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Ausstellung «Vom Grünschnabel zum Weisskittel»

Innenansichten einer Ärzteschmiede

«Vom Grünschnabel zum Weisskittel» heisst die kleine, aber feine Ausstellung des Medizinhistorischen Archivs. Sie zeigt, wie im Laufe der letzten 175 Jahre an der Universität Zürich aus Medizinstudierenden Ärzte geformt wurden.
David Werner

Sturz vom Hexenbesen: Karikatur des ersten Rektors und Goethe-Freundes Lorenz Oken.

Da fliegt er, der erste Rektor der Universität Zürich. Beim Ritt über den Blocksberg ist der Naturphilosoph und Goethe-Freund Lorenz Oken (1779-1851) offenbar vom Hexenbesen gepurzelt, nun rudert er wild mit den Armen.

Studentische Karikaturen wie diese gehören zu den Attraktionen der Ausstellung «Vom Grünschnabel zum Weisskittel» des Medizinhistorischen Archivs. Viele der Zeichnungen stammen aus so genannten «Bierzeitungen», in denen Studierende Klatsch verbreiteten und auf mehr oder weniger gekonnte Weise ihrer Spottlust frönten. Weitere der ausgestellten Karikaturen finden sich auf Mitschriften von Vorlesungen. Was Hörer vor hundert und mehr Jahren in müden Minuten beiläufig hinkritzelten, wenn die Vorträge sich in die Länge zogen oder die Luft im Auditorium stickig wurde, fasziniert uns heute als einmaliges Zeitdokument.

Archivbeständen Leben eingehaucht

Mit der Ausstellung «Vom Grünschnabel zum Weisskittel» gibt das Archiv des Medizinhistorischen Instituts, das zu den bedeutendsten seiner Art zählt, Einblicke in seine bisher noch nie öffentlich gezeigten Bestände. «Wir haben uns dem Thema Lehre angenommen, weil die Lehre sonst meist im Schatten der Forschung steht», erklärt Archivleiterin Iris Ritzmann. Zusammen mit Wiebke Schweer und Eberhard Wolf durchstöberte sie die 700 Laufmeter Aktenmaterial, die im Archiv am Hirschengraben lagern. Schliesslich wurden 175 Dokumente ausgewählt, darunter Vorlesungsmitschriften, Diplome, Skizzen, Briefe, Notizen, Fotoalben und Manuskripte, zudem auch verschiedenste didaktische Hilfsmittel wie zum Beispiel handgemalte Schautafeln, anatomische Modelle aus Karton und chirurgische Lehrfilme zum Thema Knocheneinrenken. Lauter Schätze, die auf eindrückliche Weise erfahrbar machen, wie zeitabhängig medizinische Unterrichtsinhalte sein können.

700 Laufmeter Archivmaterial haben Archivleiterin Iris Ritzmann (r.), Wiebke Schweer (l.) und Eberhard Wolf durchstöbert.

Raffinierte Ausstellungsarchitektur

Eine systematische Darstellung der Entwicklung der Lehre an der Universität wird nicht angestrebt, die Akzente liegen vielmehr auf einzelnen Episoden. Jedes Exponat erzählt seine eigene Geschichte – und verweist dabei auf den jeweiligen historischen Kontext. Die raffinierte Ausstellungsarchitektur erlaubt, die Einzelobjekte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dadurch eröffnen sich vielerlei überraschende Querbezüge. Vermeintlich totes Aktenmaterial wird auf diese Weise plötzlich sehr lebendig.

Hypnotisierte Schwester

Besonders amüsant ist zum Beispiel ein Brief des Medizinstudenten Max Bircher-Benner, dem späteren Müesli-Erfinder, an seinen Professor Auguste Forel. Dieser hielt 1888 an der Universität Zürich Vorlesungen zum Hypnotismus, die weit über die Fachwelt hinaus für Aufsehen sorgten. Der junge Bircher-Benner war davon derart beeindruckt, dass er die neuen Techniken umgehend an seiner fünfzehnjährigen Schwester ausprobierte, welcher die Behandlung allerdings schlecht bekam: Es wurde ihr übel. Erschrocken griff daraufhin Bircher-Benner zur Feder und ersuchte seinen Lehrer um Rat. Die Anfrage war der Beginn einer intensiven Korrespondenz zwischen Lehrer und Schüler.

Studentinnen als Kuriosum

Nicht nur unter medizinhistorischem, auch unter sozial- und mentalitätsgeschichtlichem Gesichtspunkt ist die Ausstellung von Interesse. So lassen beispielsweise die prunkvollen Immatrikulationsbescheinigungen aus der Gründungszeit der Universität erahnen, was für ein Privileg es im 19. Jahrhundert war, Medizin zu studieren. Liebevoll gestaltete, mit zahlreichen sorgfältig kolorierten Skizzen versehene Mitschriften von Vorlesungen – so genannte «Kolleghefte» – zeugen vom Respekt früherer Studierendengenerationen vor dem dargebotenen Lernstoff. Fotoalben aus der Zeit der Belle Epoque vermitteln Eindrücke vom damaligen Freundschaftskult.

In so genannten «Bierzeitungen» verbreiteten die Studenten Klatsch und Spott. Beliebtes Sujet: die Medizinstudentinnen.

Bierzeitungen wiederum führen unmissverständlich vor, was den Studenten um die Jahrhundertwende besonders missfiel: es waren die Medizinstudentinnen. Die Witzblätter aus dieser Zeit quellen über von despektierlichen Darstellungen angehender Ärztinnen. Obwohl die Universität Zürich Frauen schon ab 1867 ein reguläres Studium mit Promotion ermöglichte, galten Medizinstudentinnen bis ins 20. Jahrhundert hinein als Kuriosum.

Freundschaften und Rivalitäten

Wie diese Beispiele zeigen, wird die Universität in der Ausstellung nicht nur als Lern-, sondern darüber hinaus auch als ein sich ständig wandelnder Lebensraum dargestellt. Ein Ort, an dem Freundschaften geknüpft, Leidenschaften kultiviert, Werte geprägt, Vorbilder nachgeahmt, Rivalitäten ausgetragen, Hoffnungen gehegt und Geschlechteridentitäten zelebriert werden. Büffeln allein macht eben aus einem Grünschnabel noch keinen Weisskittel. Daran immerhin hat sich in den letzten 175 Jahren nichts geändert.

 

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