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Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Von Pannen und Pleiten

«Pleitiers» und «Bankrotteure» standen im Mittelpunkt einer Tagung, die aus wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Perspektive ökonomisches Scheitern beleuchtete. Ein bislang kaum behandeltes Forschungsfeld, das quellenmässig nicht einfach zu erschliessen ist.
Roland Gysin
Wirtschaftliches Scheitern: Historisch bislang kaum behandeltes Forschungsfeld.

Zwischen Januar und August 2009 mussten in der Schweiz 3267 Firmen Konkurs anmelden – über 30 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode. Aktueller kann das Thema einer historischen Tagung deshalb kaum sein: «Pleitiers und Bankrotteure: Die Geschichte des ökonomischen Scheiterns vom 18. bis 20. Jahrhundert», so der Titel.

Organisiert hatten die zweittägige Veranstaltung Roman Rossfeld, Assistent bei Jakob Tanner, Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität Zürich und Ingo Köhler, Assistent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Göttingen.

Die Klammer der Vorträge reichte vom Fallbeispiel eines Serienpleitiers in Frankreich, der mit Seidenstrümpfen im 18. Jahrhundert Handel trieb, über den deutsch-jüdischen Bankier Jakob Goldschmidt Ende der 1920er Jahre bis zum Hydrobergbau und Sterlingmotor in den 1970er Jahren.

«Scheitern» bisher historisch kaum erforscht

Mit dem Tagungsthema betraten die Organisatoren wissenschaftliches Neuland. Ursachen, Verlauf und Folgen ökonomischen Scheiterns wurden bislang aus historischer Perspektive kaum untersucht, so Rossfeld und Köhler. Vergleichende und systematische Studien über die «Wirkungszusammenhänge» zwischen Markt, exogenen Faktoren (rechtliche und politische Rahmenbedingungen), Unternehmen, Unternehmer oder in neuerer Zeit des Managers, fehlen weitgehend.

Im Mittelpunkt der Tagung standen nicht primär abstrakte Handlungsträger, sondern Menschen, die ökonomisch scheitern. Ein erfolgsversprechender Ansatz, der aber auch dazu verleiten könne, so Hansjörg Siegenthaler, emeritierter Professor für Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich, sich das «Scheitern» primär über das Studium biographischer Akten zugänglich zu machen. Ein solche Perspektive reiche jedoch nicht aus, um dem Problem vollumfänglich gerecht zu werden.

Neben vielfältigen exogenen Faktoren müssten auch «begriffs- und mentalitätsgeschichtliche Zusammenhänge» ins Zentrum rücken. Genauso wie «die Relevanz kommunikativer Kompetenz und kommunkativer Vernetzungen».

Persönliche und geschäftliche Beziehungen sind gemäss Siegenthaler ein weites und lohnendes Feld, das es zu beackern gilt, wenn man dem Phänomen des Scheiterns aus personifizierten Perspektive auf die Spur kommen möchte. Denn damit liesse sich die «Binnenperspektive der Menschen» mit denen man sich beschäftigen will, besonders gut erschliessen und in die «Beobachterperspektive des Historikers» aufnehmen.

Erfolg und Misserfolg zwei Seiten derselben Medaille

Hansjörg Siegenthaler versuchte sich in seinem Schlusskommentar dem «heterogen Untersuchungsfeld» mit einer Frage anzunähern, die «zweifellos auf alles passt». Ob es denn einen Unterschied für die Analyse, für die Interpretation und für die Quellenarbeit mache, in erster Linie den ökonomischen Misserfolg – und nicht den Erfolg – zu thematisieren?

Beides sind Seiten ein und derselben Medaille. Das eine ist ohne das andere nicht erklärbar. Vor dem Hintergrund individueller Entscheidungsslogik –, so Siegenthaler, dränge sich deshalb eine «sehr vorsichtige Handhabung des Begriffs des Scheiterns» auf: «Erst dann sollte man von Scheitern reden, wenn wir sehr gute Gründe haben für die Annahme, ein individueller Akteur sei daran gescheitert, dass er keinen Weg mehr gesehen habe, um das zu erreichen, was er erreichen zu müssen gemeint hat.»

Quellenmässig problematisch

Ein solcherart verstandenes Nichtbestehen oder eben Scheitern öffentlich zu verhandeln und historisch aufzuarbeiten, ist offenbar ein mühsames Unterfangen. So lässt sich auch gut nachvollziehen, dass die Finanzierung der Tagung schwierig war. Kein Unternehmen und kein Wirtschaftsverband wollte zu den Tagungskosten einen Beitrag leisten. Das Thema sei zwar akademisch interessant, nicht aber für die Praxis relevant.

Dazu passen auch Kommentare einiger Tagungsteilnehmer über die Weigerung von Unternehmen, externen Forschern Zugang zu Firmenarchiven zu gewähren. Etwa im Fall des deutschen Autobauers «Audi», dessen abschlägige Antwort damit begründet war, dass zum Thema «Scheitern» leider keine Quellen vorhanden seien.

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