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Zivilcourage

Couragiert handeln

Die meisten Menschen schauen weg, wenn jemand angepöbelt oder gar verprügelt wird. Warum das so ist, erforschen Zürcher Motivationspsychologen. Und sie haben ein Zivilcourage-Training entwickelt.
Paula Lanfranconi
Tatort S-Bahn: Wird ein Fahrgast von jemanden belästigt, schauen die anderen weg.

Plötzlich waren sie da. Zwei Schlägertypen in Bomberjacken und Springerstiefeln. Breitbeinig stellten sie sich vor den dunkelhäutigen Fahrgast. «Dreckiges Niggerschwein», zischelten sie. Dann hielten sie ihm ihre Stiefel ins Gesicht. Die anderen Fahrgäste schauten weg oder suchten sich weiter entfernte Plätze. Niemand griff ein.

«Eine typische Situation von Nicht-Handeln», sagt Veronika Brandstätter- Morawietz. Und wissenschaftlich belegt: Nur jede dritte Person, die schon Zeuge eines fremdenfeindlichen Übergriffs war, gab 2002 in einer repräsentativen deutschen Umfrage an, etwas unternommen zu haben. Nicht viel bessere Resultate ergeben sich, wenn es um häusliche Gewalt, Mobbing am Arbeitsplatz oder Übergriffe auf Behinderte geht. Fatale Begleiterscheinung: Schweigen kann als Zustimmung fehlinterpretiert werden und die Gewaltbereitschaft sogar fördern, indem es den Tätern die Rechtfertigung liefert, sie vollzögen ja nur das, was die schweigende Mehrheit vertrete.

Sich für die Menschenwürde einsetzen

Doch warum schauen die Leute weg? Veronika Brandstätter und ihr Team fanden vier Hauptgründe: Man möchte sich nicht in die vermeintliche Privatsphäre anderer Menschen einmischen. Man möchte sich nicht exponieren. Man weiss schlicht nicht, was zu tun wäre. Man ist zu aufgeregt, um zu handeln – und dies, obwohl viele Menschen durchaus aktiv werden möchten. «Es gibt eine Lücke zwischen Einstellung und Verhalten», sagt die Motivationspsychologin.

Die psychologische Forschung befasst sich erst seit kurzem mit dem Phänomen der Zivilcourage. Eine der zentralen Fragestellungen war die Unterscheidung zwischen Zivilcourage und Hilfeleistungen, die auch eine Art von prosozialem Handeln sind. Zivilcourage, so die Antwort der Forschung, ist das sichtbare Eintreten für die Wahrung von zivilgesellschaftlich demokratischen Grundrechten. Es geht also nicht bloss um eine Spende an Amnesty International, sondern um ein sichtbares Aktivwerden für die Menschenwürde. Das setzt Mut voraus, weil mit dem Einschreiten ein gewisses Risiko verbunden ist.

Ein weiteres zentrales Forschungsergebnis: Je öfter sich eine Person in einer Situation befand, in der sie aktives Einschreiten einüben konnte, und je häufiger sie dieses Einschreiten kompetent bewältigte, desto wahrscheinlicher ist es, dass Selbstvertrauen, Handlungsentschlossenheit und vor allem Handlungsroutine zunehmen. Wobei es nicht darum geht, Angstgefühle «wegzutrainieren», sondern darum, Verhaltensweisen zu entwickeln, die trotz Angst ausgeführt werden können.

Zivilcourage ist lernbar

Unter zivilcouragiertem Handeln versteht Veronika Brandstätter indes keine Heldentaten à la Leoluca Orlando, dem sizilianischen Mafiajäger. «Kleine Schritte statt Heldentaten», heisst denn auch der Titel des zweitägigen Zürcher Zivilcourage- Trainings (ZZT). Die Grundbotschaft: Zivilcourage braucht es nicht nur in Diktaturen. Es gibt auch in unserem Alltag genügend Anlässe, wo man mit kleinen, zu einem selbst passenden Verhaltensweisen einem Klima von Gleichgültigkeit und abschätzigem Verhalten Einhalt gebieten kann.

Das Zürcher Zivilcourage- Training basiert auf zwei Säulen: der Vermittlung von relevantem Wissen und dem Aufbau von Handlungskompetenzen. «Das Spezielle an unserem Training», erläutert Veronika Brandstätter, «ist, dass wir den Teilnehmenden immer die relevanten aktuellsten Resultate aus der psychologischen Forschung präsentieren. So lassen sich Verhaltensänderungen leichter erreichen.» Diese Informationen stehen nicht im luftleeren Raum, sondern sie werden mit den Erfahrungen der Teilnehmenden verknüpft. Diese durchleben in Rollenspielen noch einmal typische Situationen, in denen sie nicht zivilcouragiert gehandelt haben.

Herzklopfen und feuchte Hände

Gewaltsituationen indes eignen sich nicht für Rollenspiele, hier helfen mentale Simulationen, wie sie auch im Sport bekannt sind: Die Teilnehmenden schliessen die Augen, die Kursleitung schildert bestimmte Situationen und bittet die Leute, innere Bilder entstehen zu lassen. «Das Schöne an mentalen Simulationen», sagt Brandstätter, «ist, dass man richtig Herzklopfen und feuchte Hände kriegt und lernen kann, mit seinen Ängsten umzugehen.» Im Rahmen der mentalen Simulationen werden den Teilnehmenden auch polizeilich erprobte Verhaltensweisen vermittelt, die sie in kritischen Situationen anwenden können. Letztlich geht es darum, praktikable Handlungspläne zu erarbeiten – keine vagen Absichtserklärungen, sondern konkrete, auf die einzelnen Teilnehmenden ausgerichtete Handlungspläne.