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Kongress der Italienisch-Forschenden

«Amerika hat einen Vorsprung»

 Die Universität Zürich beherbergt von Freitag bis Sonntag die Jahresversammlung der Amerikanischen Gesellschaft für Italianistik AAIS (American Association for Italian Studies). Gespannt kann man zum Beispiel auf einige fortschrittliche Studien zu Gender-Themen sein. Der grosse Kongress mit über 650 Teilnehmerinnen und Teilnehmern steht auch der interessierten Öffentlichkeit offen.
Stefan Stöcklin

«Die italienische Schweiz wird weltweit wahrgenommen»: Die Tessinerin Tatiana Crivelli Speciale von der UZH. Bild Stefan Stöcklin

Frau Tatiana Crivelli Speciale: Die Treffen der American Association for Italian Studies (AAIS) finden in der Regel in den USA statt. Wie ist es Ihnen gelungen, diesen grossen Kongress mit 650 Teilnehmerinnen und Teilnehmern nach Zürich zu holen?

Tatiana Crivelli Speciale. Wir sind in der Tat hocherfreut, denn bisher hat sich die Vereinigung nur zweimal ausserhalb der USA getroffen – und zwar in Italien. Dass wir den Zuschlag erhalten haben, hat mit unserem guten Bewerbungsdossier zu tun.

Ausschlaggebend waren mehrere Faktoren: Italienische Literatur und Kultur sind an der Universität aber auch in der Stadt Zürich gut vertreten. Ich bin Tessinerin und sehe mit Stolz die grosse internationale Ausstrahlungskraft unserer Lehre an der UZH.

Ein weiterer Punkt ist der Umgang der Schweiz mit ihrer Mehrsprachigkeit und ihren Minderheiten. Das eröffnet eine wissenschaftliche Perspektive, die die Amerikaner sehr interessiert.

Welche Rolle spielt die italienische Schweiz im internationalen Kontext?

Tatiana Crivelli Speciale: Im Vergleich mit Italien repräsentiert die italienische Schweiz natürlich nur einen kleinen Teil der italienischen Literatur und Kultur. Aber sie hat ein eigenes Profil und strahlt weltweit aus, Schriftsteller aus dem Tessin werden sogar in den USA übersetzt. Der Kongress bietet die gute Gelegenheit, unsere Autoren zu präsentieren. Dazu finden auch Diskussionen zur Bedeutung der Literatur der italienischen Schweiz statt.

Bei der Durchsicht des Programms fällt die Breite der Themen auf. Gibt es ein übergreifendes Ziel des Kongresses?

Tatiana Crivelli Speciale: Es gibt kein grosses Kongressthema und die dazugehörigen Fachvorträge, wie es sonst in Europa üblich ist. Stattdessen geht es darum, den Puls der aktuellen Forschung in seiner ganzen Breite zu fühlen. Der Kongress ist mit seiner Vielfalt typisch für die USA. Das ergibt eine interessante Gegenüberstellung der Forschung aus den USA, Europa und der Schweiz.

Worin unterscheidet sich die Sprachforschung hierzulande von jener in den USA?

Tatiana Crivelli Speciale: In der Schweiz befinden wir uns in einem vielsprachigen Kontext und gehen mit dem Thema Sprache und Identität anders um als die USA oder Italien. Wenn es eine vorherrschende Sprache gibt, ist Identität einfacher gegeben. Mehrsprachigkeit eröffnet vielfältige Forschungsthemen.

Die Themen Geschlechterforschung (Gender) und Frauen sind auffallend präsent am Kongress. Was ist der Grund?

Tatiana Crivelli Speciale: Das hat damit zu tun, dass Untersuchungen zu Gender-Themen und Women- oder Queer-Studies in den USA stärker verbreitet sind als hier. Wir betreiben natürlich auch in der Schweiz Geschlechterforschung, aber nicht in dem Ausmass. Die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen haben diesbezüglich einen Vorsprung.

Die Forschungspräferenzen in den USA zwischen Disziplinen und Area Studies sind für uns hoch interessant. Die traditionelle Fächeraufteilung in den Geisteswissenschaften –zum Beispiel italienische, deutsche oder französische Literaturwissenschaft – wird zunehmend durchkreuzt durch sogenannte Area Studies zu Themen wie Women, Photographie oder Film.

Die Area Studies werden jetzt auch bei uns im Rahmen der inter- und transdisziplinären Studienprogramme wichtiger. Das Verhältnis zwischen Disziplinen und Area-Studies interessiert mich ganz besonders und ist ein wichtiges Diskussionsthema.

Gibt es sonst ein Thema, das Ihnen besonders wichtig ist?

Tatiana Crivelli Speciale: Ich möchte nochmals auf die grosse Bedeutung der Vielsprachigkeit hinweisen. Aber die traditionelle Mehrsprachigkeit der Schweiz kommt leider unter Druck. Das Italienische verliert an den Schulen und teilweise auch an den Universitäten an Boden. Der Kongress ist eine Gelegenheit, auf diesen Missstand aufmerksam zu machen.

Bei der Politik macht Italien seit Jahren eher negative Schlagzeilen. Ist dies auch ein Thema am Kongress?

Tatiana Crivelli Speciale: Es gibt einige Panels über Geschichte und Politik, die aber die 1970er Jahre betreffen. Ich denke, wir haben die Nase voll, immer über die letzten 20 Jahre der Ära Berlusconis zu diskutieren.

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