung, die Bewegung von Gasen gemäss den Regeln der Gasdynamik und die gegenseitige Beeinflussung der Himmelskörper durch Magnetfelder.

Die physikalischen Gesetze, nach denen diese Kräfte wirken, sind im Grundsatz schon lange bekannt. Doch wenn man sie im konkreten Fall auf Galaxien, Sterne, Planeten oder Schwarze Löcher anwenden will, erweisen sie sich als äusserst sperrig. Eine ganze Serie von nicht-linearen Gleichungen braucht es, um das Zusammenspiel der Kräfte mathematisch zu beschreiben. Und diese Gleichungen wiederum lassen sich eben nur schwer handhaben, weil sie alle voneinander abhängen und sich Änderungen in der einen Gleichung auf die anderen auswirken.

Wie sich Gaswolken verdichten

Einen Ausweg bieten numerische Modelle: Sie entflechten das Wirrwar der Abhängigkeiten, indem alle Gleichungen simultan gelöst werden. Eine Forscherin, die dank solchen Modellen neue Einsichten in die Vorgänge im Kosmos gewinnen konnte, ist Marina Galvagni, die im Herbst 2013 bei Mayer ihre Dissertation abgeschlossen hat. Sie ging in ihrer Arbeit der Frage nach, wie grosse Gasplaneten entstehen – beispielsweise also Jupiter und Saturn. Sie bilden sich aus einer grossen Scheibe aus Staub und Gas, die nach der Entstehung eines Sterns um das noch junge Himmelsgestirn kreist – aber wie genau?

Nur 10'000 Jahre

Galvagni hat die erste Phase der Planetenbildung genauer untersucht, also die Verdichtung der diffusen Gaswolke zu einem Protoplaneten, aus dem später ein richtiger Planet entstehen wird – ein wichtiger Schritt, wie Mayer festhält. «Sie ist die erste Forscherin, die diesen Vorgang in einem dreidimensionalen Modell nachbildete», erklärt er. Eine Erkenntnis aus ihrer Arbeit ist zum Beispiel, dass bei der Verdichtung zum Protoplaneten rund die Hälfte des ursprünglichen Materials «verloren» geht. Aus diesem Material, so vermutet Mayer, bilden sich später Ringe oder Monde. Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Protoplaneten viel schneller entstehen, als man bisher dachte. Nur gerade etwa 10’000 Jahre dauert es, bis ein solches Gebilde vorliegt.

Das Modell, mit dem Galvagni arbeitete, ist äusserst komplex und benötigt viel Rechenzeit. Ungefähr sechs Monate lang musste die Doktorandin das Programm auf dem Supercomputer «Schrödinger» der Universität Zürich laufen lassen, bis die Resultate vorlagen.

Wie supermassive Schwarze Löcher entstehen

Mayers Doktorand Davide Fiacconi untersucht derweil die supermassiven Schwarzen Löcher im Zentrum der Galaxien. «Wie normale Schwarze Löcher entstehen, weiss man heute recht genau», erklärt er. «Doch die supermassiven Schwarzen Löcher sind so gross, dass die üblichen Erklärungsansätze nicht ausreichen.»

In den letzten Jahren wurden verschiedene Theorien entwickelt, wie diese gewaltigen Gebilde entstehen. Eine von ihnen geht davon aus, dass die supermassiven Schwarzen Löcher auf eine Anhäufung von Tausenden von Sternen zurückgehen, die sich im Laufe der Zeit immer mehr verdichtet. Fiacconi will diese Theorie nun in einer dreidimensionalen Simulation verifizieren. Dabei kombiniert er zwei verschiedene Modelle: Das eine arbeitet grossräumig und berücksichtigt die kosmologische Umgebung, in der sich das supermassive Schwarze Loch bildet. Das andere, kleinräumigere Modell bildet die Vorgänge im engeren Umfeld der Sternenanhäufung ab.

Wenn Galaxien kollidieren

Nach Ansicht von Mayer wird man in der theoretischen Astrophysik künftig viel häufiger Modelle miteinander kombinieren, so wie dies Fiacconi in seiner Arbeit nun macht. «Der Brückenschlag zwischen den verschiedenen räumlichen und zeitlichen Ebenen, auf denen die einzelnen Modelle arbeiten, wird immer wichtiger», ist er überzeugt.

Die Verbindung der verschiedenen Skalen stellt nicht nur in Bezug auf die Programmierung eine grosse Herausforderung dar. Auch hinsichtlich der physikalischen Grundlagen müssen neue Lösungen gefunden werden. Um gewisse Fragen zu untersuchen, müssen die Astrophysiker nämlich Modelle, die auf der klassischen Newton’schen Physik basieren, mit Ansätzen kombinieren, die sich nach den Gesetzen der allgemeinen Relativitätstheorie richten.

Eine dieser Fragen ist zum Beispiel, wie eine Kollision zwischen zwei Galaxien genau abläuft und was konkret geschieht, wenn dabei zwei supermassive Schwarze Löcher aufeinandertreffen. «Diese Frage ist nicht nur für die Astrophysik zentral, sondern für die Wissenschaft insgesamt, denn sie tangiert einen kritischen Punkt der Relativitätstheorie», erklärt Fiacconi, der diesen Vorgang in einem weiteren Projekt genauer unter die Lupe nehmen will.

Gemäss der Relativitätstheorie entstehen beim Aufeinandertreffen von supermassiven Schwarzen Löchern so genannte Gravitationswellen. Dies konnte experimentell bisher allerdings noch nie bestätigt werden. Denn die Abweichungen im Schwerefeld, die durch diese Wellen verursacht werden, sind derart gering, dass sie nur mit extrem empfindlichen Messgeräten entdeckt werden können. Genau dies strebt die Europäische Raumfahrtagentur ESA in den nächsten Jahren an. Bis zum Jahr 2028 will sie die «Laser Interferometer Space Antenna» (eLISA) im Weltall installieren, um das Gravitationsfeld präzis zu vermessen.

Relativitätstheorie revidieren?

Für die Realisierung von eLISA sind die Berechnungen von Mayers Gruppe äusserst wichtig. Denn je schneller die supermassiven Schwarzen Löcher miteinander kollidieren, desto stärker sind die daraus entstehenden Gravitationswellen.

Sollten sich die Gravitationswellen nicht wie vorausgesagt nachweisen lassen, hätte dies einschneidende Folgen: Die Relativitätstheorie müsste revidiert werden. Können diese Wellen jedoch nachgewiesen werden, wäre das ein grosser Durchbruch: Die Astronomen könnten dann das Weltall nicht mehr nur anhand elektromagnetischer Wellen erkunden, sondern auch aufgrund von Störungen im Schwerefeld. «Es wäre, als könnten wir plötzlich nicht nur sehen, sondern auch hören», meint Mayer. «Wir könnten das Universum auf eine ganz neue Weise kennenlernen.»