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Ausstellung Zivilcourage

Mut ist erlernbar

Weil sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen, schauen die meisten Menschen weg, wenn jemand angepöbelt oder gar geschlagen wird. Das Stadthaus Zürich zeigt in einer Ausstellung zur Zivilcourage, wie man eingreifen kann. UZH-Psychologieprofessorin Veronika Brandstätter-Morawietz hat die Ausstellung wissenschaftlich begleitet.
Marita Fuchs

Will mit der Ausstellung «Zivilcourage» das Bewusstsein dafür schärfen, dass wir alle für die Wahrung der Grundrechte Verantwortung tragen: Psychologieprofessorin Veronika Brandstätter-Morawietz.

Frau Brandstätter, Sie haben die neue Ausstellung über Zivilcourage mitgestaltet. Was erhoffen Sie sich von der Ausstellung?

Veronika Brandstätter-Morawietz: Die italienische Journalistin Franca Magnani hat einmal gesagt: «Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen.» Sie bringt es damit auf den Punkt: Für die Wahrung unserer Grundwerte sind wir alle, jede Einzelne und jeder Einzelne, verantwortlich. Ich hoffe, dass die Ausstellung das Bewusstsein dafür verstärken kann.

Viele Menschen möchten couragiert handeln, wissen jedoch nicht wie. Warum ist das so?

Veronika Brandstätter-Morawietz: Es gibt vier Hauptgründe fürs Wegschauen: Man möchte sich nicht in die vermeintliche Privatsphäre anderer Menschen einmischen. Man möchte sich nicht exponieren. Man weiss schlicht nicht, was zu tun wäre. Man ist zu aufgeregt, um zu handeln – und dies, obwohl man eigentlich fest entschlossen ist, sich für andere einzusetzen. Es gibt eine Lücke zwischen Einstellung und Verhalten. Das möchten wir in der Ausstellung thematisieren.

Mit welchen Mitteln wird dieses Ziel umgesetzt?

Veronika Brandstätter-Morawietz: Im Zentrum steht ein so genanntes «Serious Game», ein elektronisches Schattenspiel, das die Besucherinnen und Besucher mit Situationen konfrontiert, in denen Zivilcourage gefragt ist. Die Schattenspielfiguren sind nahezu lebensgross und visuell eindrücklich.

Welche Szenen sind zu sehen?

Veronika Brandstätter-Morawietz: Der Parcours umfasst sieben Stationen, jede konfrontiert den Besucher oder die Besucherin mit sich selbst in einer konkreten Situation, die Zivilcourage erfordert: Wie soll ich reagieren? Soll ich Verantwortung übernehmen und mich einmischen? Und wie?

So sind die Besucher zum Beispiel Zeuge einer Pöbelei oder von Mobbing. Interessant am Serious Game ist, dass die Besucher in das Geschehen eintauchen und dadurch das Spiel dynamisch lenken können. Sie werden selbst zu Akteuren. In jeder Situation sind die Spielenden gezwungen, schnell und unmittelbar zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten zu wählen und beeinflussen dadurch den weiteren Verlauf des Spiels.

Kann man sich durch dieses Spiel auf Situationen im Alltag vorbereiten?

Veronika Brandstätter-Morawietz: Ja. In unserer Forschung zur Zivilcourage konnten wir nachweisen, dass Rollenspiele einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, sich auf Situationen vorzubereiten, die couragiertes Verhalten erfordern. Die Ausstellung bietet zwar keine Rollenspiele, doch die Möglichkeiten des Serious Game kommen diesen sehr nahe.

Die Selbstreflexion, die damit zusammenhängt, ist auch in Zivilcourage-Kursen ein wichtiges Element, denn die Teilnehmer überlegen sich dann, in welchen Situationen sie mutig Stellung beziehen möchten. Üben muss man dann die Sensibilität für soziale Prozesse und die Kommunikationsfähigkeit – beides steht als Bindeglied auch über den sieben im Spiel dargestellten Situationen.

Es gibt auch Menschen, die von ihrer Persönlichkeit her mutig sind.

Veronika Brandstätter-Morawietz: Personen, die ein gesundes Selbstvertrauen haben, sind tatsächlich eher bereit, in kritischen Situationen oder bei Unfällen einzugreifen. Eine grosse Rolle spielt auch, welche Werte die Person als verbindlich erachtet. Ist jemand bereit, soziale Verantwortung zu übernehmen, wird er eher eingreifen als jemand, der darauf bedacht ist, seine eigene Haut zu retten.

Wie lernt man, Gefahren richtig einzuschätzen?

Veronika Brandstätter-Morawietz: Es ist wichtig, sich der Risiken bewusst zu werden und zu lernen, was wann angebracht ist. Zu dieser Risikoabschätzung bekommen die Besucherinnen und Besucher in der neuen Ausstellung viele Informationen. Klar ist jedoch, dass es keine Standardsituationen gibt und keine Rezepte. Jede Situation ist anders, deshalb ist es gut, wenn man ein Verhaltensrepertoire hat. Für alle, die sich intensiver mit Zivilcourage auseinandersetzen möchten, werden im Rahmen der Ausstellung Zivilcourage-Trainings angeboten. Zusätzlich zur Ausstellung gibt es eine Informationsbroschüre im Zeitungsformat mit nützlichen Hintergrundinformationen.