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Netzneutralität

Klassengesellschaft im Internet

Einst flossen die Daten gleichberechtigt durchs Internet. Neuerdings werden manche prioritär befördert, andere künstlich verlangsamt. Der Jurist Simon Schlauri untersucht, wie das Recht damit umgehen soll.  
Thomas Müller
Setzt sich mit der Frage auseinander, ob die Schweiz die Netzneutralität durch ein Gesetz gewährleisten sollte: Privatdozent Simon Schlauri.

Weit über hundert Millionen Personen nutzen weltweit WhatsApp, die kleine Anwendung fürs Handy, mit der man Kurznachrichten verschicken kann. Das funktioniert ähnlich wie mit SMS – bloss gratis. Der Effekt auf die Millionenumsätze der Telekomkonzerne mit SMS ist vergleichbar mit der Wirkung der kostenlosen Internettelefonie von Skype sechs Jahre zuvor auf die Auslandtarife im Festnetz: Die neue Konkurrenz lässt Umsätze wegbrechen, Tarifsenkungen werden nötig. Da liegt es nahe, den unliebsamen Mitbewerber aus dem Internet kurzerhand zu sperren. Vor einiger Zeit verbot in den Niederlanden denn auch ein Mobilfunkanbieter seinen Kunden, WhatsApp und Skype zu nutzen, andere verlangten dafür zusätzliche Gebühren.

Das stellt eine Verletzung der Netzneutralität dar, nach der das Internet bis anhin funktionierte. Dieser Grundsatz bedeutet, so der Privatdozent für Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht an der UZH, Simon Schlauri, «dass die Internetprovider allen Datenverkehr im Internet gleich behandeln und insbesondere einzelne Anbieter von Inhalten oder Anwendungen nicht diskriminieren». Bloss: Rechtlich verankert ist die Netzneutralität nicht, zumindest nicht eindeutig.

Ärgerliche Verzögerungen

Doch sie lässt sich aus dem Wettbewerbsrecht ableiten. «Man kann sich fragen, ob der Internetprovider eine marktbeherrschende Stellung missbraucht, wenn er gewisse Anwendungen aussperrt oder verlangsamt», sagt Schlauri. Whats-App oder andere Start-ups könnten also möglicherweise mit einer Klage ihren Zugang zu den Nutzern einfordern. Doch solche Verfahren ziehen sich oft über Jahre hin. Und weil die technologische Entwicklung die Marktbedingungen rasch verändert, ist ein Erfolg trotz allem ungewiss. Kein junges Internetunternehmen, das bei Sinnen ist, wird sich auf einen dermassen kostspieligen Prozess einlassen. Die Niederlande haben deshalb kurzerhand ein Gesetz für die Netzneutralität erlassen, das Sperren und andere Diskriminierungen klipp und klar verbietet.

Braucht auch die Schweiz ein solches Gesetz? Um diese Frage zu beantworten, betrachtete Simon Schlauri zunächst, wie die Bits und Bytes durchs Internet fliessen: Bei einer diskriminierungsfreien Weiterleitung werden alle Datenströme gleich behandelt und raschmöglichst befördert; ist eine Leitung überlastet, so werden einzelne Datenpakete verworfen, und zwar gleichmässig von allen Datenströmen («Best Effort»). Der Verlust gewisser Datenpakete ist nicht weiter tragisch, wenn man einen grossen Download macht und zugleich eine E-Mail eintrudelt.

Wird nämlich der Empfang eines Datenpakets nicht quittiert, so verschickt es der Mailserver des Absenders einfach später nochmals, bis das ganze Mail vollständig übermittelt ist. Telefoniert man aber zugleich mit Skype, so ist die Verzögerung ärgerlich. Es kann passieren, dass Skype ins Stocken gerät und man das Gegenüber nicht mehr versteht.

Verbote im Kleingedruckten

Auch in der Schweiz werden mittlerweile Techniken eingesetzt, um einzelne Datenströme gegenüber anderen gezielt zu priorisieren. Die Deep Packet Inspection (DPI) gibt Aufschluss, von welcher Anwendung ein Datenpaket stammt. Bei Swisscom TV zum Beispiel erhalten die Fernsehdaten auf der Internetleitung sodann Vorrang, damit das Fernsehbild nicht ruckelt. Ohne diese Bevorzugung gäbe es kein Fernsehen übers Internet. «Gegen eine solche Priorisierung ist nichts einzuwenden, solange der Internetprovider keinen Anbieter unnötig ausbremst», so Schlauri. Die Daten einzelner Anwendungen dürfen also nicht künstlich verlangsamt werden, der «Best Effort» muss für alle gleich sein.

Genau das ist aber nicht der Fall. Das Telekomunternehmen Sunrise untersagt seinen Mobilkunden im Kleingedruckten die Nutzung gewisser Angebote. Unzulässig ist demnach Internettelefonie (VoIP) sowie der Einsatz des Handys als Modem oder Hotspot für weitere Geräte, etwa einen Laptop (Tethering). Allerdings ist nicht bekannt, dass dieses Verbot derzeit tatsächlich durchgesetzt würde.

Ausbremsen einzelner Anbieter

Der Kabelnetzbetreiber Cablecom wiederum verlangt «insbesondere zwischen 16 und 24 Uhr» von seinen Internetkunden eine Einschränkung von Anwendungen, die viel Bandbreite beanspruchen, und behält sich vor, die maximale Geschwindigkeit «punktuell» zu reduzieren. Je nach Interpretation kann unter ein solches «Netzwerkmanagement » auch ein gezieltes Ausbremsen einzelner Anbieter und Anwendungen fallen.

So berichtete im vergangenen Oktober ein Kunde im Community-Onlineforum von Cablecom, dass er bei gewissen Angeboten eine Verlangsamung beobachte, während sein Zugang zum Internet selbst ohne Geschwindigkeitseinschränkung funktioniere. Er ärgerte sich besonders darüber, dass er viele Stunden verlor, weil er nach einem Fehler in seinen Konfigurationen oder seiner Hardware suchte und vergeblich Geld für einen neuen Router ausgab.

Netzneutralität per Gesetz

Als diskriminierend könnte man auch das TV-Angebot der Swisscom für Handykunden sehen: Beim eigenen Produkt «TV air» zieht Swisscom den Datenverbrauch nicht vom Datenguthaben ab. Schaut man hingegen die Sender der konkurrierenden Angebote Zattoo und Co., so fressen die benötigten Megabytes ein limitiertes Datenguthaben rasch auf. Auch gegen diese Tricks liesse sich wohl mit Hilfe des Wettbewerbsrechts ankämpfen – doch erfolgversprechender wäre ein Gesetz, das die Netzneutralität garantiert.

Davon wollen die Telekomunternehmen allerdings nichts wissen. Gerade das «Netzwerkmanagement» mache die Datenleitungen effizienter, argumentieren sie. Es dämpfe die Spitzenbelastungen, andernfalls müssten die Kapazitäten mit hohen Kosten ausgebaut werden, um auch die Belastungsspitzen am Abend abdecken zu können.

Gedeckelte Flatrate

Die Diskriminierung einzelner Anbieter lasse sich damit kaum rechtfertigen, hält Simon Schlauri entgegen, «denn es gibt genug Mittel, um die Belastung in Spitzenzeiten auf unproblematische Weise zu dämpfen.» Er regt an, auf der Seite der Kunden anzusetzen, ganz nach dem Motto: Nicht der Stau ist das Problem, sondern das Preismodell. Sein Vorschlag: Eine «gedeckelte Flatrate», bei der die Geschwindigkeit der Leitung gedrosselt wird, wenn ein gewisses Datenvolumen überschritten ist – oder aber zusätzliche Kosten anfallen.

Konsumenten informieren

Wer als Kunde richtig entscheiden will, muss zuallererst korrekt informiert sein. Simon Schlauri fordert deshalb eine Pflicht für Telekomunternehmen, die Konsumenten in verständlicher Form darüber zu informieren, in welchen Bereichen man allenfalls von der Netzneutralität abweicht, welche Dienste man wann bremst oder aussperrt. Diese Informationspflicht könnte der Bundesrat ohne grossen Aufwand in einer Verordnung festschreiben.

Es wäre laut Schlauri hingegen verfrüht, die Netzneutralität wie in den Niederlanden im Detail gesetzlich festzuschreiben: «Erst wenn nach Einführung der Informationspflicht klar wird, dass Anbieter von Diensten wie WhatsApp oder Skype weiterhin diskriminiert werden, ist ein Eingriff angezeigt.» Um für diesen Fall gewappnet zu sein, sei dem Regulator bereits heute die Kompetenz zu erteilen, dereinst auf Verordnungsstufe eingreifen zu können.