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Schulklima und psychische Entwicklung

Konkurrenzdruck und mangelndes Vertrauen von Jugendlichen untereinander und zur Lehrperson können Schülerinnen und Schülern das Leben schwer machen. Wie ein schlechtes Schulklima sich auf die Psyche auswirken kann, geht aus einer Langzeitstudie hervor, die vom Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie durchgeführt wurde.
Marita Fuchs

Ein negativ erlebtes Schulumfeld muss sich nicht dauerhaft negativ auf die Psyche niederschlagen. «Für eine längerfristige Auswirkung kann kein eindeutiger Zusammenhang festgestellt werden», sagt der Professor und Ärztliche Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Zürich, Hans-Christoph Steinhausen. Kurzfristige Auswirkungen seien jedoch durchaus möglich und nachgewiesen. Diese Befunde sind in einem kürzlich von ihm unter dem Titel «Schule und psychische Störungen» herausgegebenen Sammelband ausführlich dargestellt, an dem zahlreiche namhafte Fachleute mitgewirkt haben.

Beobachtungszeitraum von zehn Jahren

Steinhausen stützt seine Beobachtungen auf die «Zürcher Adoleszenten-Psychologie und –Psychopathologie-Studie», kurz ZAPPS. In dieser Längsschnitt-Studie hat er zusammen mit Dr. Christa Winkler Metzke die Häufigkeit, den Verlauf und die begleitenden Merkmale psychischer Störungen im Jugendalter über einen Zeitraum von zehn Jahren untersucht. Mit den in der ZAPPS erhobenen Daten können vielfältige Fragestellungen im Zusammenhang mit der psychischen Entwicklung von Adoleszenten beleuchtet werden. Beispielsweise eben die Bedeutung der Schule für das Befinden und Verhalten von Jugendlichen. Der lange Beobachtungszeitraum über ein Jahrzehnt ermöglicht die wissenschaftliche Betrachtung und Analyse der Entwicklungsspanne vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenen.

Erfordert eine gute Regie: Prof. Hans-Christoph Steinhausen führte eine Längsschnitt-Studie durch, die die Häufigkeit, den Verlauf und die begleitenden Merkmale psychischer Störungen im Jugendalter untersucht.

Das Klima an Schulen

Um das Schulklima einzuschätzen, wurden die Jugendlichen nach der Konkurrenz unter den Schülern befragt, nach der Anerkennung durch Gleichaltrige, der Kontrolle durch die Lehrpersonen, den Mitbestimmungsmöglichkeiten und dem Leistungsdruck.

Ein negatives Schulklima – von Leistungsdruck, mangelnder Unterstützung und Konkurrenzdruck geprägt – könne als Belastungssituation erlebt werden, erklärt Steinhausen. Ob diese als Ursache für das Auftreten von psychischen Störungen – wie etwa depressiven Verstimmungen – angesehen werden kann, wird von Steinhausen und Winkler Metzke nicht eindeutig bejaht. «Die Richtung des Zusammenhangs ist offen», so Steinhausen. Wie das Schulklima empfunden werde, widerspiegle immer auch das eigene Befinden der Schülerin oder des Schülers, das seinerseits durch weitere ausserschulische Bedingungen beeinflusst werde.

Die Auswertung der umfangreichen Datensätze ist noch längst nicht abgeschlossen und bietet Möglichkeiten für die Untersuchung zahlreicher weiterer Fragen, sagt die Mitinitiantin der Studie, die Psychologin Dr. Christa Winkler Metzke.

In der ZAPPS konnte im Dreijahresverlauf eine hohe Stabilität des erlebten schulischen Klimas nachgewiesen werden: Das zum ersten Erhebungszeitpunkt wahrgenommene Schulklima beeinflusste stark das erlebte Klima zum zweiten Zeitpunkt. Wer die ersten Schuljahre positiv erlebte, empfand in der Regel auch die späteren Schuljahre als positiv und umgekehrt. Auch bezüglich der Stabilität der psychischen Befindlichkeit konnte eine hohe Kontinuität nachgewiesen werden. Hingegen konnte zwischen dem ursprünglich erlebten Schulklima und der späteren Befindlichkeit keine ursächliche Beziehung nachgewiesen werden.

Flüchten oder standhalten

Wieso zeigen bestimmte Schüler trotz ungünstig erlebter Schulumwelt eine gute psychische Befindlichkeit und wieso reagieren andere sehr empfindlich darauf? «Neben einem tragfähigen sozialen Netzwerk sind zur Bewältigung verschiedenster Entwicklungsaufgaben auch persönliche Kompetenzen und Ressourcen erforderlich, die in der Adoleszenz ausgebaut oder neu entwickelt werden müssen», so Steinhausen. Ob das Problem aktiv angegangen oder Vermeidungsstrategien zum Tragen kämen, hänge stark von derartigen individuellen Persönlichkeitsmerkmalen ab.

Schutzfaktoren in der Adoleszenz

Die Adoleszenz ist ein Lebensabschnitt, der grosse Anforderungen an die Heranwachsenden stellt. «Wir wollten in der Studie erfassen, welche Störungen in diesem Lebensabschnitt in welcher Grössenordnung auftreten und welche Risikofaktoren ihr Auftreten begünstigen», sagt Professor Hans-Christoph Steinhausen. «Uns hat ferner interessiert, wie die Jugendlichen mit belastenden Lebensereignissen wie z.B. einer Krankheit der Mutter oder der Arbeitslosigkeit des Vaters umgehen und welche Schutzfaktoren die Auswirkung dieser Belastungen abmildern können; dabei interessierten uns besonders persönliche Bewältigungsstrategien und der Selbstwert der Jugendlichen sowie das Unterstützungspotenzial aus ihrer unmittelbaren Umgebung», erklärt Steinhausen.

Zwei Generationen berücksichtigen

«Heute sind die Befragten der Studie junge Erwachsene in der Familiengründungsphase», sagt Professor Hans-Christoph Steinhausen. «Wir möchten in den nächsten Jahren gerne noch einmal auf die Teilnehmer unserer Studie zugehen und nun auch deren Kinder befragen.» Damit würden die Daten um die Generationenperspektive bereichert, bisher noch eine Seltenheit bei Längsschnittstudien.