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Die Sprache des Protests

Sie untersuchen soziale Bewegungen von der Friedensbewegung der 1950er-Jahre bis zu den Anti-WEF-Demonstrationen der heutigen Zeit. Den Stand ihrer Arbeiten präsentierten die Mitglieder des Forschungs-Netzwerkes «Europäische Protestbewegungen seit der Zeit des Kalten Krieges» letzte Woche an der Universität Zürich.
Adrian Ritter

Aktion für faire Arbeitsbedingungen anlässlich der Olympischen Spiele 2004: Entwicklungspolitische Organisationen weisen auf die Arbeitsbedingungen von Arbeiterinnen und Arbeiterin in Sportbekleidungs-Fabriken hin.

Inwiefern kleideten sich die männlichen Protestteilnehmer um 1968 in Deutschland anders als in den USA? Welchen Zusammenhang haben Protest, Musik und Tanz? Wie organisieren sich Aktivisten im Zeitalter des Internet?

Dies sind nur einige der Fragestellungen, für die sich die rund 130 Mitglieder des Forschungs-Netzwerkes interessieren. Es besteht seit 2006, wird von der EU finanziert und vereint Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa und Nordamerika. Vom 7. bis 10. März trafen sie sich an der Universität Zürich zu ihrem zweiten Workshop.

Hatte sich der Workshop im vergangenen Jahr vor allem mit politologischen und soziologischen Fragestellungen beschäftigt, widmete sich der Workshop «Designing a New Life: Aesthetics and Lifestyles of Political and Social Protest» diesmal vor allem der Analyse von Protestbewegungen aus kulturwissenschaftlicher Sicht.

«Alternative» Lebensstile

Wie wichtig kulturelle Einflüsse sozialer Bewegungen sind, wird am Beispiel der 1968er-Bewegung deutlich. Sie verband ihren politischen Protest stark mit der Kritik an kulturellen Werten und Lebensmustern. Gleichzeitig wurde der «alternative» Lebensstil für die Bewegung selber zu einer wichtigen Ressource bei der Mobilisierung von Anhängerinnen und Anhängern.

Fächer wie Kulturanthropologie, Sprachwissenschaft und Gender Studies haben in den letzten Jahren denn auch neue Sichtweisen zur Analyse des Phänomens beigetragen. Sie verstehen Protestaktionen als Symbole und untersuchen sie nicht nur auf ihre politischen Ziele, sondern auch im Hinblick auf ihre Bedeutungen, Lebensstile und Diskurse.

Die 1968er-Bewegung verband politischen Protest mit der Kritik an kulturellen Werten und Lebensstilen. 

Der «Zürcher Sommer»

Der Workshop von letzter Woche hatte zum Ziel, Möglichkeiten und Grenzen solcher kulturwissenschaftlicher Ansätze zu diskutieren. Auch mehrere Forschende der Universität Zürich haben daran teilgenommen. Joachim Scharloth, Mitinitiant des Netzwerkes, beschäftigt sich gemeinsam mit Prof. Angelika Linke und weiteren Mitarbeitenden am Deutschen Seminar mit dem «Zürcher Sommer 1968».

Das Projekt nimmt die Tatsache zum Anlass, dass die 1968er-Bewegung bisher in der Schweiz kaum wissenschaftlich untersucht wurde. Eingang ins kulturelle Gedächtnis hätten eher die Protestereignisse um 1980 gefunden («Züri brännt»), stellten die Wissenschaftler fest. Dies dürfte allerdings auch damit zusammenhängen, dass es bisher schwierig war, sich einen Überblick über die Quellenlage zu verschaffen.

Hier will das Projekt «Zürcher Sommer 1968» abhelfen. Ziel ist es, in der Form eines Lesebuches, einer DVD-Rom und einer Internetdatenbank eine Grundlage zu schaffen für eine Debatte über die 1968er-Bewegung in der Schweiz. Im Zentrum des Interesses steht dabei der Zürcher Sommer als «Kommunikationsgeschichte». Die Geschichte der Bewegung soll über sprachliche Vorgänge wie Ultimaten, Gesprächsangebote, Diskussionen oder Schweigedemonstrationen nachgezeichnet werden.

Gleichzeitig will das Projekt die Besonderheiten der Zürcher 68er-Bewegung eruieren und sie damit dem internationalen Vergleich zugänglich machen. Die Veröffentlichungen sind per Frühjahr 2008 geplant – rechtzeitig zum 40-jährigen Jubiläum der Proteste.

Den «Code» nach aussen tragen

In einer etwas späteren historischen Phase ist das Projekt von Konrad Kuhn angesiedelt. Er untersucht in seiner Dissertation am Historischen Seminar, wie sich die so genannte «Dritte-Welt-Bewegung» in der Schweiz zwischen 1978 und 1995 entwickelt hat.

Entstanden ist diese Solidaritätsbewegung ebenfalls aus der 1968er-Bewegung, erlebte in den 1980er-Jahren aber eine Verschärfung des politischen Klimas. Der «neue Kalte Krieg» und der aufkommende Neoliberalismus erzeugten in Europa Gegenwind für die sozialen Bewegungen.

Kuhn untersucht unter anderem, wie die «Dritte-Welt- Bewegung» darauf reagierte und in diesem veränderten Umfeld ihr Anliegen an die Öffentlichkeit zu tragen versuchte. «Kulturelle Aspekte spielen in meiner Arbeit eine wichtige Rolle, denn das Thema der Bewegung spiegelte sich auch im persönlichen Leben der Anhänger.» Das Konsumverhalten liess Produkte wie fair gehandelte Früchte, Kaffee oder Textilien zum «Code» werden, der auch äusserlich sichtbar war.

Für Konrad Kuhn war der Netzwerk-Workshop eine willkommene Gelegenheit, im internationalen Vergleich den eigenen Forschungsfokus zu schärfen. «Es war für mich beispielsweise eine offene Frage, wie ich Aktionsformen wie ein Strassentheater wissenschaftlich sinnvoll analysieren kann. Der Workshop hat mir diesbezüglich neue methodische Ideen gegeben.»

Noch deutlicher sichtbar wurde für ihn auch, wie breit und farbig das Phänomen der Protestbewegungen seit 1945 ist. «Entsprechend wichtig ist auch der im Netzwerk gepflegte interdisziplinäre Zugang.»