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Grundlagen des menschlichen Sozialverhaltens

Zur Forschung von Benoist-Preisträger Ernst Fehr

Ernst Fehrs experimentelle Forschung befasst sich mit den Grundlagen menschlichen Sozialverhaltens. Ein Überblick über die letzten sieben Forscherjahre.
Brigitte Blöchlinger

Die klassische Ökonomie stellt sich den Menschen modellhaft als Homo oeconomicus vor, als eine rationale, auf die Maximierung des persönlichen Eigennutzes bedachte Person. Sie ist überzeugt, dass vor allem eigennütziges Gewinnstreben den Homo oeconomicus antreibt.

Geben und Nehmen: der Homo oeconomicus ist nicht nur von egoistischen Motiven geleitet, ist Benoist-Preisträger Ernst Fehr überzeugt.

Anders sehen das UZH-Ökonomieprofessor Ernst Fehr und seine Mitstreiter: «Der Mensch als Wirtschaftssubjekt ist nicht nur rational, und er ist nicht nur an der Maximierung des materiellen Eigennutzes interessiert» (Fehr im «unireport» 2002). Natürlich sei Eigennutz ein wichtiges Motiv des Menschen in der Wirtschaftswelt; neben dem Eigennutz existiere jedoch eine Vielzahl anderer Motive wie das Gefühl für Fairness, Vertrauen, Solidarität und Altruismus, die den Egoismus relativieren. In den wirtschaftswissenschaftlichen Theorien müsse das Menschenbild revidiert werden, so Fehr, und einer realistischeren, umfassenderen Vorstellung Platz machen.

Kontrollierte Verhaltensexperimente

Ernst Fehrs Verschiebung des Fokus beruht auf Verhaltensexperimenten; die Experimente werden am Institut für Empirische Wirtschaftsforschung durchgeführt. Die meisten sind als «Geldspiele» konzipiert, bei denen geschaut wird, wie grosszügig oder knauserig beziehungsweise wie kooperativ oder egoistisch sich die Teilnehmenden verhalten.

Fehr’s Forschung hat immer wieder überraschende Resultate zutage gebracht, die das gängige Bild des Homo oeconomicus umstossen: zum Beispiel, dass ein erheblicher Teil der Menschen bereit ist, Trittbrettfahrer, die nur an den eigenen Nutzen denken, zu bestrafen und selbst zu kooperieren. Falls sichergestellt ist, dass die anderen mitmachen, tritt Kooperation viel häufiger ein, als vom ökonomischen Eigennutzmodell angenommen wird.

Allerdings ist die Existenz sozialer und kooperativer Motive allein nicht ausreichend, um Kooperation unter Menschen zu erzielen. Es bedarf auch der geeigneten institutionellen Umgebung. So konnte Fehr gemeinsam mit Simon Gächter – damals Oberassistent an Fehrs Institut und jetzt Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Nottingham – zeigen, dass trotz der Kooperationsbereitschaft vieler Menschen die Kooperation komplett zusammenbrechen kann. Wenn allerdings kooperative Personen die Möglichkeit haben, die Trittbrettfahrer zu sanktionieren, kommt stabile Kooperation zustande. Dieses Forschungsergebnis wurde 2002 in der führenden Wissenschaftszeitschrift «Nature» publiziert und hat viele nachfolgende Forschungsarbeiten angeregt.

Altruismus-Studie in «Science»

Eine andere Studie befasst sich mit der neuronalen Basis altruistischen Bestrafens. Dazu hat sich Fehr mit seinem Zürcher Kollegen Urs Fischbacher (Institut für Empirische Wirtschaftsforschung) und dem Hirnforscher Dominique de Quervain (Psychiatrische Forschung der UZH) zusammengetan.

Das Forschertrio konnte Folgendes nachweisen: Bei Menschen, die andere Individuen, die soziale Normen verletzen, bestrafen, wird das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Die Volksweisheit, wonach Rache süss ist, wurde damit neurobiologisch bestätigt. Viele Menschen sind sogar bereit, hohe Kosten in Kauf zu nehmen, um die Verletzung sozialer Normen zu ahnden. Als Belohnung winkt ihnen «nur» die Befriedigung, die sie verspüren, wenn sie «Gerechtigkeit herstellen». 2004 publizierte das Wissenschaftsjournal «Science» diese Untersuchung als Titelgeschichte.

Neuronale Grundlagen sozialer Interaktion

Neuroökonomie nennt sich die noch junge Kombination von Neurowissenschaften und Ökonomie. An offenen Fragen mangelt es nicht: Welche biologischen Mechanismen stehen hinter moralischem Verhalten? Warum haben wir ein Gerechtigkeitsgefühl? Wie verhalten sich Menschen, wenn Dritten Unrecht geschieht? Mit Hilfe bildgebender Verfahren (Positronenemissionstomografie PET) und nichtinvasiven Methoden der Hirnstimulation will die Neuroökonomie diese Fragen beantworten und damit die neuronalen Grundlagen sozialer Interaktion offenlegen.

Fehr ist überzeugt, dass die Ökonomie wichtige Impulse in die Neuroökonomik einbringen kann. Er hofft, damit Verhaltensweisen verstehen zu können, die aus ökonomischer Sicht schwer verständlich sind, zum Beispiel irrationales Verhalten wie Sucht, bei dem die vernünftigen Kosten-Nutzen-Abwägungen ausgeschaltet sind.

Oft zitiert und mehrfach geehrt: UZH-Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr.

Die Rolle des Hormons Oxytocin beim Vertrauen

Gemeinsam mit dem Psychologen Markus Heinrichs und dem Ökonomen Michael Kosfeld untersuchte Fehr, wie das Hormon Oxytocin die Vertrauensbildung bei gesunden Menschen beeinflusst. Es stellte sich heraus, dass Oxytocin das Vertrauen in die Mitmenschen erheblich fördert.

Auch zu diesem Resultat kam das interdisziplinäre Team mit Hilfe eines «Geldspiels». 45 Prozent der Testpersonen, die mittels eines handelsüblichen Nasensprays Oxytocin inhalierten, vertrauten ihrem Gegenüber und überwiesen ihm im ökonomischen Verhaltensexperiment den grösstmöglichen Betrag. Das waren doppelt so viele wie in der Placebo-Gruppe.

Functional Brain Imaging Laboratory

Die UZH hat dem Thema Neuroökonomie ebenfalls Gewicht verliehen, indem sie 2005 die «Grundlagen menschlichen Sozialverhaltens: Altruismus und Egoismus» zum universitären Forschungsschwerpunkt erklärte.

Auch der Unternehmer Branco Weiss liess sich von der Wichtigkeit der Neuroökonomie überzeugen und schenkte Ernst Fehr und seinen Mitstreitern die notwendigen Geldmittel für einen 3-Tesla Kernspintomographen und die Einrichtung eines neuroökonomischen Labors. Anfang des nächsten Jahres ist der 3-Tesla-Scanner vermutlich einsatzbereit. Fehr möchte damit auch pharmakologische Experimente und nicht-invasive Hirnstimulation mit bildgebenden Methoden verbinden, weil er glaubt, dass diese Kombination von Methoden besonders wertvolle Einsichten zeitigen wird.

Aussergewöhnlich Kooperationsfähigkeit

Die letzten Jahre haben Fehr zu evolutionsgeschichtlichen Fragen geführt. 2008 publiziert er zusammen mit seiner Doktorandin Helen Bernhard und der Erfurter Mikroökonomin Bettina Rockenbach eine Studie in «Nature», welche zeigt, dass bereits Kinder im Alter von 7 und 8 Jahren am Wohl der Anderen interessiert sind. Das Interesse am Wohl des Anderen zeigt sich dabei in Form der so genannten Ungleichheitsaversion: 7- bis 8-Jährige achten beim Teilen darauf, dass sowohl sie selbst als auch die anderen gerecht behandelt werden, dass also beide gleich viel erhalten.

Damit sei der Homo sapiens bisher die einzige Spezies, bei der sich die Individuen bereits in der Kindheit an Ungleichheit stossen. Diese Entwicklung ist eine wichtige Erklärung für die aussergewöhnliche Kooperationsfähigkeit des Menschen, folgern Fehr und Rockenbach.

Bevorzugung der eigenen Gruppenmitglieder

Fehrs neuestes Verhaltensexperiment (zusammen mit Dr. Charles Efferson, Evolutionsökologe an der Universität Zürich, und Ökonomieprofessor Rafael Lalive von der Universität Lausanne) – welches letzte Woche in «Science» publiziert wurde – untersucht die Mechanismen kultureller Gruppenbildung, die Bestimmungsgründe individueller Gruppenzugehörigkeit und welches Umfeld dazu beiträgt, dass die eigenen Gruppenmitglieder bevorzugt werden. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass bei diesen Prozessen willkürliche, an sich inhaltsleere, symbolische Merkmale eine Schlüsselrolle spielen.

Höchst erfolgreiche Forschertätigkeit

Die Aufzählung an Forschungsresultaten in diesem Artikel kann nicht sämtliche Ergebnisse aus Fehrs Forschertätigkeit berücksichtigen – seine Publikationsliste umfasst 11 A4-Seiten. Gemäss neustem Ranking des deutschen Handelsblatts weist Ernst Fehr unter allen deutschsprachigen Ökonomen die meisten Publikationen in den fünf weltbesten Fachzeitschriften auf. Er gehört auch zu den weltweit meist zitierten Ökonomen (Platz 4 des Web of Science Rankings in Economics & Business).