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Gefragte Schöngeister

Ein geisteswissenschaftliches Studium gilt nicht unbedingt als sicherer Weg, um eine herausragende Karriere in Wirtschaft oder Politik zu machen. Falsch gedacht! Die Qualitäten der Geisteswissenschaftler werden auf dem Arbeitsmarkt durchaus geschätzt.  
Marita Fuchs

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An der Universität Zürich sind 12'000 Studierende in geisteswissenschaftlichen Fächern eingeschrieben. Ein Studium in Geschichte, Sozialwissenschaften oder Germanistik gilt vielen als brotlos. Doch das ist ein Vorurteil, wie eine Podiumsdiskussion letzte Woche an der Universität Zürich zum Thema «Die Geisteswissenschaften in der Privatwirtschaft: Berufs- und Erfolgschancen» zeigte.

Auf dem Podium: Hugo Bänzinger, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Thomas Held, ehemaliger Direktor der Schweizer Denkfabrik Avenir Suisse, Christoph Palmer, ehemaliger Minister im Staatsministerium Baden-Württemberg, und Rolf Soiron, CEO der Firmen Holcim und Lonza. Die Podiumsteilnehmer waren auf Einladung der Veranstalter des Studiengangs MAS in Applied History gekommen, um von ihrem persönlichen Lebensweg zu berichten und den anwesenden Studierenden Tipps zu geben.

Hugo Bänzinger, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Thomas Held, ehemaliger Direktor der Schweizer Denkfabrik Avenir Suisse und Rolf Soiron, CEO der Firmen Holcim und Lonza (v.l.n.r.) waren sich einig: Die Chance, für Geisteswissenschaftler in Führungspositionen hinein zu rutschen, sei heute genau so gross, wie in anderen Fachgebieten.

Bubble Reputation massgebend

Hugo Bänzinger (55), Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, studierte an der Universität Bern Geschichte. Eigentlich wollte er Journalist werden, doch es kam anders. Noch im Militär bekam er das Angebot von Hermann Bodenmann, damals Präsident der Bankenkommission, als sein Assistent zu arbeiten.

Für eine Karriere wichtig sei die so genannte «Bubble reputation». Darunter versteht man das, was die Leute hinter dem Rücken der Betroffenen erzählen. Ein Chefarchivar des Bundesamtes in Bern hatte die Dissertation Bänzingers gelesen und war davon so beeindruckt, dass er Bodenmann riet, Bänzinger anzustellen. Eine Bank benötige Mitarbeiter, die den Blick fürs Ganze haben, betonte Bänzinger. Als Historiker sei man dazu besonders prädestiniert.

Wichtig für eine Karriere sei auf jeden Fall Einsatz, Neugierde, Flexibilität und Verlässlichkeit, das Studienfach hingegen weniger, meinte Bänzinger.

Noch eines gab er den anwesenden Studierenden mit auf den Weg: «Vergessen Sie die Mathematik nicht.» Er sei froh, dass er in der Schule in Statistik aufgepasst habe, das sei ein wichtiges Rüstzeug gerade für ihn als Geisteswissenschaftler. Ansonsten riet Bänzinger: «Studieren Sie das, woran Sie Freude haben.» Angestellt würden junge Menschen, die engagiert seien und Feuer unterm Hintern hätten.

Die Mathematik nicht vergessen

Er könne Hugo Bänzinger nur zustimmen, meinte Thomas Held (65), ehemaliger Direktor Avenir Suisse. Mathematische Kenntnisse seien auch für Geisteswissenschaftler sehr wichtig. Held studierte Sozialwissenschaften und Germanistik an der Universität Zürich. Ursprünglich wollte er Dramaturg werden. Das habe sich leider nicht ergeben, das Talent habe nicht ausgereicht, meinte Held. Er hätte sich dann für das Soziologiestudium entschieden, weil sein Professor die Studierenden schon während des zweiten oder dritten Semesters in reale Forschungsprojekte eingebunden habe.

Auf den Punkt formulieren

Rolf Soiron (66), CEO der Zementfirma Holcim und Lonza, betonte die Unterschiede zwischen früher und heute. «1972, in der Zeit der Hochkonjunktur, nahm man jeden, der ein Kreuzworträtsel lösen konnte», erzählte Soiron schmunzelnd.

Soiron schrieb seine Dissertation in Geschichte an der Universität Basel und begann mit seiner Laufbahn in der Personalabteilung des Sandoz-Konzerns. Anschliessend wechselte er in die Finanzabteilung, ohne grosse Kenntnisse der Finanzwirtschaft, wie Soiron bekannte. Als Chef des Foreign Exchange Managements wurde er von der Firma 1980 zur Harvard Business School geschickt. «Ich sollte endlich verstehen, welche Zahlen links und welche rechts stehen in der Buchhaltung.» 1992 übernahm er «Pharma weltweit». Er widersprach seinem Verwaltungsratspräsidenten im Verwaltungsrat, worauf er entlassen wurde. Danach führte er zeitweise bei drei Schweizer Grosskonzernen gleichzeitig das Zepter.

Das Studium der Geisteswissenschaften habe ihn befähigt, etwas auf den Punkt hin zu formulieren. Und er habe gelernt, sich in verschiedene berufsspezifische Sprachen hineinzudenken: in die Sprache, die in einem Zementwerk gesprochen werde, oder in diejenige, die im politischen Diskurs angewandt werde.

Heute würde Soiron schneller studieren und mit grösserem Fleiss. Er würde seine berufliche Ausbildung nicht so sehr dem Zufall überlassen. Die Chance für Geisteswissenschaftler, in Führungspositionen hineinzurutschen, sei heute genau so gross, wie in anderen Fachgebieten. Das sei jedoch vielen zu wenig bewusst und werde nach wie vor nicht richtig wahrgenommen.

Christoph Palmer, ehemaliger Minister im Staatsministerium Baden-Württemberg: «Wichtig für eine Karriere ist der Blick für das Wesentliche, eine starke Persönlichkeit und gutes Allgemeinwissen.»

Praktika, Praktika

Christoph Palmer (49), ehemaliger Minister im Staatsministerium Baden-Württemberg, wurde gewarnt, als er sich entschied, Geisteswissenschaften zu studieren. In Deutschland, so Palmer, seien viele Berufswege stark normiert, und im öffentlichen Bereich arbeiten hauptsächlich Juristen. Trotzdem entschied Palmer sich für ein Studium der Politikwissenschaft, Germanistik und Geschichte.

Wichtig für eine Karriere sei der Blick für das Wesentliche, eine starke Persönlichkeit und gutes Allgemeinwissen. Gerade in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise wäre mehr wirtschaftshistorisches Wissen bei den Entscheidungsträgern wünschbar. «Es ist ganz wichtig, bei einer Griechenlanddiskussion zu wissen, wie sich in Deutschland 1932 durch das Abwürgen der Konjunktur eine Abwärtsspirale zu drehen begonnen hat», sagte Palmer.

Den Studierenden riet er, in viele Bereiche hineinzuschnuppern und möglichst viele Praktika zu absolvieren, daraus ergebe sich häufig ein erster Schritt in den Beruf.

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