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Ausstellung «Welche Schönheit, Erhabenheit und Grösse …» 

Als die Götter unter uns weilten

Im Lichthof der Universität und im angrenzenden Foyer thronten einst die Götter und Heroen. Nun erleben die antiken Körperbilder eine Renaissance – zumindest für einige Monate: Im Rahmen des 175-Jahr-Jubiläums kehren sie an ihren ursprünglichen Standort zurück. Darunter auch eine spektakuläre Neuerwerbung.
Sascha Renner

Als der Moserbau 1914 bezogen wurde, waren der Lichthof und das im Westen anschliessende Foyer mit Abgüssen von Statuen, Reliefs und anderen Kostbarkeiten gefüllt.

Dienstagmorgen im Foyer der Universität: ein Baugerüst, das bis unter die Decke reicht, darauf drei Männer und eine Frau mit weissen Handschuhen. Sachte hebt der Kran seine zerbrechliche Last empor – einen monumentalen Oberkörper. Da hängt er, der Riese, der Koloss, der Kuros von Samos. In zwei Teilen wurde der Gipsabguss des Jünglings, eines der bekanntesten Kunstwerke der griechischen Archaik, gefertigt. Nun sind beide vereint und ragen fünf Meter empor. Es stimme sie euphorisch, sagt Simone Voegtle, dass nach über drei Jahrzehnten Teile der Abgusssammlung ins Foyer zurückkehrten. Mit Argusaugen überwacht die Assistentin der Archäologischen Sammlung die Installation der Monumentalplastik. Es ist der grösste aller Zürcher Gipse.

Der Kuros von Samos wird vorsichtig zusammengesetzt; der Koloss ist fünf Meter hoch.

Traummänner, so weit das Auge reicht

Der Kuros soll daran erinnern, dass dieser Ort im Herzen der Universität einst über und über mit Statuen, Reliefs und Vitrinen voller Bronzeobjekte, Vasen und anderen Kostbarkeiten bestückt war. Alte Aufnahmen zeigen ein Bild wie im Louvre. Das war zwischen 1914 und 1972. Die Ursprünge der Sammlung reichen jedoch noch weiter zurück. Im Jahr 1854 entschlossen sich die Zürcher Dozenten, die Einkünfte aus öffentlichen Vorträgen für den Erwerb von Gipsabgüssen antiker Statuen zu verwenden. Man schätzte die Antiken als Verkörperung des Idealschönen schlechthin. Für Künstler und Studierende waren sie unentbehrliches Anschauungsmaterial. Meisterwerke, die über Sammlungen in ganz Europa verstreut waren, konnte man so in aller Ruhe nebeneinander betrachten.

Der Kuros von Samos ist eines der bekanntesten Kunstwerke der griechischen Archaik.

Doch dann änderte sich der Zeitgeschmack, die Begeisterung für die griechisch-römische Antike schmolz ebenso rasch dahin wie das humanistische Bildungsideal. Die Antiken galten als Zeugnisse einer verkrusteten, bourgeoisen Weltanschauung. Zwar wurde immer wieder auf die Einzigartigkeit des Aufstellungsorts hingewiesen: «dass hier das studentische Leben sich abspiele in stetem Anblick der grossen Kunst der Antike und in lebendigem Kontakt mir ihr». Wiederholte Beschädigungen und vor allem die durch steigende Studentenzahlen herbeigeführte Platznot führten dann aber dazu, dass die Sammlung vorübergehend magaziniert wurde. Zurück blieben einzig die auch heute noch vorhandenen Abgüsse der Friese des Pergamonaltares sowie des Parthenon und anderer griechischer Tempel. Seit 1984 ist die Abgusssammlung wieder sichtbar, als für sie an der Rämistrasse 73 eine neue Heimstatt eingerichtet wurde.

Wie anno dazumal

Mit einer Sonderausstellung im Rahmen des 175-Jahr-Jubiläums will die Archäologische Sammlung nun an die einstige Hochzeit der antiken Helden erinnern. Dafür wurden zwei der Nischen im Foyer mit Statuen originalgetreu rekonstruiert. Im anschliessenden Lichthof zeigen historische Fotografien, darunter ein riesiges Überformat, das ursprüngliche Aussehen dieses Teils des Hauptgebäudes. Blickfang ist jedoch die Gipskopie des Kuros von Samos aus dem sechsten Jahrhundert vor Christus. Die Archäologische Sammlung hat die Statue erst kürzlich erworben und schliesst damit eine Lücke in ihren Beständen. Das kapitale Stück wurde 1980 auf der griechischen Insel Samos entdeckt. Der Anfang 2007 emeritierte Zürcher Lehrstuhlinhaber Hans Peter Isler war an der Bergung des Funds persönlich beteiligt.

Die Entlassung aus den Konventionen der bürgerlichen Bildungstradition hat bewirkt, dass die Gipse aus dem Schussfeld ideologischer Kritik geraten sind. Nicht auszuschliessen, dass den Göttinnen und Traummännern eine Renaissance bevor steht – zumal man sich an ihren makellosen Leibern kaum satt sehen kann. Oder gab es jemals einen ausgeprägteren Hang zum Körperkult als heute?