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TV-Duell Obama-Romney

«Obama ist müde am Ball vorbeispaziert»

Der Kommunikationswissenschaftler Frank Esser von der Universität Zürich arbeitet an Projekten zur international vergleichenden Medienforschung. Für ihn ist eine spannende Zeit angebrochen: Er beobachtet den Wahlkampf in den USA während eines Forschungsaufenthaltes an der University of California in San Diego. Für UZH News gibt er eine Einschätzung zum Wahlkampfduell zwischen Obama und Romney, das am 4. Oktober stattfand.  
Interview: Marita Fuchs
«Der Präsident sah sich einem energiegeladenen, faktengefütterten Romney gegenüber, der aus allen Rohren schoss», Medienwissenschaftler Frank Esser.

Herr Esser, in einer Blitzumfrage des US-Senders CNN unmittelbar nach dem Duell sahen zwei Drittel der Befragten Romney als Gewinner der Debatte. Obama erhielt schlechte Noten. Haben Sie ihn auch so schwach erlebt?

Frank Esser: Obama wirkte müde oder falsch vorbereitet. Er konnte sich viel schlechter als Romney auf das erstmals neu ausprobierte Format des Rededuells einstellen, bei dem der Moderator nur noch einzelne Stimulusfragen stellte und dann die Kontrahenten zum direkten Schlagabtausch ermunterte. Der Präsident sah sich einem energiegeladenen, faktengefütterten Romney gegenüber, der aus allen Rohren schoss. Obama schien dagegen mit dem Vorsatz in das TV-Duell gegangen zu sein, sehr präsidential aufzutreten, Ruhe und Überlegenheit auszustrahlen und sich nicht in die Niederungen des Wahlkampfes zu begeben. Das war aber nicht das Spiel, das gestern Abend gespielt wurde.

Romney hat zudem gestern etwas gemacht, womit niemand gerechnet hat: Er hat sich als Zentrist, als moderater Konservativer präsentiert. Von der rechten Ecke, in die ihn die Medien hingeschrieben haben und in der seine eigene Partei ihn vermutlich auch am liebsten sähe, hat er sich weg in die Mitte bewegt – zurück zu Positionen, die er früher als pragmatischer Gouverneur von Massachusetts vertrat.

Anscheinend hat Obama sogar sein Prestigeprojekt, die sogenannte  Obamacare, schlecht verteidigt.

Obama war aus irgendeinem guten Grund nicht auf der Höhe. Keiner weiss warum. Selbst seine Berater waren überrascht, dass er wichtige Angriffsmöglichkeiten nicht wahrgenommen hat. Um es mit einem Bild aus dem Sport zu sagen: An mehreren Bällen, die ihm auf den Elfmeterpunkt gelegt wurden, ist er müde vorbeispaziert.

Wie sind denn die Reaktionen der Medien auf das Interview in den USA?

Sehr negativ. Obama habe ‚toter Mann‘ gespielt, wurde geschrieben, oder sei auf einem Schlaftablettentrip gewesen. Einige mutmassen, dass er die Wahl gar nicht gewinnen wolle oder keinen echten Plan für eine zweite Amtszeit habe. Andere jubeln, dass jetzt das Kopf-an-Kopf Rennen eröffnet sei, nachdem Romney ja schon fast abgeschrieben worden war. Selbst der Obama-freundliche Nachrichtensender MSNBS verriss den Präsidenten, während der konservative Sender Fox News es kaum fassen konnte, wie gut es für Romney gelaufen ist.

Wie wichtig ist das TV-Duell für das Abstimmungsverhalten?

Weil der Wahlkampf lang ist – er läuft ja über ein Jahr – klinken sich viele Leute aus. Sie konzentrieren sich nur noch auf wenige Meilensteine, wie zum Beispiel das TV-Duell.

Was alle Wähler auf jeden Fall mitbekommen, ist die Nachberichterstattung des Duells, selbst wenn nicht alle das Duell am Fernsehen verfolgt haben. Mindestens eine Woche lang wird der grosse Auftritt in den Medien nachbereitet, und die negativen Kritiken werden Obama schaden. Ausserdem sind in 36 von 50 Staaten die Wahllokale bereits geöffnet und die Leute wählen schon. Daher haben alle Ereignisse des Wahlkampfs einen potentiellen Einfluss auf den Ausgang.

Doch auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass die meisten Leute ihre Entscheidung schon längst getroffen haben. Es sind wenige, die noch zweifeln. Nur in 5 oder 6 Staaten steht noch nicht fest, ob Obama oder Romney gewinnt. Was die Wähler in diesen ‚Swing States‘ nun denken ist entscheidend.