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Schweizer Animationsfilm

Als die Bilder laufen lernten

Das Seminar für Filmwissenschaften der Universität Zürich hat als Abschluss eines historisch ausgerichteten Forschungsprojekts eine DVD zum Schweizer Animationsfilm produziert. «Best of Swiss Animation» vereint sechzehn unterschiedliche Filmhighlights aus der Geschichte des Schweizer Trickfilms. UZH News verlost fünf Exemplare der DVD.
Alice Werner

1921: Albert Einstein erhält den Nobelpreis für Physik, New York schaltet den millionsten Telefonanschluss, in der Damenmode wird der Bubikopf modern und die Hauptstädte Europas wippen begeistert zur Jazzmusik aus Übersee. Auch im Filmgeschäft tut sich was: Während in New York Charly Chaplins erster abendfüllender Spielfilm «The Kid» Premiere feiert, wird in Genf der Schweizer Animationsfilm aus der Taufe gehoben.

Best of Swiss Animation: Küchenrebellen. Eine saubere Geschichte.

Mit «L’Histoire de M. Vieux-Bois», einer in Szene gesetzten Bildergeschichte des französischsprachigen Schweizer Zeichners und Schriftstellers Rodolphe Töpffer (1799–1846), flimmert zum ersten Mal ein Schweizer Zeichentrickfilm über die Leinwände. 35 Minuten lang, 410 Meter Filmmaterial, 35.000 Einzelbilder: Der Erstling bleibt als kostspieliger Filmriese und adaptiertes Werk einer literarischen Vorlage lange Zeit ein Einzelfall. Denn bis in die 1960er Jahre liegt die Produktion von Trickfilmen fast ausschliesslich in den Händen von Werbefilm-Regisseuren, deren Arbeiten für die Kino-Vorprogramme und später auch fürs Fernsehen bestimmt sind.

Pionier des Werbefilms

«Der Werbeanimationsfilm», sagt Eva Küttel, Assistentin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich, «wurde lange als Schweizer Qualitätsprodukt wahrgenommen.» Dabei kommt der Pionier auf dem Gebiet ursprünglich aus Deutschland: Julius Pinschewer (1883–1961), ein deutscher Jude, der 1933 in Voraussicht der nationalsozialistischen Verfolgung seine Filmgeschäfte nach Bern verlegt, und ein paar Jahre später die Schweizer Staatsbürgerschaft erhält, arbeitet im Auftrag verschiedener Schweizer Fabrikanten und staatlicher Betriebe wie der SBB und der PTT.

Die über 700 unterhaltsamen Animationsfilme aus seinem Atelier spielen auf fantasievolle Weise mit den Möglichkeiten der Trickfilmtechnik. Vom Zeichentrick, über Silhouetten- und Puppenanimation, bis hin zu Scherenschnitt und verschiedenen Kolorierungstechniken und Farbfilmverfahren – der umtriebige Produzent ist ganz vorne mit dabei, wenn es um kreative und technische Innovationen geht.

Eva Küttel, Assistentin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich: «Der Werbeanimationsfilm wurde lange als Schweizer Qualitätsprodukt wahrgenommen.»

Zwei seiner Werbefilmklassiker hat Eva Küttel für die DVD «Best of Swiss Animation» ausgewählt. Die Edition, die seit Anfang des Jahres im Handel erhältlich ist, entstand als Abschluss eines historisch ausgerichteten Forschungsprojekts zur Erfassung und Erschliessung des Schweizer Animationsfilms von seinen Anfängen bis heute. «Viele frühen Pinschewer-Filme sind verloren gegangen oder restaurierungsbedürftig», erzählt Küttel, die als Produktionsleiterin des Projekts verantwortlich zeichnet. Umso mehr freue sie sich, dass etwa der Werbestreifen «Küchenrebellen. Eine saubere Geschichte» für den Putzmittelhersteller VIM auf der DVD in guter Qualität zu sehen ist. Der schwarz-weiss-Film von 1934 kombiniert Realfilm und Sachtrick und erinnert in seinem Humor an die Slapstick-Stummfilme des US-amerikanischen Komiker Duos Stan Laurel und Oliver Hardy.

Vom Auftrags- zum Autorenfilm

So vielseitig, wie sich die Werbe-Trickfilme Julius Pinschewers präsentieren, so abwechslungsreich, heterogen und bunt zeigt sich die Schweizer Animationsfilmszene insgesamt. In den 1960er Jahren macht die Filmgattung einen Entwicklungssprung vom Auftrags- zum Autorenfilm. Künstler wie Ernest und Gisèle Ansorge experimentieren mit der Technik der Sand-Animation, der Maler Georges Schwizgebel konstruiert seine Filme – virtuose Verknüpfungen von Farb- und Formspielen – im Rhythmus der untermalenden Musik. «Der ästhetischen, thematischen und erzählerischen Bandbreite, die Schweizer Filmemacher im Animationsfilm über Jahrzehnte entwickelt haben, kann man auf einer einzigen DVD kaum gerecht werden», so Küttel.

Künstlerische Bandbreite

Die ausgewählten sechzehn Beiträge – Amateur- und Profifilme, Werbe- und Unterhaltungsfilme – lassen die Vielgestaltigkeit und den Formenreichtum der Gattung dennoch erahnen. In «La Chanson du Pharmacien» etwa – einer klassischen Zeichenanimation nach dem dramatisch-witzigen Lied von Félix Leclerc – erzählt der Genfer Illustrator Daniel Suter vom tragischen Schicksal einer jungen Frau, die sich beim Brotschneiden die Hand verletzt und daraufhin taumelnd in einen Strudel katastrophaler Ereignisse gerissen wird.

Claudius Gentinetta, Trickfilmer und Comiczeichner, wiederum kombiniert in seinem ironischen Kurzfilm «Die Seilbahn» markante Handzeichnungen mit Aquarellmalerei und 3D-Tricks. «Die Gemeinsamkeiten im Schweizer Animationsfilm liegen gerade in seiner Diversität. Jeder Film trägt die individuelle Handschrift seines Schöpfers.» Vielleicht – Eva Küttel holt zu einer umfassenden Bewegung aus – widerspiegelt sich hier ja in eindrücklicher Form die Multikulturalität der Schweiz.