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Frauen in der Politik

«Das Thema Gleichstellung in der Politik ist nicht erledigt»

Frauen sind in politischen Gremien unterrepräsentiert. Nach der Einführung des Frauenstimmrechts motivierten gewählte Frauen andere Frauen, ebenfalls zu kandidieren. Dieser Effekt ist seit 1990 verschwunden, wie eine Studie des Politikwissenschaftlers Fabrizio Gilardi am Beispiel des Kantons Zürich zeigt.
Adrian Ritter
Ansteckender Erfolg: Nach der Einführung des Frauenstimmrechts motivierte der Wahlerfolg von Frauen andere Frauen, ebenfalls zu kandidieren. (zVg)

Der Kanton Zürich war noch etwas schneller als der Bund. 1969 gewährten die Zürcher den Frauen das kommunale, 1970 das kantonale Stimm- und Wahlrecht. Der Bund sollte ein Jahr später folgen.

Wie hat sich seither der Frauenanteil in den Gemeinderäten im Kanton Zürich entwickelt? Fabrizio Gilardi, UZH-Professor für Politikwissenschaft, ist der Frage in einer Studienachgegangen, die demnächst im American Journal of Political Science erscheint. Er zeigt darin, wie der Frauenanteil seit 1970 von Null auf heute 21 bis 23 Prozent anstieg. Somit sind heute in den kommunalen Exekutiven ähnlich viele Frauen vertreten wie im Nationalrat (29 Prozent) und Ständerat (19,6 Prozent).

Ein beachtlicher Sprung geschah zwischen 1990 und 1994: «Da spielte der Brunner-Effekt. Die Nicht-Wahl von Nationalrätin Christiane Brunner in den Bundesrat erzürnte damals viele Frauen und bewog sie, vermehrt bei Wahlen zu kandidieren», so Gilardi.

Wichtige Rollenmodelle

Nicht nur Politikerinnen auf der nationalen Bühne können mobilisierend wirken. Beim Entscheid, sich in der eigenen Gemeinde zur Wahl zu stellen, lassen sich Frauen vor allem von lokalen Vorbildern inspirieren, wie die Studie von Gilardi zeigt.

Der Politkwissenschaftler hat alle kommunalen Wahlen seit 1970 im Kanton Zürich untersucht. Sein Befund: Wenn in einer Gemeinde 1970 eine Frau gewählt wurde, kandidierte in 60 Prozent dieser Gemeinden bei den nächsten Wahlen eine weitere Frau. Gilardi stellte zudem einen «Nachbarschaftseffekt» fest. Nach der Wahl einer Frau bewarb sich auch in 10 Prozent der Nachbargemeinden bei der nächsten Wahl eine Kandidatin mehr.

Wahlen als Herausforderung

Kandidatinnen zu finden, war und ist allerdings eine Herausforderung. In der Anfangsphase des Frauenstimmrechts mussten Kandidatinnen bisweilen mit Anfeindungen rechnen – Frauen gehören an den Herd und zu den Kindern, seien nicht für die Politik geeignet, hiess es etwa auf Wahlplakaten.

Auch die Parteien hatten nicht immer ein grosses Interesse, Kandidatinnen zu suchen. Oft übernahmen unabhängige Frauengruppen diese Aufgabe und überlegten gemeinsam mit den Kandidatinnen, welcher Partei sie sich anschliessen könnten.

«Viele Frauen denken heute: Wenn mindestens eine Frau im Gemeinderat ist, reicht das»: Fabrizio Gilardi, Professor für Politikwissenschaft an der UZH. (Bild: Adrian Ritter)

Die Wende

Die 1970er und 1980er Jahren waren Jahre des Aufbruchs und der neuen Frauenbewegung. Die ansteckende Motivation zur Kandidatur wurde allerdings bereits nach 1974 immer geringer und verschwand 1990 ganz. Der Zuwachs an Frauen in der kommunalen Politik erwies sich nicht als Selbstläufer. Bewarb sich beispielsweise eine Gemeinderätin um ihre Wiederwahl, so hielt dies andere Frauen davon ab, ebenfalls zu kandidieren. «Frauen sehen sich vor allem in der Rolle, ein Vakuum zu füllen. Sie springen ein, wenn sich keine andere Frau zur Verfügung stellt», so Gilardi.

Die Debatte ist nötig

Heute werde zwar über Frauenquoten in Wirtschaft und Verwaltung gesprochen, aber kaum mehr in der Politik, stellt Gilardi fest: «Auch wenn die Schweiz kürzlich erstmals eine Frauenmehrheit im Bundesrat hatte, das Thema Gleichstellung in der Politik ist nicht erledigt. Der Höhepunkt der Frauenvertretung auf kommunaler Ebene war in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre mit rund 25 Prozent erreicht. Seither ist er sogar leicht rückläufig.»

Trotzdem scheint sich in der Gesellschaft die Überzeugung breit zu machen, dass sich weitere Anstrengungen erübrigen. Das Frauenstimmrecht ist heute eine Selbstverständlichkeit und junge Frauen sind deutlich weniger politisiert als in den 1970er und 1980er Jahren. «Viele Frauen denken heute offensichtlich: Wenn mindestens eine Frau im Gemeinderat ist, reicht das», so Gilardi. Entsprechend schwinde der Druck auf die Parteien, Frauen zu nominieren.

Das Interesse verlieren

Es gehe nicht darum, dass Frauen bessere Politik machten als Männer, sagt Gilardi. Aber wenn die Hälfte der Bevölkerung in den politischen Gremien kaum sichtbar sei und ihre  Anliegen nicht direkt vertreten könne, bestehe die Gefahr, dass Frauen das Interesse an Politik wieder verlieren. Noch heute sei die Stimmbeteiligung älterer Frauen aufgrund der späten Einführung des Frauenstimmrechts unterdurchschnittlich.

Gemeinden haben heute grundsätzlich Mühe, Kandidierende zu finden, ob Frauen oder Männer. Für Fabrizio Gilardi ist allerdings klar, dass Frauen grössere Hindernisse auf dem Weg zu einem politischen Amt überwinden müssen als Männer: Frauen falle es schwerer als Männern, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen – das gelte erst recht für ein zusätzliches politisches Amt. «Zudem fühlen sie sich oft zu wenig qualifiziert für politische Ämter – oft zu unrecht», so Gilardi.

Frauen geben schneller auf

Seine Untersuchung im Kanton Zürich zeigt, dass Frauen auch schneller das Handtuch werfen: Seit 1970 hat bei den Gemeindewahlen im Kanton Zürich ist keine einzige Frau, die bei der ersten Kandidatur nicht gewählt wurde, nochmals angetreten.

Für Gilardi ist deshalb klar: Insbesondere die Parteien sollten sich weiterhin bemühen, Frauen zu fördern.  Quoten sind für den Politikwissenschaftler der falsche Weg. «Wichtiger ist, wie der gegenwärtige Frauenanteil von den politischen Akteuren und der Bevölkerung wahrgenommen wird. Das Ziel ist noch nicht erreicht, sollte die Devise lauten.»

Ob der Motivationseffekt auch in anderen Kantonen festzustellen ist, will Gilardi in den kommenden zwei Jahren im Rahmen eines Projektes des Schweizerischen Nationalfonds herausfinden. Eine Hypothese, die er dabei prüfen wird: Die Kantone der Romandie haben das Frauenstimmrecht auf kommunaler und kantonaler Ebene früher eingeführt als die Kantone der Deutschschweiz. Dadurch erlebt sie vielleicht eine längere Zeit des Vorbild-Effekts.

Weiterführende Informationen

Hinweis

Am 15. November findet an der UZH die Veranstaltung «Meinungsmacherinnen 2014» statt. Es ist die 5. überparteiliche Frauentagung für Politikerinnen und politische interessierte Frauen (Organisation: Frauenzentrale Zürich)