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Forschungsautonomie

«Man redet nicht mehr, man zählt»

Wissenschaftler leisten am meisten und sind am innovativsten, wenn sie frei von Zwängen forschen können. Margit Osterloh, 1991 erste Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich, hielt in ihrer Abschiedsvorlesung ein fulminantes Plädoyer für professorale Forschungsautonomie.
Roland Gysin

Es war der 8. Mai 1990, als Margit Osterloh an der Universität Zürich ihre Probevorlesung hielt. Schon damals beeindruckten sie an den Arbeitsbedingungen der Universität zwei Dinge besonders: Erstens die vertraglich zugesicherte Freiheit, nicht eine bestimmte Anzahl Wochenstunden in der Lehre tätig sein zu müssen, sondern «zwischen sechs bis zehn Stunden».

Margit Osterloh: Forschung ist nicht auf den Augenblick ausgerichtet, sondern auf die Zukunft.

Zweitens beeindruckte sie, dass die meisten Professoren mehr als zehn Stunden wöchentlich für die Lehre aufwendeten. Ihre Erkenntnis schon damals: «Autonomie führt zu freiwilliger Selbstverpflichtung.»

Ein Jahr später, im Frühling 1991, übernahm Margit Osterloh als erste Frau an der Universität Zürich eine Professur für Betriebswirtschaftslehre. Vorgestern nun hielt sie in der Aula ihre Abschiedsvorlesung. Das Thema: «’Unternehmen Universität’ versus 'Gelehrtenrepublik’» – ein fulminantes Plädoyer für professorale Forschungsautonomie.

Forschung funktioniert langfristig

Dass es heutzutage ein solches Plädoyer braucht, ist Osterloh überzeugt. Denn auch an der Alma mater haben die Regeln des «New Public Management» Einzug gehalten. Gefragt sind mehr Wettbewerb, mehr Drittmittel, ein starke Führung, Zielvereinbarungen. Kurz: «Pay for Performance».

Osterloh findet diese Entwicklung deshalb fraglich, weil «für die Universität die Regeln des Marktes nicht spielen». Forschung sei nicht auf den Augenblick ausgerichtet, sondern auf die Zukunft.

«Schrott» ist leicht erkennbar

Heute wird die Qualität von Forschung mittels Peer Reviews bestimmt – für Osterloh ebenfalls problematisch. «Es ist ein System, das selten auf seine Funktionsfähigkeit geprüft wird», sagt sie. Kein Wunder deshalb, dass es kaum empirische Untersuchungen dazu gibt.

Zwar funktioniere die Resultatkontrolle gegen unten «relativ gut» – «Schrott ist leicht als Schrott erkennbar» –, gegen oben werde die Luft jedoch dünner. Was als «sehr gut« oder gar «ausgezeichnet» gelte, darüber würden die Meinungen der Experten auseinander gehen.

So habe George Akerlof – 2001 Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften – seinen 1970 erschienenen und wegweisenden Aufsatz «The market for Lemons» zuvor fünf Mal vergeblich bei verschiedenen Fachzeitschriften eingereicht, bis er endlich angenommen wurde.

Wer einen fremd klingenden, zum Beispiel chinesischen oder indischen Namen hat, hat es besonders schwer, zitiert zu werden, führt Osterloh weiter aus. Entweder geht er – unabhängig von der Relevanz seiner Forschung – ganz vergessen, oder dann wird er unvollständig zitiert. Noch schlimmer: «70 bis 90 Prozent aller Zitate werden fehlerhaft wiedergegeben», sagt Osterloh und spricht von einem «Matthäus-Effekt»: Wer hat, dem wird gegeben.

Spannende Themen bleiben unbearbeitet

«Es ist atemberaubend naiv, den sogenannten «Journal Impact Factor» einer Fachzeitschrift als Qualitätsmerkmal einer wissenschaftlichen Arbeit heranzuziehen», sagt Osterloh. Mit dem «Impact Factor» wird gemessen, wie oft andere Zeitschriften einen Artikel zitieren. Je höher dieser Faktor, desto angesehener die Zeitschrift und desto höher das Renommee und die Karrierechancen der Wissenschaftler, die dort publizieren.

Besonders unerfreulich an dieser Entwicklung sei, dass junge Forscher nicht primär die spannendsten Themen auswählen würden, sondern solche, die am besten messbar sind. Solche, bei denen der Aufwand wegen des hohen Publikationsdruckes relativ niedrig ist.

Um in einer renommierten Zeitschrift zu landen, seien 25 Prozent der Autoren und Autorinnen gar bereit, ihre Artikel inhaltlich zu ändern, wenn «Peers» dies anregen, auch wenn die Wissenschafter überzeugt sind, dass die Experten unrecht haben.

Besonders perfid sei es, wenn Autoren von Fachzeitschriften aufgefordert würden, aus der publizierenden Fachzeitschrift zu zitieren, mit dem Ziel, deren Impact Factor zu steigern.

«Man redet nicht mehr, man zählt»

Auswirkungen hat dieses «Rattenrennen» auch auf die Berufungspolitik der Universitäten. Ausschlaggebend für eine Berufung ist primär die Anzahl der Publikationen und nicht der Inhalt der Forschungen. Osterloh: «Man redet nicht mehr, man zählt.» Die Folgen, etwa in Grossbritannien, seien fatal: Die Forschung werde in ein Korsett gezwängt und komme zunehmend in Form kurzfristiger Projekte daher.

Einen Ausweg aus dieser unheilvollen Spirale sieht Osterloh darin, weniger auf den Output zu achten – sei es in der Gestalt von Rankings oder Impact Factors – als vielmehr auf den Input.

Es gelte, den wissenschaftlichen Nachwuchs besser auszuwählen und das Potenzial, den «taste of science», «ex ante» und nicht erst «ex post» festzustellen. Beispiele seien spezielle Fördereinrichtungen wie das Wissenschaftskolleg in Berlin oder andere Institutionen für «Advanced Studies».

All das sei aber nur möglich, wenn Wissenschaftler in ihrer «Gelehrtenrepublik» grösstmögliche Autonomie erhielten. Etwas, was innovative Unternehmen mit der sogenannten «20-Prozent-Regel» bereits mit Erfolg praktizierten: Bei 3M oder Google etwa sind die Mitarbeiter angehalten, sich einen Tag pro Woche so zu beschäftigen, wie sie es als sinnvoll erachten. Google ist überzeugt, dass fünfzig Prozent der Innovationen im Unternehmen nur dank dieser Regel zustande kommen.

Die Botschaft der scheidenden Wirtschaftswissenschaftlerin an die Universität und an die ihr vorgesetzten Behörden ist klar: Lasst die Wissenschaftler machen.