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Taschenlampe in der Blackbox

Man kann seiner Zeit voraus sein und auf gähnendes Desinteresse stossen. Diese Erfahrung machte Wirtschaftsprofessor Jean-Charles Rochet mit seinem Buch über Bankenkrisen. Dafür ist er heute umso gefragter.  
Thomas Buomberger
Wirtschaftsprofessor Jean-Charles Rochet: «Es wird weitere Bankenkrisen geben, doch ich hoffe, dass sie inskünftig weniger schlimme Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben werden.»

Banken verhalten sich oft wie Lemminge: Alle machen dasselbe, oft dieselben Fehler. Sie verhalten sich zyklisch, was Jean-Charles Rochet als einen Hauptgrund für Finanzkrisen sieht. Der Swiss-Finance-Institute-Professor für Banking und Finance an der Universität Zürich arbeitet an einem Modell, mit dem das Bankensystem besser reguliert werden soll.

Das Swiss Finance Institute (SFI) bildet für Jean- Charles Rochet eine ideale Forschungsplattform. Es vereinigt Forschende aus verschiedenen Universitäten. Durch die Akkumulierung von unterschiedlichen Talenten habe es auch die nötige kritische Masse, um international Gewicht zu haben. An Forschungsfeldern fehlt es nicht: Das Finanzsystem ist mittlerweile dermassen komplex und global vernetzt, dass es einem als gigantische Blackbox vorkommt. Die Forschung scheint bis jetzt erst mit der Taschenlampe hineingeleuchtet zu haben. 

Plädoyer für eine antizyklische Kreditvergabe

Klar ist jedoch: Wenn die Wirtschaft boomt, sind Banken mit der Kreditvergabe sehr grosszügig. Bei schlechter Konjunkturlage hingegen sind sie mit Krediten zurückhaltend. Die Folge ist eine Kreditklemme, insbesondere für KMU, was zu Pleiten und Arbeitslosigkeit führen kann. Er postuliert deshalb eine antizyklische Kreditvergabe.

Antikzyklisch verhält sich Rochet oft auch bei seiner eigenen Forschung. So etwa, als er sich ums Jahr 2000 mit Bankenkrisen zu beschäftigen begann. Die ersten Jahre des neuen Jahrtausends waren – nachdem die Dotcom-Krise überwunden war – eine Zeit der wundersamen Geldvermehrung. Ökonomische Gesetze schienen ausgehebelt zu sein, die Börsen boomten, die Gewinne der Banken erst recht, und an die Boni der Manager reihte sich eine Null an die andere.

Alle 25 Jahre eine Bankenkrise

In dieser Zeit schrieb er das Buch «Why Are There So Many Banking Crises?». Im Jahr 2006 wollte er das Buch veröffentlichen; die ersten beiden angefragten Verlage lehnten das Manuskript ab, weil sich kein Mensch in diesen Boomjahren für Bankenkrisen interessieren würde. Erst 2007, als sich die Finanzkrise abzuzeichnen begann, fand ein dritter Verleger Gefallen am Buch. Seither ist Rochet einer der gefragtesten Spezialisten für Bankenkrisen. Diese gibt es etwa alle 25 Jahre.

Wird es sie auch in Zukunft geben, wo wir doch schmerzliche Erfahrungen haben sammeln können? Rochet ist überzeugt, dass dies der Fall sein wird. «Es wird sie geben, doch ich hoffe, dass sie inskünftig weniger schlimme Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben werden.» Krisen wird es nach Rochet geben, weil die Menschen zum einen ein kurzes Gedächtnis hätten und weil die Banken immer neue Produkte auf den Markt brächten, deren Nebenwirkungen man nicht kenne.

Der Wirtschaftswissenschaftler plädiert dafür, dass neue Finanzprodukte ähnlich wie Medikamente zuerst getestet werden müssten, bevor sie zum Verkauf zugelassen werden. Bis heute ist erlaubt, was nicht verboten ist. Inskünftig sollte es umgekehrt sein. Denn 95 Prozent der Finanzinnovationen würden gemacht, um entweder Regulierungen zu umgehen oder die Kunden hinters Licht zu führen.

Toxische Papiere für naive Kunden

Wie bei seinem Regulationsmodell stützt er auch diese Forderung auf empirische Studien. Eine seiner Doktorandinnen untersuchte Finanzprodukte von französischen Banken. Ihr Fazit: Die kompliziertesten Produkte wurden denjenigen Kunden verkauft, die die geringste Ahnung von Finanzgeschäften hatten. «Die ungebildeten Leute kauften die toxischen Papiere», fasst Rochet zusammen. Doch nicht nur Kunden sind oft unwissend, auch Bankmanager.

Der Forscher kennt mehr als einen Topmanager, der ihm anvertraute, dass er eigentlich nicht wisse, was seine Leute in der Handelsabteilung täten. «Solange diese Leute Geld machen, kümmern sich die Chefs nicht darum», kritisiert Jean-Charles Rochet. «Diese Haltung ist gefährlich.» Einen weiteren Grund für Bankenkrisen sieht der Experte in der unterschiedlichen Fristigkeit von Spareinlagen und Krediten. Während Spareinlagen sofort abgehoben werden können, laufen Kredite oft über mehrere Jahre. Entstehen nun Gerüchte über Schwierigkeiten einer Bank, kommt es zu einem Run der Sparer auf die Banken. Der Bank fehlen dann die flüssigen Mittel. «Die Transformation von kurzfristigen Spargeldern in langfristige Kredite ist eine der wichtigsten Aufgaben der Banken», sagt Rochet, «doch ungeklärt ist, wie das Verhältnis der Fristen sein muss. Das ist eine der Fragen, die wir beantworten wollen.»

Zu viele Rechte für Aktionäre

Ab den 1980er-Jahren galt der Shareholder- Value als Mass aller Dinge, was dazu führte, dass aus vielen Banken herausgepresst wurde, was nur ging. Auch hier sieht Rochet einen der Gründe für Bankenkrisen. Die heilige Kuh Shareholder- Value möchte er zwar nicht gerade schlachten, aber ihr nicht mehr so viel Auslauf geben. Für ihn haben die Aktionäre gegenüber andern Stakeholdern wie Sparern, Kreditnehmern und Angestellten zu viele Rechte. «Die Macht der Aktionäre sollte durch Gegengewichte ausbalanciert werden. Es kann nicht sein, dass profitable Unternehmen Leute entlassen, nur weil die Aktionäre eine noch höhere Dividende verlangen.»

Zwar könnten Entlassungen notwendig sein, doch sei grundsätzlich das Wohl der Arbeitnehmer wichtiger als der Profit der Aktionäre. Er könnte sich eine genossenschaftsähnliche Organisation der Banken vorstellen. Doch ist er auch hier illusionslos: «Was ich vertrete, ist leider unter Ökonomen keine Mehrheitsmeinung. Wir sind erst wenige, aber ich hoffe, wir werden mehr.»