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Heilige Schriften im Vergleich

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Die Bibel und die Wissenschaften» warf Prof. Christoph Uehlinger einen religionswissenschaftlichen Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Bibel und Koran.
Adrian Ritter

Der Koran kennt zahlreiche christliche wie auch jüdische Motive, Traditionen und Charaktere, von denen auch in der Bibel die Rede ist.

«Wenn Muslime und Christen keinen Frieden miteinander halten, kann die Welt keinen Frieden finden», schrieben 138 islamische Gelehrte kürzlich in einem offenen Brief an Papst Benedikt XVI. Die Grundlage für diesen Frieden zwischen den beiden Religionen sei durchaus vorhanden, schrieben die Gelehrten weiter. Gottesliebe und Nächstenliebe seien die Gemeinsamkeiten, auf welchen der künftige interreligiöse Dialog beruhen solle. Verankert finden sie die beiden wichtigen Prinzipien sowohl in der Bibel wie auch im Koran.

Dass Bibel und Koran viele Gemeinsamkeiten aufweisen, wurde letzte Woche auch im Referat von Professor Christoph Uehlinger an der Universität Zürich (UZH) klar. Uehlinger ist Professor für Allgemeine Religionsgeschichte und Religionswissenschaft an der UZH und sprach im Rahmen der interdisziplinären Veranstaltungsreihe «Die Bibel und die Wissenschaften» von Universität und ETH Zürich.

Zwischen Lesen und Hören

Uehlinger ging vor allem auf Entstehungsgeschichte und Inhalt der beiden «heiligen Schriften» Bibel und Koran ein. Er wies darauf hin, dass der Begriff der «heiligen Schrift» im religionsübergreifenden Vergleich nicht unumstritten sei, da er stark christlich geprägt sei. Andere Religionen gingen mit ihren so genannten kanonischen Texten oft ganz anders um.

So herrsche im westlichen Christentum ein hermeneutischer Zugang zur Bibel vor, bei dem das Lesen und Interpretieren der Bibel religiöse Bedeutung habe. Im Islam hingegen stehe das Rezitieren und Hören des Koran im Zentrum – als ästhetische Erfahrung, die über das kognitive Bemühen um Bedeutung hinausgehe.

Die Bibel - eine Bibliothek verschiedenartiger Schriften, die über die Jahrhunderte zusammengewachsen sind.

Vorsichtiger Vergleich

Für die Religionswissenschaft sei es wichtig, sich bei einem Vergleich zweier Traditionen um grösstmögliche Symmetrie und Gleichbehandlung zu bemühen. Nicht das Eigene (die Bibel) soll mit dem Fremden (dem Koran) verglichen werden, sondern es gelte, «Fremdes mit Fremdem zu vergleichen».

Vollständig gelingen könne dies allerdings nicht, denn je nach kulturellem und akademischem Hintergrund kenne ein Wissenschaftler die eine heilige Schrift und deren Originalsprache zumeist besser als die andere.

Neu konfiguriert

Ein Vergleich zwischen Bibel und Koran sei nicht zuletzt deshalb möglich und sinnvoll, weil der Koran selber Bezüge zur Bibel der Juden und Christen herstelle. Die heilige Schrift des Islam kenne zahlreiche christliche wie auch jüdische Motive, Traditionen und Charaktere, von denen auch in der Bibel die Rede sei. «Der Prophet Mohammed hat diese nicht neu erfunden, sondern sozusagen neu konfiguriert.» Entsprechend könne man vom Koran als einer «arabischen Alternativoffenbarung» sprechen, sagte Uehlinger.

In einem Buch

Was wir heute als «die Bibel» in der Hand halten, ist in Wirklichkeit eine Bibliothek recht verschiedenartiger Schriften, die über die Jahrhunderte zusammengewachsen seien. Diese als ein einziges Buch wahrzunehmen, sei überhaupt erst mit der Erfindung der antiken Buchform des «Codex» möglich geworden.

Der in der Spätantike entstandene Koran setze die Vorstellung, dass die Offenbarung in einem Buch greifbar sei, dann bereits voraus. Entsprechend geschah die Sammlung und Kodifizierung der Suren nach dem Tod des Propheten innerhalb von nur zwei oder drei Generationen im Vergleich zur Bibel sehr schnell.

Unterschiedliche «Verkündungszeit»

Noch kürzer dauerte beim Koran mit rund 20 Jahren die eigentliche «Verkündungszeit». Sie beschränkte sich auf das letzte Lebensdrittel eines einzigen Propheten. Die Art und Weise, wie sich Texte des Koran als Offenbarung legitimieren, weisen deshalb gemäss Uehlinger eine höhere «Kohärenz» auf als biblische Texte.

Deren «Autorisierungsmuster» seien sehr variabel, indem beispielsweise Texte, die sich als direkte Gottesrede präsentieren, in der Bibel neben solchen stehen, die keinerlei Anspruch auf besondere Inspiration erheben.

Nicht das Eigene (die Bibel) soll mit dem Fremden (dem Koran) verglichen werden, sondern es gelte, «Fremdes mit Fremdem zu vergleichen»: Prof. Christoph Uehlinger.

Das «prophetische Paradigma»

Grundsätzlich folgten die heiligen Schriften des Judentums, des Christentums und des Islam jedoch einem «prophetischen Paradigma». Demzufolge kann Kenntnis des göttlichen Willens durch autorisierte Menschen vermittelt werden. Diesem Paradigma ist gemäss Uehlinger eine Tendenz zum Wettbewerb inhärent: Stehen konkurrierende Offenbarungsansprüche nebeneinander, muss zwischen «wahren» und «falschen» Propheten differenziert werden, um die für «richtiger» gehaltene Offenbarung zu legitimieren.

In der Bibel wird Mose zum übergeordneten Propheten erklärt. Allein zu ihm spreche Gott «von Angesicht zu Angesicht», wogegen er sich anderen Propheten lediglich im Traum oder in Rätseln zu erkennen gebe. Wenn Jesus im Neuen Testament als «Sohn», ja als «Wort» Gottes bezeichnet werde, werde noch grössere Nähe und Vertrautheit behauptet.

Der Islam wiederum stand vor der Herausforderung, den Propheten Mohammed als Vermittler einer weiteren, überlegenen Offenbarung zu legitimieren. Diese Legitimation erfolgt im Koran einerseits dadurch, dass die Gottessohnschaft Jesu bestritten wird und andererseits durch die besondere Wertschätzung der arabischen Sprache.