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Wissenschaft und Kunst

«Die beiden Kulturen sind sich näher, als man denkt»

Eine Tagung am 26. Januar widmet sich der Frage, was Kunst und Wissenschaft voneinander lernen können. Neurobiologie-Professor Stephan Neuhauss wird dabei von seinen Erfahrungen berichten. Kunst und Wissenschaft verfolgen für ihn dasselbe Ziel – die Umwelt zu erforschen und zu verstehen.
Adrian Ritter

«Wissenschaftler und Künstler müssen kreativ sein»: Neurobiologe Stephan Neuhauss.

UZH News: Herr Neuhauss, welche Erfahrungen haben Sie als Wissenschaftler in der Begegnung mit Kunst gemacht?

Stephan Neuhauss: Unsere Forschungsgruppe am Institut für Molekularbiologie war 2008 innerhalb der Universität Zürich einer der ersten Gastorte für das Projekt «Artists in Lab». Dabei verbringen Künstlerinnen und Künstler eine gewisse Zeit an einem Institut und erhalten Einblick in die universitäre Welt. Die Medienkünstlerin Jill Scott besuchte während eines Jahres wöchentlich unsere Gruppe.

Wie sahen diese Besuche aus?

Stephan Neuhauss: Wir untersuchen das Sehsystem von Zebrafischen. Wir wollen herausfinden, wie das Zusammenspiel von Augen und Gehirn funktioniert und welche Störungen zu Augenkrankheiten führen. Jill Scott war dabei, wenn wir histologische Hirnschnitte untersuchten und mit gentechnischen Methoden etwa Mutationen im Sehzentrum von Fischen erzeugten.

Aus ihren Beobachtungen entstand die Installation «The electric retina», die sie an Ausstellungen im In- und Ausland zeigte. Diese «Netzhautskulptur» simuliert, wie gesunde und an Augenkrankheiten leidende Zebrafische die Welt sehen.

Welche Auswirkungen hatte die Begegnung mit Jill Scott auf Ihre Arbeit?

Stephan Neuhauss: Einerseits haben wir als Wissenschaftler durch die Gespräche und die Besuche im Atelier von Jill Scott Einblick erhalten in die Welt der Kunst. Vor allem aber hat der Austausch uns ein besseres Verständnis davon gegeben, wie Aussenstehende unsere Arbeit wahrnehmen.

Wir haben erfahren, dass Aussenstehende unsere Arbeit nicht nur als nützlich, sondern auch als emotional, spannend und «cool» erleben, wenn sie entsprechend vermittelt wird. Dies hat uns darin bestärkt, wie wichtig es ist, die Kommunikation mit der Gesellschaft zu pflegen.

Unser Labor hat den Kontakt mit der Öffentlichkeit schon immer gesucht. So waren wir mit unseren Zebrafischen und unserer Forschung etwa an der Expo02 sowie an Ausstellungen im Landesmuseum in Zürich und im Zentrum Paul Klee in Bern vertreten.

Eignet sich die Neurobiologie speziell gut für die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern?

Stephan Neuhauss: Jede Disziplin eignet sich dafür, denn jede Wissenschaft hat spannende Fragestellungen und kann begeistern, wenn sie gut erklärt wird. Die Arbeit unserer Forschungsgruppe ist insofern der Kunst sehr nah, als wir mit dem Sehsinn arbeiten und Kunst grösstenteils auch visuell wahrgenommen wird. Zudem entstehen in unserer Forschung bisweilen sehr ästhetische Bilder von Zellen und Organismen – die bisweilen an Kunstwerke erinnern.

Welche Gemeinsamkeiten zwischen Kunst und Wissenschaft sehen Sie allgemein?

Stephan Neuhauss: Unsere Forschung hilft nicht nur, neue Diagnosen und Therapien von Augenkrankheiten zu finden, sie ist auch Ausdruck des menschlichen Drangs, die Welt zu verstehen. Insofern sind Kunst und Wissenschaft zwei Arten, die Umwelt zu erforschen und zu verstehen. Wissenschaft ist wie Kunst ein Kulturprodukt. Die beiden Kulturen sind sich näher, als man denkt. Wissenschaftler müssen wie Künstler kreativ sein, wenden bestimmte Methoden an und müssen häufig Anträge schreiben, um ihre Arbeit zu finanzieren.

Wie sehen Fische die Welt? Die «Electric retina» von Jill Scott gibt Auskunft. Die Installation entstand während eines Gast-Aufenthaltes in der Forschungsgruppe von Stephan Neuhauss.

Was kann die Kunst von der Wissenschaft lernen?

Stephan Neuhauss: Die Wissenschaft verwendet eine möglichst eindeutige Sprache, die Kunst aber lebt gerade von der Mehrdeutigkeit. Meines Erachtens ist Kunst oft dekorativ und interpretiert die Wirklichkeit zu wenig. Die Wissenschaft wirft wichtige Fragen auf, welche die Kunst thematisieren könnte und sollte: Wie verändert sich unser Menschenbild, wenn wir bald unser ganzes Genom kennen? Wie verändert sich unser Verhältnis zu Tieren, wenn wir immer klarer sehen, wie nah verwandt wir mit ihnen sind?

Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wissenschaft, die Sie speziell interessieren würde?

Stephan Neuhauss: Ich würde gerne einmal mit einem Musiker zusammenarbeiten. Vielleicht könnte er uns aufzeigen, wie unsere Forschung «tönt». Es gibt zum Beispiel ein Lied der Gruppe «Sonic Youth», in welchem ein blechernes Geräusch erklingt. Es tönt wie unserer Transplantier-Maschine, mit der wir Zellen verpflanzen.

Die Zusammenarbeit mit Musikern interessiert mich auch speziell, weil ich früher selber Bratsche spielte und seit kurzem E-Bass und E-Gitarre spiele. Meines Wissens gibt es im Rahmen von «Artists in Lab» am Herzzentrum des Universitätsspitals Lausanne ein Projekt mit einem Musiker.

Umgekehrt ist es bestimmt auch für Wissenschaftler interessant, selber an einem Austausch im Sinne von «scientists in art» mitmachen. Ein entsprechendes Projekt wird gerade von der Zürcher Hochschule der Künste aufgegleist.