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Es ist eine Weile her, dass sie die Schulbank gedrückt haben. Die 18 Männer der Grenzwachtregion II stehen mitten im Arbeitsleben. Als Grenzwächter patrouillieren sie auf der Strasse oder in Zügen, kontrollieren Gepäck und Passagiere am Flughafenzoll oder untersuchen verdächtige Sendungen im Briefzentrum der Post in Mülligen. Im Berufsalltag kommt es oft vor, dass die Grenzwächter Proben nehmen. Sie stellen zum Beispiel verbotene Stoffe sicher, die zur Analyse in ein Labor geschickt werden. Nun aber standen sie für einen Tag selbst in einem Labor. Die Weiterbildung am Life Science Zurich Learning Center auf dem Irchel-Campus sollte den Männern einen Einblick geben in die Technik des genetischen Fingerabdrucks.
Ladan Egolf leitete den Schnupperkurs in forensischer Genetik an der UZH Irchel. Die promovierte Biologin arbeitet zu 70 Prozent am Institut für Hirnforschung und unterrichtet zu 30 Prozent im Learning Center. Im Kurs ging es um «Fingerprinting». So heisst die Technik, mit der individuelle DNA-Profile erstellt werden. «Wie ein Fingerabdruck ist die genetische Information in der Erbsubstanz jeder Person einmalig», erklärte die Kursleiterin.
Seit 1987 wird dieses Verfahren in der Forensik angewandt, um Spuren einer Person zuzuordnen oder einen Täter zu überführen. Die gleiche Technik hilft auch bei Vaterschaftstests oder zur Identifizierung von Toten. «Die DNA ist der Träger der genetischen Information und ist in jeder menschlichen Zelle enthalten», sagte Egolf. Wie man als TV-Krimi-Konsument weiss, findet man die DNA auch in Spuren, etwa in Haaren, Blut oder Hautschüppchen.
Aber wie wird die DNA verglichen? Die Grenzwächter schlüpften in ihrer Weiterbildung auch selber in den Kittel eines Biologie-Laboranten. «Der Kurs ist eigentlich für Gymnasialklassen konzipiert. Bei den Grenzwächtern legen wir mehr Wert auf den Praxisbezug», sagte Egolf. So führte sie für die Grenzwächter ein Krimi-Szenario ein, wie es auch am Zoll passieren könnte: Es gab bei einer Kontrolle ein Gerangel mit einem Verletzten und mehreren möglichen Tätern. Im Übungsbeispiel sollten die Grenzwächter die DNA von vier Verdächtigen mit der am Tatort gesicherten DNA vergleichen. Bevor sie selber zur Pipette griffen, wurden sie von der Dozentin auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Spurensicherung hingewiesen. Denn wenn die falsche Probe eingeschickt wird, kann selbst das eindeutigste Testergebnis falsch sein.
Im ersten Kursteil wurde die DNA kopiert. Diese Vervielfältigung ist nötig, um ausreichend Ausgangsmaterial für eine Analyse zu erhalten. Das Verfahren heisst Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Erfunden wurde es vom amerikanischen Bio-Chemiker Kary Mullis in den 1980er-Jahren. Er bekam dafür 1993 den Nobelpreis. Mittels PCR imitieren die Forscher quasi die menschlichen Zellen, die im natürlichen Zellbildungsprozess ständig die DNA kopieren. An der Wandtafel listete Egolf die Zutaten auf, die es braucht, um die Kettenreaktion in Gang zu bringen. «Das ist ja wie beim Kochen», kommentierte ein Kursteilnehmer.
Im Rezept wird zur Ursprungs-DNA der Probe zuerst ein Primerpaar gegeben. «Das bestellen wir im Internet», so Egolf. Mit Hilfe der Primer kann man den Abschnitt der DNA bestimmen, welchen man kopieren möchte. «Wir wollen nur jene Sequenz auf der DNA vervielfachen, die den Menschen identifiziert», sagte die Dozentin. Die letzte Zutat im Rezept heisst Polymerase. Diese bringt den ganzen Prozess sofort in Gang, betonte Egolf: «Deshalb geben wir sie erst am Schluss bei, weil die Polymerase sehr sensibel auf Wärme reagiert.» Sobald man die Polymerase beigibt, fängt die Reaktion automatisch an. Deshalb wird das Reagenzglas sofort aufs Eis gelegt, wenn die Mixtur fertig ist.
Das Hantieren mit den kleinen Pipetten und Mikroliter-Reagenzgefässen will geübt sein. Bereits das Beschriften ist eine filigrane Sache. Und der Umgang mit den Mikrodosen ist für die Laien ungewohnt. Die Dozentin gab den Grenzwächtern Tipps: «Versuchen Sie möglichst ohne Luftblasen zu pipettieren, um keinen Schaum zu produzieren.» Wenn die Mischung gemäss Rezept auf Reagenzgläschen verteilt ist, kommt sie in eine Zentrifuge.
Anschliessend werden die kleinen Gefässe in eine DNA-Kopier-Maschine gestellt, in der über Mittag in dreissig zyklischen Hitzeverfahren rund eine Milliarde Kopien der Ursprungs-DNA entstehen. «Wie kann das sein, dass die menschliche Polymerase auf bis zu 98 Grad erhitzt wird, ohne dass sie zerstört wird?», fragte ein Grenzwächter. «Schön, dass diese Frage kommt!», bedankte sich die Kursleiterin für den Steilpass. Denn genau deshalb werde für die PCR eine hitzestabile Polymerase verwendet. Diese stammt von einem Bakterium, das in heissen Geysiren Islands lebt.
«Könnte man mit PCR auch ausgestorbene Urviecher nachzüchten?», fragte ein weiterer Schüler aus der Erwachsenenklasse. «Man könnte es versuchen, bei einzelligen Organismen, deren genetische Information vollständig entschlüsselt ist, müsste es eigentlich gehen», lautete die Antwort der Dozentin. Ganz bei der «Jurassic Parc»-Fiktion sei die synthetische Biologie noch nicht angelangt. Die Grenzwächter fragten sich auch, wieso die praktische Information des digitalen Fingerabdrucks nicht gleich im Pass festgehalten werde. Egolf antwortete diplomatisch: «Das wäre wohl nicht allen recht.» Dies zeige auch die Skepsis gegen das Erfassen von biometrischen Daten wie Gesichtsbild und konventionellem Fingerabdruck in neuen Pässen.
Die Initiative für diese Weiterbildung seiner Kollegen kam von Grenzwächter Walter Moser. Er hat mehr Laborerfahrung als viele seiner Kollegen. Doch auch er habe viel gelernt, sagte Moser: «Es geht ja erst einmal darum, dass man selber keine Spuren legt.» Sein Berufskollege Martin Fröhlich schätzte die Abwechslung im Labor ebenfalls: «Es war sehr interessant, zu sehen, was mit unseren Proben passiert, wenn wir sie ins Labor schicken.» Und ein dritter Kollege, Dominik Jauner, teilte die sehr positive Bilanz zum Weiterbildungstag im Life Science Zurich Learning Center: «Es war sehr anschaulich und verständlich erklärt. Besonders auch für uns, die wir nicht vom Fach sind.»