Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Theologische Ethik

Der gläserne Mensch im Internet

Wer sich im Netz bewegt, hinterlässt Spuren. Die Theologin Anne-Kathrin Lück erforscht, wie Menschen in sozialen Netzwerken und auf Bewertungsportalen sichtbar und durchsichtig werden.
Jörg Lanckau
Anne-Kathrin Lück: «Mann und Frau präsentieren sich gern online und fürchten zugleich
den drohenden Gesichtsverlust.»

«Uncool», «inkompetent», «toll» oder «hilfreich» – Lehrer, Ärztinnen, Rechtsanwälte oder auch Pfarrer finden sich immer öfter auf Online-Bewertungsportalen beurteilt. Doch in den seltensten Fällen werden sie gefragt, ob sie das auch wollen. Das kann für Unmut sorgen.

Eine deutsche Lehrerin klagte vor drei Jahren gegen ihre Bewertung auf «spickmich.de». Sie ging dabei bis zum Bundesgerichtshof – und verlor. Das Gericht gewichtete die Meinungsfreiheit und das Informationsinteresse der Schüler höher als die Persönlichkeitsrechte der Lehrerin.

Wie Online-Bewertungsportale aus ethischer Sicht zu betrachten sind, ist eine der Fragen, mit der sich Doktorandin Anne-Kathrin Lück in ihrer Forschung beschäftigt. Lück ist Stipendiatin des Forschungskredits der Universität Zürich am Ethik-Zentrum der UZH.

Sie untersucht in ihrer Dissertation unter anderem, was es für Menschen so attraktiv macht, andere Menschen online zu bewerten. Und umgekehrt: Inwiefern erleben die Betroffenen diese Bewertungen als störend? «Problematisch ist sicher, dass die Nutzer ihre Identität nicht preisgeben und sich somit der Verantwortung für ihr Handeln entziehen können», sagt Lück.

Umstrittene Sichtbarkeit

Aber Menschen werden im Internet nicht nur durch die Bewertungen durch andere sichtbar. Sie exponieren sich auch selbst, etwa in den sozialen Netzwerken wie Facebook. Die Lust am Gesehenwerden und gleichzeitig die Angst davor liegen im Web 2.0 eng beieinander, ist Lück überzeugt: «Mann und Frau präsentieren sich gern online und fürchten zugleich den drohenden Gesichtsverlust.»

Doch was bedeutet es für Menschen genau, an solchen Webaktivitäten teilzunehmen und sich und andere damit sichtbar zu machen? Worin besteht bezüglich dieser Sichtbarkeit der Unterschied zwischen online- und offline-Kommunikation?

Klar ist für Lück: Wer mit sozialen Netzwerken und Bewertungsportalen in Kontakt tritt, wird von Institutionen, Firmen oder Privatpersonen beobachtet: «Das Web 2.0 ist keine Einbahnstrasse».

Wenig erforschtes Terrain

Daraus ergebe sich ein weites Problemfeld: Wie sollen wir uns im Internet verhalten? Woran können wir uns orientieren? Wie ist das Recht auf Privatsphäre, informationelle Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit angesichts der im Web 2.0 dominierenden «Sichtbarkeit» auszulegen und zu begründen? Wie verhalten sich diese Rechte aus ethischer Perspektive zueinander?

Indem Lück diesen anthropologischen und ethischen Fragestellungen nachgeht, betritt sie ein wenig erforschtes Terrain. Bislang wurde die Thematik wissenschaftlich vor allem aus psychologischer und sozialwissenschaftlicher Sicht betrachtet.

Lück wertet in ihrer Forschung medien- und kommunikationswissenschaftliche Analysen aus, und fragt nach den Kommunikationsstrukturen der sich ständig verändernden Web 2.0-Anwendungen. Konkret untersucht sie die Bewertungsportale «spickmich» und «meine-anwaltsbewertung», sowie die Netzwerke «facebook» und «StudiVZ».

Reduzierte Leiblichkeit

Lück stellt die analysierten Kommunikationsstrukturen in einen anthropologischen Zusammenhang: Bei der Offline-Kommunikation nehmen sich die Kommunikationspartner gegenseitig ganzheitlich, leiblich war. Online werde der leiblich existierende Mensch jedoch auf seine Sichtbarkeit reduziert. «Sichtbarkeit» ist für Lück daher ein hermeneutischer Schlüsselbegriff.

Diese «reduzierte Leiblichkeit» in der computervermittelten Kommunikation helfe etwa zu verstehen, warum es uns leichter fällt, jemandem oder über jemanden etwas zu schreiben, als es von Angesicht zu Angesicht mitzuteilen.

Sichtbar und «gläsern» zu sein bedeute auch, zerbrechlich zu werden, meint Lück. Keinem Portal oder Netzwerk sei der Stempel ethisch «schlecht» oder «gut» aufzudrücken. Allerdings gelte es, Grenzen zu wahren. So sollten bewertete Personen aus ethischer Sicht zumindest das Recht haben, nicht an einem Online-Bewertungsverfahren teilnehmen zu müssen, ist Lück überzeugt.

Im Rahmen ihres Projektes möchte sie ethische Orientierungspunkte aufzeigen, die dem einzelnen Menschen helfen können, gute Entscheidungen zu treffen: Will ich bei Facebook dabei sein? Was gebe ich von mir und anderen preis? Abgeschlossen sein sollte ihr Projekt im September 2012.

Weiterführende Informationen