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Politikwissenschaft

Ungleiche Chancen bei Einbürgerungen

Immigranten aus Ex-Jugoslawien und der Türkei werden bei Einbürgerungsverfahren durch Gemeindeversammlungen eher abgelehnt als Westeuropäer. Das hat der Politikwissenschaftler Dominik Hangartner herausgefunden. Im Interview mit UZH News interpretiert er seine jüngsten Forschungsergebnisse. 
Marita Fuchs

Wenn Gemeindeversammlungen über Einbürgerungsgesuche entscheiden, ist die Ablehnungsquote deutlich höher, als wenn Gemeinderäte oder Gemeindeparlamente zuständig sind.

Herr Hangartner, Sie haben festgestellt, dass es grosse Unterschiede bei der Einbürgerung gibt, je nach dem ob Gemeindeversammlungen oder Gemeindeparlamente entscheiden.

Dominik Hangartner: Im ersten Teil unserer Studie haben wir untersucht, was geschieht, wenn in der Gemeinde per Urnenabstimmung über Einbürgerungsanträge befunden wird. Das Prozedere ist dabei immer ähnlich: Der Antragsteller muss zuvor seinen Lebenslauf und andere Angaben zur Person und Familie einreichen. Diese Informationen werden schriftlich allen Stimmberechtigten zugestellt und einige Zeit später wird abgestimmt.

Wir haben festgestellt, dass vergleichbare Antragsteller, die sich zur gleichen Zeit in derselben Gemeinde bewerben, die gleich gut integriert sind, die gleichen Kenntnisse der deutschen Sprache haben, ähnliche Berufe ausüben und gleich lang in der Schweiz leben, aber aus unterschiedlichen Herkunftsländern kommen, sehr unterschiedlich behandelt werden. Bewerber aus Italien zum Beispiel werden gegenüber denjenigen aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei bevorzugt. In Zahlen ausgedrückt: Die Ablehnungsrate war sogar zehnmal höher. Das sind dramatische Differenzen.  

Wie erklären Sie sich, dass es gerade Türken und Menschen aus Ex-Jugoslawien so schwer haben, sich mit ihrem Gesuch durchzusetzen, auch wenn sie gut integriert sind und die Landesprache beherrschen?

Dominik Hangartner: Wir haben den Zeitraum von 1970 bis 2003 untersucht und konnten zeigen, dass die xenophoben Präferenzen dynamisch auf den Zustrom neuer Immigranten reagierten. Immer diejenige Gruppe von Immigranten, die gerade als letzte ins Land kommt, wird am heftigsten abgelehnt. Früher waren es die Italiener, um 2003 und später sind es die Ex-Jugoslawen und Türken.

Spiegelt das Abstimmungsverhalten auch Konflikte zwischen Immigranten und Schweizern wieder? Könnte die Kriminalitätsrate von Bürgern aus Ex-Jugoslawien eine Rolle spielen?

Dominik Hangartner: Das weiss ich nicht. Doch diejenigen Menschen, die einen Antrag auf Einbürgerung einreichen, haben alle einen guten Leumund und sind nie kriminell auffällig geworden. Es handelt sich zumindest um eine statistische Diskriminierung, wenn diese Menschen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe abgelehnt werden.

Könnten nicht auch andere Gründe eine Rolle spielen, zum Beispiel ökonomische? Jede Gemeinde hat doch gern reiche Steuerzahler?

Dominik Hangartner: Bei Gemeindeversammlungen können die Stimmberechtigten Einsicht in die Akten nehmen. Sie erfahren, welche Ausbildung und welchen Job die Antragsteller haben, wie gut ihre Sprachenkenntnisse sind und wie gut sie integriert sind. Doch alle diese Kriterien spielen kaum eine Rolle. Ausschlaggebend bleibt das Herkunftsland.

Plädiert gegen die Diskriminierung bei Einbürgerungen, Politologe Dominik Hangartner.

Sie haben im zweiten Teil Ihrer Studie festgestellt, dass Gemeindeparlamente ganz anders abstimmen als direktdemokratische Gemeindeversammlungen.

Dominik Hangartner: Wenn ein Gemeinderat oder Gemeindeparlament über die Einbürgerungen bestimmt, werden Anträge genau derjenigen Gruppen vermehrt akzeptiert, die zuvor am stärksten abgelehnt wurden. Sprich: Antragsteller aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei haben unter diesen Bedingungen gute Chancen, angenommen zu werden. 

Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?

Dominik Hangartner: Wir haben dazu über 200 Gemeindeschreiber befragt, deren Gemeinden von der Gemeindeversammlung zum Gemeindeparlament gewechselt haben. Kaum einer hat gesagt, dass die gewählten Politiker offener oder linker wären als ihre Wähler. Das ist nicht der Grund für das unterschiedliche Abstimmungsverhalten.

Was steckt dann dahinter?

Dominik Hangartner: Wenn ein Einbürgerungsantrag vorliegt, kann ich als Bürger an der Urne mit Ja oder Nein stimmen, ohne das rechtfertigen zu müssen. Dies liegt quasi in der Natur der direkten Demokratie. Anders bei den gewählten Vertretern: Sie müssen bei Ablehnung eines Einbürgerungsantrages eine schriftliche, stichhaltige und eventuell rekursfähige Begründung abgeben. Diese Begründungspflicht macht unserer Ansicht nach den Unterschied aus.

Konsistent mit dieser Erklärung haben wir zeigen können, dass auch in eher konservativen Gemeinden nach der Umstellung der Anstieg der Einbürgerungsraten, besonders von Ex-Jugoslawen und Türken, aussergewöhnlich hoch war.

Wie wirken sich gescheiterte Einbürgerungsbegehren auf die Menschen aus?

Dominik Hangartner: In einem Folgeprojekt unserer Untersuchungen, das wir gerade abschliessen, sind wir dieser Frage nachgegangen. Dazu haben wir die Lebensläufe von 700 Antragstellern über mehrere Jahre hinweg nachverfolgt. Darunter Antragsteller, die knapp angenommen wurden und solche, die wegen ein paar fehlenden Stimmen knapp abgelehnt wurden.

Wir analysieren nun, ob die nur knapp Angenommenen ökonomisch und sozial besser gestellt sowie politisch besser integriert sind, als die Nichteingebürgerten. Falls dem so wäre, würde sich die Einbürgerung letztlich auch für die Gemeinden wieder positiv auswirken. 

Welche Schlüsse ziehen Sie insgesamt aus den Resultaten Ihrer Studie?

Dominik Hangartner: Noch 1990 setzten 80 Prozent der Gemeinden bei der Einbürgerung auf die direkte Demokratie, heute sind es noch 30 Prozent. Um das Risiko diskriminierender Entscheide zu vermindern, sollten alle Gemeinden die Entscheide an gewählte Politiker und Politikerinnen oder spezialisierte Kommissionen delegieren.