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Dialektforschung

Vom «Anke» zur «Butter»

Nur drei Jahre nach der Erstausgabe ist im Mai 2013 bereits die fünfte Auflage des «Kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz» erschienen. Die neue Ausgabe ist überarbeitet und um zwei Kapitel erweitert worden. Wer sich für die Herkunft von Flur-, Orts- und Familiennamen, aber auch für aktuelle Entwicklungen im schweizerdeutschen Dialekt interessiert, kommt nun auf seine Rechnung. 
Ursula Schwarb
Anke, Ai(c)hu, Schmaalz oder Britschi – in der deutschen Schweiz gibt es viele verschiedene Mundartbezeichnungen für «Butter».

Vergleicht man die Karten auf den Seiten 100 und 340 im Sprachatlas, sieht man es sofort: Das Wort «Butter», das vor rund 70 Jahren nur in der östlichsten Ostschweiz gebräuchlich war, hat sich bis nach Zürich ausgebreitet und ist in Gebiete, wo man traditionell «Anke» sagte, eingedrungen. Eine Art «Verbutterung» der Schweiz also? An anderer Stelle ein zweites Phänomen: Während man dem «Kuss» auch «Schmatz», «Schmutz», «Chuss», «Schmützli» oder «Chüssli» sagen könnte, verwendet man heute offenbar vorwiegend das Wort «Kuss».

Welche Bezeichnungen bestimmte Dinge in bestimmten Deutschschweizer Regionen haben, lässt sich im «Kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz auf über 120 farbigen Sprachkarten nachschauen. Das Buch, das von Elvira Glaser, Professorin am Deutschen Seminar der Universität Zürich, mitherausgegeben wird, ist die kurze und leicht verständliche Variante des umfassenden «Sprachatlas der deutschen Schweiz» (siehe unten). Es liefert sprachgeschichtliche Hintergründe und vielfältige, oft überraschende, manchmal auch amüsante Informationen zum Wortschatz und zu anderen Besonderheiten der schweizerdeutschen Dialekte. Als Neuerung gibt die 5. Ausgabe Einblick in die sprachgeschichtliche Entstehung von Flur-, Orts- und Familiennamen und präsentiert die Ergebnisse neuerer Umfragen.

Aktueller Stand der Dialektforschung

Im Kapitel «Namen» kann man zum Beispiel lernen, dass Familiennamen erst seit dem 12. Jahrhundert üblich sind und dass sie entweder vom Beruf (Müller), vom Herkunftsort (Zürcher), vom Wohnort (Brugger, Egger), von damals gebräuchlichen Rufnamen (Burkhard) oder von Spitznamen (Fuchs, Gröbli) abgeleitet wurden. Zudem wird auf einigen Karten illustriert, wo in der Deutschschweiz welche Familiennamen um 1800 verbreitet waren.

Das Kapitel «Neuere Umfragen» gibt Einblick in den aktuellen Stand der Dialektforschung: Es stellt einerseits neueste sprachwissenschaftliche Erkenntnisse zum mundartlichen Satzbau vor. Andererseits wurden Daten aus einer Online-Befragung aus dem Jahr 2008 mit über 13‘500 Teilnehmenden aufgearbeitet und dem bisherigen Wissen zur Verbreitung des Wortschatzes gegenübergestellt.  

Elvira Glaser, Professorin für germanische Philologie am Deutschen Seminar, ist Mit-Herausgeberin des «Kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz».

Wortschatz im Wandel

Besonders interessant sind die Karten und Kommentare zur Frage, wie sich der Wortschatz verändert. Sie zeigen exemplarisch, dass nicht nur die Wörter «Butter» und «Kuss» in der ganzen Deutschschweiz an Bedeutung gewonnen haben. Auch das Wort «Rööschti» hat sich erfolgreich gegen «Brausi» oder «Bräusi» durchgesetzt.

Kann man nun von einer Verarmung der Mundart sprechen? Elvira Glaser bestätigt, dass die Variantenvielfalt im schweizerdeutschen Dialekt punktuell abnehme. Gleichzeitig sei jedoch zu beobachten, dass gewisse Bezeichnungen als Minoritätsformen weiterexistieren. Daher zeichneten sich die Mundarten alles in allem noch immer durch einen reichen Wortschatz aus.

Zahlreich sind die in der Sprachwissenschaft diskutierten Hypothesen dazu, warum sich bestimmte Worte ausbreiten und andere eher seltener werden: Dass «Butter» gegenüber anderen Wörtern an Bedeutung gewonnen hat, könnte unter anderem mit dem allgegenwärtigen Schriftzug Butter auf dem entsprechenden Produkt im Detailhandel zusammenhängen. Die These dahinter ist, dass Mundartwörter, die durch die Schriftsprache gestützt werden, das Potential haben, sich als gesamtschweizerische Varianten zu etablieren.

In Zürich beliebt: Der «Schmatz»

Ein ähnlich gelagerter Fall wäre dann «Rööschti» beziehungsweise «Rösti»: Es könnte sein, dass das Wort dank seiner Präsenz auf Speisekarten und Verpackungen gegenüber anderen Bezeichnungen des Kartoffelgerichts Oberhand gewonnen hat. Umgekehrt zeigt sich beim Wort «Kuss», dass dieses sich zwar gesamtschweizerisch immer mehr verbreitet. Gleichzeitig haben Elvira Glasers Forschungen aber auch die Ausdehnung des Wortes «Schmatz» im Raum Zürich oder sogar neue Wörter wie «Schmatzer» belegt.

Glaser hält fest, dass bei Veränderungen im Wortschatz und Sprachgebrauch immer sehr viele verschiedene Faktoren zusammenspielen. Die Forschung darüber ist noch längst nicht abgeschlossen. Zukünftige Ergebnisse, so ist zu hoffen, werden in kommende Auflagen des Kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz einfliessen.