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Afghanistan zwischen Hilfe und Militär

Afghanistans Entwicklung zu einem funktionierenden Staat stösst vermehrt auf gewalttätigen Widerstand. Eine Tagung des Forums «Humanitäre Schweiz» zeigte das Spannungsfeld des Landes zwischen humanitärer Hilfe und militärischer Intervention.
Adrian Ritter

Nicht weniger als 2500 Nichtregierungsorganisationen sind in Afghanistan tätig, war an der Tagung zu vernehmen. Hinzu kommen Truppen der von den USA angeführten «Operation Enduring Freedom» (OFE) sowie die «International Security and Assistence Force» (ISAF). Diese versucht auf der Basis eines Mandats der UNO, in Afghanistan ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen, indem sie beispielsweise Wahlen sichert.

Betonte die geopolitisch wichtige Lage von Afghanistan. Professor Albert A. Stahel, Geschäftsführer des Forums «Humanitäre Schweiz».

Seit 2003 engagiert sich auch die Schweiz in der ISAF. Dabei herrsche im Moment eine «äussert schwierige Situation», berichtete Bruno Rösli vom Führungsstab der Schweizer Armee. Einerseits nehme die Gewalt in Afghanistan zu und die ISAF werde neuerdings ebenfalls zum Ziel der Taliban. Gleichzeitig werde die Tätigkeit der ISAF auf weitere Teile des Landes ausgedehnt, was zu Abgrenzungsproblemen mit der OFE führe.

Militärische und zivile Hilfe vermischen sich

Reibungsflächen mit den USA ergeben sich auch aus anderen Gründen, führte Andreas Schiess vom Departement für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA) aus. Man habe Mühe mit der Idee der USA, dass zivile Hilfe vor allem die militärische Intervention unterstützen soll. Zivile und militärische Hilfe vermischten sich immer mehr, etwa wenn Hilfsorganisationen plötzlich bewaffnet unterwegs seien.

Was die zivile Hilfe anbelangt, so befinde man sich momentan «im Übergang von der kurzfristigen, humanitären Hilfe zur Entwicklungszusammenarbeit», so Schiess. Letztere strebt längerfristige Ziele an wie den gerechten Zugang zu Gütern wie Bildung und Gesundheit oder die Festigung der politischen Struktur.

Befürchtet eine «Irakisierung»  Afghanistans: der Zuger Nationalrat Josef Lang, Vertreter der Grünen Fraktion in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates.

Frieden als Vorwand?

Dass das globale Engagement in Afghanistan tatsächlich dem Frieden, der Demokratie und den Menschenrechten diene, stellte der Zuger Nationalrat Josef Lang grundsätzlich in Frage. Lang ist Vertreter der Grünen Fraktion in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates. Er vermutet hinter dem Interesse an Afghanistan andere Motive: Sicherung der Rohstoffe, Eindämmung von Flüchtlingsströmen oder eine neue Legitimation für die Existenz von Armeen. «Wenn es wirklich um den Frieden ginge, würde der Bundesrat nicht gleichzeitig die Entwicklungshilfe kürzen, sondern sie ausbauen.»

Lang befürchtet, dass in Afghanistan eine «Irakisierung» stattfindet. Die internationalen Truppen würden zunehmend als fremde Truppen wahrgenommen, was den Taliban politische Nahrung gebe und den Nationalismus fördere. Lang forderte deshalb den schnellen Abzug sämtlicher ausländischer Truppen. Die Sicherheit zu garantieren, sei Aufgabe polizeilicher Kräfte, so Lang.

Engagieren solle sich die Staatengemeinschaft in Afghanistan vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft. Es dürfe nicht geschehen, dass das Land wie schon andere zuvor «nach dem Krieg alleine gelassen wird».

«Unterdrückung und Diskriminierung der Frauen in Afghanistan sind nicht einfach verschwunden», sagt die Journalistin und Buchautorin Judith Huber.

Zurück ins öffentliche Leben

Von einem Beispiel für das nachlassende Interesse der restlichen Welt berichtete die Journalistin und Buchautorin Judith Huber. Das Thema «Frauen in Afghanistan» habe Hochkonjunktur gehabt, als die USA im Jahre 2001 die Befreiung der Frauen vom Regime der Taliban als eines der Ziele ihrer Mission erklärten. Inzwischen seien Frauen tatsächlich ins öffentliche Leben von Politik und Arbeitswelt zurückgekehrt, berichtete Huber.

«Unterdrückung und Diskriminierung sind allerdings nicht einfach verschwunden, denn die afghanische Gesellschaft ist im Kern dieselbe geblieben.» So sei die Gesetzgebung des heutigen Afghanistan zwar nicht geschlechterdiskriminierend, werde aber oft nicht angewandt. Beispielsweise existiert das auf 16 Jahre festgelegte Mindestalter für die Ehe bisweilen nur auf dem Papier, wenn auch jüngere Mädchen von ihren Familien verheiratet werden.

Blicken in eine ungewisse Zukunft: Kinder in Afghanistan.

Erschwerter Zugang zu Häftlingen

Eines der «Sorgenkinder» ist Afghanistan für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, sagte Reto Meister, der beim IKRK als Generaldelegierter für Asien und den Pazifik arbeitet. Seit 25 Jahren ist die Organisation in Afghanistan tätig und es sei bis heute nicht möglich gewesen, sich zurückzuziehen. Umso schwieriger sei die Situation, wenn das IKRK in seiner Tätigkeit auch noch behindert werde, etwa bei der Kontrolle von Haftbedingungen. So lehnen es die USA bekanntlich ab, der Organisation Zugang zu gewähren zu allen Häftlingen im ihrem «Krieg gegen den Terror».

Geopolitisch interessant

Professor Albert A. Stahel erinnerte als Geschäftsführer des Forums «Humanitäre Schweiz» zum Abschluss der Tagung an die geopolitisch wichtige Lage von Afghanistan. Das Land befinde sich an einem Kreuzpunkt der Geschichte und der Welt, nicht zuletzt für den Transport von Erdöl und Erdgas.

Kein Wunder, sei Afghanistan zum «Great Game» von so unterschiedlichen Ländern wie den USA, Russland, China, Iran, Pakistan und Indien geworden. Für die Afghanen gelte es, all diesen Ländern gegenüber schlussendlich die Unabhängigkeit des eigenen Landes zu behaupten und die Zukunft in die eigene Hand zu nehmen.