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Kritik an internationaler Präsenz in Afghanistan

Solange Afghanistan von internationalen Truppen kontrolliert wird, kommt das Land nicht zur Ruhe. Davon zeigte sich der ehemalige Präsident Rabbani an einem Seminar an der Universität Zürich überzeugt.
Theo von Däniken

«Luftangriffe wie im Irak»: Albert A. Stahel zur militärischen Situation in Afghanistan.

Zerstörte Städte, fehlende Infrastruktur, hohe Kindersterblichkeit, kaum Arbeitsplätze, steigender Opiumanbau: Mehr als fünf Jahre nach Beginn der Internationalen Friedenssicherungs-Mission ISAF deutet wenig darauf hin, dass sich die Lage in Afghanistan verbessert hat. An einem Seminar von Professor Albert A. Stahel zeichneten der ehemalige afghanische Präsident Burhanuddin Rabbani und die beiden Parlamentarier Pair Sayed Ishaq Gailani und Amanullah Paimann, alle drei ehemalige Mudjaheddin-Kämpfer im Widerstand gegen die sowjetische Besatzung, ein düsteres Bild der Lage in ihrem Land. Besonders scharf ins Gericht gingen sie mit der internationalen Militärpräsenz und der Aufbauhilfe.

Afghanistan als besetztes Land

«Viele islamische Staaten sehen Afghanistan als ein von der Nato besetztes Land an», sagte Ishaq Gailani. Solange sich die westlichen Truppen – allen voran die USA – nicht aus dem Land zwischen Iran und Pakistan zurückzögen, werde keine Sicherheit und Stabilität in das Land und in die Region einkehren.

Die Hoffnung, dass die Nato und die ISAF Ruhe in das Land bringen, habe sich nicht erfüllt, meinte Gailani. Im Gegenteil, die Luftangriffe nehmen zu und haben inzwischen etwa dasselbe Ausmass wie im Irak erreicht, wie Albert A. Stahel ausführte. Dabei wird mit Kampfflugzeugen und hoher Feuerkraft Jagd auf vereinzelte Widerstandskämpfer gemacht. «Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Erfolg solcher Aktionen», ist Stratege Stahel überzeugt. «Die internationale Gemeinschaft würde besser weniger in den Luftkrieg dafür mehr in die Bildung investieren.»

«ISAF brachte keine Beruhigung»: Pair Sayed Ishaq Gailani.

Nicht nur Widerstandskämpfer

Aus den Voten der Politiker wurde klar, dass die Mudjaheddin, Sieger im Kampf gegen die sowjetische Besatzung, mehr Einfluss und Selbstbestimmung in Afghanistan wünschen. 1992, als die Mudjaheddin die Regierung bildeten, habe sich der Westen von Afghanistan abgewandt, sagte der damalige Präsident Rabbani. Jetzt, nach dem Sturz der zunächst vom Westen unterstützten Taliban, werde die Regierung von den Interessen der ausländischen Mächte bestimmt. Die Mudjaheddin wollen und müssen jedoch beim Wiederaufbau des afghanischen Staates eine wichtige Rolle spielen, so die Botschaft der Politiker.

Rabbani, Gailani und Paimann gaben sich Mühe, das Bild der Mudjaheddin zurecht zu rücken. «Die Mudjaheddin waren und sind eine kulturelle und politische Kraft, nicht nur Widerstandskämpfer», sagte Rabbani. Unter seiner Präsidentschaft zu Beginn der 90-er Jahre sei der Aufbau von Bildungseinrichtungen und auch beispielsweise der Einbezug der Frauen in die Gesellschaft und Politik vorangetrieben worden. «Hätte die Welt die Mudjaheddin 1992 nicht alleine gelassen», so Rabbani «wäre die Situation heute nicht so schlimm.»

«Die Mudjaheddin waren nicht nur Widerstandskämpfer»: Ex-Präsident Burhanuddin Rabbani zeichnete ein positives Bild der Mudjaheddin.

Schwaches Parlament

Gailani beklagte nicht nur, dass die Aufbauhilfe kaum vorankommt, sondern auch, dass der Druck ausländischer Mächte die internen politischen Organe schwächt. Das Parlament sei gegenüber dem Präsidenten zu wenig stark und könne seine in der Verfassung zugesicherten Rechte nicht wahrnehmen. So seien zwei Minister, obwohl vom Parlament abgewählt, auf Druck des Auslandes noch immer an der Macht.

Das Parlament habe zudem kaum Geld zur Verfügung, doppelte Amanullah Paimann nach. Die Abgeordneten können sich kaum Gehör verschaffen. Dem Parlament fehlten Angestellte, weil es nur geringe Löhne zahlen könne. Währenddessen würden die Berater des Präsidenten mit westlichen Geldern fürstlich entlöhnt, so Paimann.

Anders sieht nach Angaben von Rabbani hingegen die Situation in den Provinzen aus, die von ehemaligen Mudjaheddin-Führern regiert werden. Dort mache der Wideraufbau rasche Fortschritte, ohne internationale Hilfe und ohne die Hilfe der Zentralregierung.

Seit jedoch einige der Gouverneure auch ins Kabinett von Hamid Karzai eingebunden wurden, wie beispielsweise Ismail Khan, der mächtige Gouverneur von Herat, seien diese Aufbaubemühungen zum Erliegen gekommen. Rabbani könnte sich deshalb auch mit der Idee einer Stärkung der Regionen anfreunden. «Dies hilft der wirtschaftlichen Entwicklung», ist er überzeugt.

«Föderalismus gefährdet die Einheit Afghanistans»: Amanullah Paimann.

Warnung vor Experimenten

Amanullah Paimann, Vertreter der nördlichen Provinz Badakhshan warnte jedoch vor Experimenten mit föderalistischen Strukturen. «Föderalismus hilft den Leuten, die ihre eigene Macht behalten wollen», so Paimann. «Er würde die Einheit des Landes gefährden.» Für Paimann dürfen demokratische Entwicklungen die Traditionen und kulturellen Eigenheiten des Landes nicht in Frage stellen. «Es ist wichtig, dass nicht Leute von Aussen versuchen, ihre Ideen durchzusetzen.» Der politische Prozess müsse sich auf die Menschen stützen, die in der afghanischen Gesellschaft aufgewachsen seien.

Der ehemalige Präsident Rabbani sieht die Zukunft Afghanistans in einem Versöhnungsprozess, der jetzt innerhalb und ausserhalb des Parlament in Gang komme. Daran müssten alle ethnischen, politischen und religiösen Gruppen beteiligt sein, auch die Taliban. «Afghanistan ist mit grossen Problemen im Wideraufbau und im politischen Prozess konfrontiert. Aber ich hoffe, wir werden das Ende der Kämpfe und das Aufkeimen des Friedens in Afghanistan noch erleben.»