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Gleichstellung und Nichtdiskriminierung

Nicht Menschen, sondern Strukturen ändern

In der Gleichstellungsdebatte rücken neben der Geschlechtergleichstellung zunehmend andere Diversitäten wie Migrationshintergrund oder Behinderung in den Mittelpunkt. Wie sollen Universitäten damit umgehen? An einer Veranstaltung an der Universität Zürich gab es Antworten dazu.
Roland Gysin

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Die Aussage war nicht als Provokation gedacht, aber sie konnte so verstanden werden. «Es waren die Männer, die Gleichstellungspolitik gemacht haben, schon immer.» Der dies sagte, heisst Heiner Schanz, ist Forstwissenschaftler und seit 2009 hauptamtlicher Prorektor für Lehre an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau und unter anderem verantwortlich für «Gleichstellung und Vielfalt».

Postkarte der Abteilung Gleichstellung Universität Zürich: «Diversity in University» als Thema einer Veranstaltung.

Er und andere Expertinnen und Experten diskutierten letzte Woche in der Aula der Universität Zürich an der Veranstaltung «Diversity in University» über das «Verhältnis von Nichtdiskriminierung und Gleichstellung im Universitätsbereich». Konkret ging es darum, aufzuzeigen, dass im Gleichstellungsdiskurs neben der Geschlechtergleichstellung vermehrt auch andere Diversitäten wie Behinderung oder Migrationshintergrund in den Mittelpunkt rücken.

Verantwortlich für Durchführung und Organisation waren die Abteilung Gleichstellung und die Gleichstellungskommission der Universität Zürich.

Neu primär konzeptuelle Arbeit

Heiner Schanz war eingeladen, über das «bundesweit pionierhafte» Freiburger Modell zu sprechen. Die vor ihm tätige Gleichstellungsbeauftragte und ihr Team hätten zwar «jahrelang hervorragende Arbeit geleistet», meinte Schanz, aber daraus sei nichts geworden. So verharrte der Anteil der Professorinnen in den letzten Jahren bei rund 13 Prozent – trotz Mentoring-Programmen und anderen Fördermassnahmen.

(v.l.n.r.) Regine Bendl, Martin Hilb, Nils Jent, Brigitte Tag, Nathalie Christen (Moderation), Andreas Fischer, Ulrike Beisiegel, Heiner Schanz: «Diversität hat viele Facetten.»

Dann kam Schanz, krempelte die Governance um und erweiterte das Themenfeld Gleichstellung um den Aspekt der Diversität. Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse werden nun neu «durchgängig gleichstellungsorientiert gestaltet». Der Fokus liegt nicht mehr auf Einzelfragen, sondern auf zentralen Steuerungsprozessen, etwa den Berufungsverfahren.

Die neugeschaffene Stabsstelle «Gender and Diversity» arbeitet primär konzeptuell und ist nicht wie bis anhin auch für die Umsetzung zuständig. Sie recherchiert, klärt ab und gibt Empfehlungen. Die Umsetzung hingegen ist Sache der Betroffenen. Obwohl es für eine Bilanz noch zu früh sei, ist Schanz überzeugt, dass sich «etwas bewegt hat». Auf die Frage nach konkreten Erfolgen kam zwar keine eindeutige Antwort, doch zumindest hätten die «Platzhirsche» besser eingebunden werden können.

Ängste unbegründet

Regine Bendl ist Professorin am Departement für Management der Wirtschaftsuniversität Wien, Abteilung Gender und Diversitätsmanagement. Ausgangspunkt ihrer Ausführungen war die Tatsache, dass die als Institution ohnehin diverse Universität stetig noch diverser werde. Es gebe immer mehr Personen mit Migrationshintergrund, Behinderte, «europäisierte» Bologna-Studierende oder Angebote für unterschiedliche Qualifizierungs- und Altersgruppen. Der Umgang mit dieser Art von Diversität und Heterogenität jenseits vom Gender-Aspekt könne verunsichern und Angst machen. Nicht zuletzt bei Gender-Beauftragten, die um Ressourcen fürchten, auch wenn dazu, so Bendl, kein Anlass bestehe.

Strukturen ändern

Nils Jent ist Leiter des Kompetenzbereichs «Diversity» im Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen. Nach einem Motorradunfall sitzt er im Rollstuhl und ist blind und sprachbehindert. Sein Credo, weshalb er es trotz seiner Andersartigkeit geschafft hat: Nicht die Menschen ändern, sondern die Strukturen neuen Bedürfnissen anpassen. Und Teams so zusammenstellen, dass sie sich in ihren Fähigkeiten ergänzen. In die gleiche Richtung argumentierte Martin Hilb, Leiter des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen.

Ein Rezept, dass auch für Olga Meier-Popa, Leiterin der Beratungsstelle Studium und Behinderung an der Universität Zürich, Gültigkeit hat. Ganz Praktikerin wies sie zudem darauf hin, dass Powerpoint-Präsentationen – die auch an dieser Veranstaltung zum guten Ton gehörten – für Blinde kaum nachvollziehbar sind.

Entschleunigung angesagt

Andreas Fischer, Rektor der Universität Zürich, warnte vor zuviel Enthusiasmus und Idealismus. Es gebe Grenzen im Umgang mit Diversität. Der Aufwand mit Personen aus fremden Kulturen, mit Menschen unterschiedlicher Muttersprachen oder einer Behinderung sei nicht zu unterschätzen. Fischer plädierte deshalb für einen differenzierten Ansatz. «Solange ich Rektor bin, wird es keine Fachstelle Diversität geben.» Eine Stelle also, die für alle Diversitäten gleichzeitig zuständig ist.

(v.l.n.r.) Martin Hilb, NIls Jent, Brigitte Tag, Nathalie Christen (Moderation), Andreas Fischer: Quotenfrage nicht diskutiert.

Brigitte Tag, Strafrechtsprofessorin und Präsidentin der Gleichstellungskommission der Universität Zürich, hielt wenig von «verordneter Diversität». Das bringe nichts. Hingegen gelte es immer primär zu fragen, wo Chancen liegen. Und wie man sie optimal nutzen könne. Speziell Frauen sollten ihre «Kompetenzen zusammennehmen und selbstbewusst auftreten.»

Ulrike Beisiegel, Biologin und seit 2011 Präsidentin der Georg-August-Universität Göttingen, sprach von Diversität als einer Kulturfrage, bei der auch banale Dinge im Auge zu behalten seien. Qualität in der Forschung etwa nicht nur über den Output zu messen, sondern auch via Soft Skills, ob jemand zuhören könne oder gut im Team arbeiten. Und besonders wichtig: «Diversität leben, heisst Entschleunigung. Wir brauchen mehr Zeit».

Leises Bedauern

Zum Ende blieb für Brigitte Tag nur das Fazit, dass Diversität viele Facetten hat. Und sich Nichtdiskriminierung und Gleichstellung im Universitätsbereich am besten auf differenzierte Art und Weise angehen lassen. Dabei mache es keinen Sinn, sich unrealistische Ziele zu setzen. Etwa den Anteil von Professorinnen kurzfristig verdoppeln zu wollen. «Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint», liess Birgitte Tag Kurt Tucholsky das Schlusswort sprechen.

Unter dem Strich bleibt das leise Bedauern, dass die Diskussion noch tiefer hätte gehen können. Nichtdiskriminerung und Diversität haben nicht zuletzt auch mit der Frage zu tun, wer das Sagen und wer die Macht hat. In der Wirtschaft sind Frauenquoten en vogue. Das französische Parlament etwa verabschiedete gemäss «Tages Anzeiger» kürzlich einen Gesetzesentwurf, der Grossunternehmen vorschreibt, binnen sechs Jahren mindestens 40 Prozent der Posten in den Direktionsetagen für Frauen frei zu halten. Aktueller Stand: 12,4 Prozent. Zum Vergleich die Schweiz: 8,3 Prozent.

Die Gelegenheit, diese und ähnliche Frage für universitäre Gremien an der Tagung zu diskutieren, wäre durchaus vorhanden gewesen. Nämlich dann, als Nathalie Christen, DRS-Journalistin und Moderatorin des Schlusspodiums, die Frage aufwarf, weshalb im Jahre 2011 in der fünfköpfigen Zürcher Universitätsleitung und unter den sieben Dekanen Frauen nicht vertreten sind.