Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Jubiläums-Komposition

Geburtstagsständchen fürs Hauptgebäude

Die Universität Zürich hat zur 100-Jahr-Feier ihres Hauptgebäudes im nächsten Jahr ein Orchesterwerk in Auftrag gegeben. Es wird am 24. April 2014 in der Tonhalle aufgeführt. Der Ticketvorverkauf läuft bereits. Wir haben mit dem Komponisten über seine Klangideen und den Zusammenhang zwischen Musik und Architektur gesprochen.
Alice Werner

Kategorien

Unterm Dachgebälk des Uniturms, an seinem Lieblingsort an der UZH: Der Komponist Edward Rushton blättert in der Partitur seiner Jubiläumskomposition.

Eine Woche lang ging er in Klausur, sass in einem Seminarraum des Hauptgebäudes und skizzierte das ganze Werk: Form, Ideen, Rhythmen, Töne, Harmonien. Eigentlich verrückt, denkt man, sich zum Nachdenken und Komponieren mitten ins Geschehen zu stürzen, in den summenden, wuselnden Haufen, der das Kollegiengebäude an der Rämistrasse täglich in einen Bienenstock verwandelt. Wer geistig und schöpferisch Aussergewöhnliches leisten will, zieht sich normalerweise an einen ungestörten Ort zurück, geht «in clausura», ins Kloster eben oder in eine Berghütte, zur Not in die eigene Schreibstube.

Edward Rushton aber zog es in das «Durcheinander von Studierenden und -Dozenten», er stromerte durchs Haus, sass in der Mensa, lauschte den Geräuschen, sog die spezielle Universitätsluft durch seine musikalische Nase ein. Er wollte die Atmosphäre, die Stimmung im Lichthof erspüren, Teil des universitären Kosmos werden, und sei es nur für kurze Zeit.

Festmusik zum Hundertsten

Hinter dieser ungewöhnlichen Arbeitsklausur am lebendigen, lärmenden Puls der UZH steckt auch ein ungewöhnlicher Auftrag: für ein 15-minütiges Orchesterwerk zu Ehren des UZH-Hauptgebäudes, das auch Kollegiengebäude genannt wird. Der vom damaligen Schweizer Stararchitekten Karl Moser als Gesamtkunstwerk entworfene und 1914 eingeweihte Bau erlebt im nächsten Jahr sein 100-jähriges Bestehen – und wird mit einer Reihe von Veranstaltungen, einem grossen Festakt, Ausstellungen und Musik gefeiert. Den Höhepunkt bildet dabei ein Konzert in der Tonhalle Zürich. Aufgeführt wird – von Orchester, Männerchören und Solisten – die von Friedrich Hegar, dem Gründer des Zürcher Konservatoriums, komponierte spätromantische Festkantate zur Zürcher Hochschulweihe vor 100 Jahren. Und auch Edward Rushtons Vertonung steht auf dem Konzertprogramm, quasi als zeitgenössischer Kontrast dazu.

Ein Engländer in Zürich

Für Nichtmusiker stellt sich sofort die Frage: Wie in aller Welt komponiert man ein angemessenes Geburtstagsständchen für ein Gebäude? Noch dazu eines mit grossem Orchester und Singstimmen?

Edward Rushton ist Komponist, Pianist und Liedbegleiter und hat sein Handwerk an Musikhochschulen in Manchester, Cambridge und Glasgow gelernt. Ein Engländer also, doch seit vielen Jahren in Zürich zu Hause, so wie zahlreiche andere auslän-dische Komponisten vor ihm. Wer sich mit Gegenwartsmusik beschäftigt, dürfte seinen Namen kennen. Einige renommierte Ensembles haben den 41-Jährigen schon mit Kompositionen beauftragt und spielen seine Werke repertoiremässig. Seine abendfüllenden Opern wurden von Zürich bis Birmingham aufgeführt. Dem Tonkünstler eilt zudem der Ruf voraus, Auftragskompositionen pünktlich abzuliefern ‒ was unter Kreativschaffenden keineswegs selbstverständlich ist.

In perfektem Deutsch setzt er nun, bei einem Treffen Ende November, just nachdem er die letzten Noten zu Papier gebracht hat, zu einer Erklärung seiner kompositorischen Arbeit an. Aber es erscheint ihm vertrackt, seine Gedanken in Worte zu fassen, so wie es eigentlich auch unmöglich ist, Ideen in Klang umzusetzen.

«Dabei geht die Magie kaputt», sagt er ernst und zitiert einen Vers aus Opus 105, den «Fünf Liedern für eine tiefere Stimme mit Begleitung des Pianoforte» von Johannes Brahms: «Wie Melodien zieht es mir leise durch den Sinn, wie Frühlingsblumen blüht es, und schwebt wie Duft dahin. Doch kommt das Wort und fasst es und führt es vor das Aug’, wie -Nebelgrau erblasst es und schwindet wie ein Hauch.» Ach ja, die Romantik, so denkt man laut, was niedergeschrieben wird, ist auf immer verloren.

Haus der Ideen

Der Komponist im riesenhaften Wollpullover gerät jetzt in Bewegung, dieses Thema, der Zusammenhang von Geistigem, Seelischem und Materiellem, treibt ihn um. Was passiert, wenn musikalische Ideen konkret, also zu Noten, wenn architektonische Visionen in Beton gegossen werden?

Hier zieht er eine direkte Linie zwischen sich und Karl Moser, zwischen musikalischem und architektonischem Werk, aber auch zwischen Musik, Kunst und Wissenschaft im Allgemeinen. Schliesslich ist der Hauptsitz der UZH ein Haus der Ideen, zwar felsenfest als monumentaler Baukörper und als eines der ersten Betongebäude der Stadt errichtet, doch porös genug für ein fliessendes «Rein und Raus» geistiger Einfälle.

Rushton hat viel über die Geschichte des Karl-Moser-Baus und das Konzept des Architekten gelesen. Ihn beeindruckt, wie professionell dieser in der Zeit der frühen Moderne um 1900 die Klaviatur der unterschiedlichen Baustile – von Neoromanik bis zu Neoklassizismus, Jugendstil und Heimatstil – beherrschte und für eigene, von jedem Stilkanon befreite Entwürfe nutzte. In diesem programmatischen Denken, das einen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Zukunft wagt, fühlt er sich Moser seelenverwandt.

Er selbst schreibt zeitgenössische abstrakte Musik, arbeitet aber ganz traditionell mit Bleistift und Notenpapier und sucht nach neuartigen musikalischen Verbindungen alter Stile. Die Berührung mit der Vergangenheit, überhaupt der inhaltliche Aspekt der Musik, ist ihm wichtig.

Ist man als Komponist eigentlich jemals zufrieden mit der getanen Arbeit? Edward Rushton sieht aus dem Fenster ins trübe Grau. Sein Blick fällt auf Karl Mosers 65 Meter hohen Uniturm, ein Wahrzeichen der Stadt und auch Rushtons erklärter Lieblingsort. «Ich glaube, ich habe eine passende Grundidee für das Gebäude der Universität Zürich gefunden.» Genau kann er die Frage aber erst beantworten, wenn er das Stück tatsächlich hört: «In der Realität klingen die Noten meist ganz anders als im eigenen Kopf.»

Den ungekürzten Artikel können Sie in der Dezember-Ausgabe des Journals lesen.

Weiterführende Informationen