Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

In der Sprechstunde

Mehr Mitbestimmung für Patienten

Medizinische Therapien und Untersuchungen sind häufig Ermessenssache. Johann Steurer, Professor für Innere Medizin und Leiter des Horten-Zentrums der Universität Zürich, plädiert dafür, Patienten stärker in den medizinischen Entscheidungsprozess mit einzubeziehen.  
Interview Marita Fuchs

Herr Steurer, wenn mein Knie ständig schmerzt, ich aber kein neues Kniegelenk möchte, was sollte ein Arzt mir raten?

Der Arzt müsste aufgrund von neusten Studien Ihnen als Patientin das Für und Wider einer Knieoperation darlegen. Es gibt viele Interventionen in der Medizin, in denen man nicht unbedingt handeln beziehungsweise – in diesem Fall – operieren muss. Meiner Ansicht nach muss man den Patienten mehr in den Entscheidungsprozess mit einbeziehen. Schliesslich sollten Sie als Patientin die Entscheidung treffen, ob Sie ein neues Knie wollen oder nicht.

Ist das nicht eine Überforderung?

Natürlich kann der Patient dem Mediziner die Entscheidung überlassen, wenn er sich überfordert fühlt. Und doch sollte der Arzt den Patienten so weit schlau machen, dass er auch selbst entscheiden kann.

Arzt und Patientin: Informieren, diskutieren. Entscheiden wird letztendlich die Patientin.
In welchen Fällen ist das besonders angebracht?

In allen Fällen, in denen man medizinisch abwägen muss. Ein typisches Beispiel ist das Brust-Screening zur Frühdiagnose  von Mammakarzinomen. Es geht in diesem Fall um die Frage: Soll man die Brust screenen lassen oder nicht? Es ist nicht haltbar, wenn man – wie es zum Beispiel im Kanton St. Gallen gehandhabt wird – Patientinnen sagt, die Mortalität werde um 25 Prozent reduziert. In absoluten und und damit in der Regel verständlicheren Zahlen ausgedrückt, reduziert sich die Mortalität nur von 0,4 auf 0,3 Prozent, woraus man dann 25 Prozent macht.

Das ist sehr verwirrend.

In der Tat, es ist verwirrend. Statistische Mittelwerte Patienten so zu erklären, dass er oder sie diese verstehen und dann selbst entscheiden können, ist nicht ganz einfach. Mediziner heute – früher wahrscheinlich noch mehr – haben oft die Einstellung, dass sie Patienten vorschreiben, was sie tun sollen und was nicht. Das ist falsch.

Fragen Sie zehn Experten auf dem Gebiet des Screenings nach den Vor- und Nachteilen, Sie erhalten zehn unterschiedliche Antworten. Wichtig ist, dass der Arzt um den aktuellen wissenschaftlichen Stand der Dinge weiss und abschätzen kann, was es für Konsequenzen hat, wenn Variante A gewählt wird, und welche Konsequenzen es hat, wenn er oder sie B auswählt.

Plädieren Sie für ein anderes Rollenverständnis zwischen Arzt und Patient?

Ja, für mehr Mündigkeit des Patienten. Doch verstehen Sie mich nicht falsch, falls ein Patient wünscht, dass der Arzt für ihn entscheidet, dann ist das okay. Schlecht finde ich den erhobenen Zeigefinger, wenn der Arzt im Nachhinein kommt und sagt: Na, hätten Sie doch auf mich gehört. Ärzte sind auch nicht allwissend.

Johann Steurer, Professor für Innere Medizin und Leiter des Horten-Zentrums: «Beraten ohne erhobenen Zeigefinger.»

Woher kommt dieser Duktus des erhobenen Zeigefingers?

Wir Mediziner sind als Patriarchen sozialisiert und haben gelernt, den andern zu sagen, was sie tun sollen. Davon müssen wir wegkommen.

Aber suchen Patienten nicht auch Halt und Gewissheit beim Arzt?

Ja, natürlich. Die zweite Ebene, neben der Vermittlung von Wissen über die Krankheit, ist die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Und hier entscheidet auch der Arzt, wie er seinem Patienten am besten erklärt, um was es geht.

Sie leiten das Horten-Zentrum der Universität Zürich, inwieweit können Sie durch Ihre Arbeit Medizinern Inputs geben?

Wir fassen für Ärzte die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zusammen. Dadurch sparen sie die Zeit, etwa englischsprachige Aufsätze im Original zu lesen. Pro Monat veröffentlichen wir durchschnittlich acht  Studien, die eine klinische Relevanz haben. Nachzulesen auf der Homepage www.evimed.ch.

Durch unsere Arbeit sollten Mediziner auf dem aktuellen Stand der Forschung sein. Insofern leisten wir einen Beitrag dazu, dass der Arzt aktuelle Ergebnisse der Forschung direkt an die Patienten weitergeben kann.

Weiterführende Informationen