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Erinnerungen an das «absolut Böse»

Der Genozid in Ruanda 1994 forderte 500000 bis eine Million Opfer. Die Ethnologin Andrea Grieder untersucht in ihrer vom Forschungskredit der Universität Zürich unterstützten Dissertation, wie die Ueberlebenden auf dem Hintergrund der mörderischen Vergangenheit ihr Leben angehen.
Brigitte Blöchlinger

Fast sämtliche Familien in Ruanda sind vom Genozid betroffen; im Bild zu sehen eine Gruppe von  Witwen.

Sechs Wochen war die Ethnologin Andrea Grieder diesen April in Ruanda. Sie kontaktierte vor Ort zentrale Akteure des kollektiven und sozialen Gedächtnisses wie die Association Ibuka (Souviens-toi), die Association des étudiants et élèves rescapés du génocide und die Association des veuves du génocide und befragte Überlebende über ihr Leben zwölf Jahre nach dem Genozid. Vom 7. bis 14. April fanden auch die offiziellen Gedenkfeierlichkeiten statt, an denen Andrea Grieder teilnahm und die sie näher anschaute: Zeremonien bei Gedenkstätten, Totenrituale und öffentliche Diskussionen sowie Medienberichte.

Rituale und Gedenkstätten

Wie äussern sich die Erinnerungen an den Genozid? In welcher Weise hat der Massenmord, von dem praktisch alle Familien betroffen sind, die soziale und kulturelle Bedeutung von Tod verändert? Das sind Fragen, denen sich Andrea Grieder in ihrer Feldforschung behutsam zu nähern versucht hat. «Die Überlebenden des Genozides leiden nicht nur unter finanzieller Not, sie leiden vor allem auch an moralischer und affektiver Einsamkeit und an den Folgen der traumatischen Erfahrungen», berichtet Andrea Grieder von ihren ersten Eindrücken. «Vor allem Erfahrungsberichte, sogenannte témoignages, aber auch andere Rituale wie theatrale Performances lösen insbesondere bei den überlebenden Frauen heftige Reaktionen aus.»

Die Erfahrung des Genozids hat zentrale Wertvorstellungen der Gesellschaft in Ruanda erschüttert. Das verlorene Vertrauen in die Mitmenschen ist nur schwierig wieder aufzubauen. Auch zwölf Jahre nach den Massakern sind viele Opfer weder lokalisiert noch bestattet. Erschwerend komme hinzu, dass in ländlichen Gebieten die Sicherheit der Überlebenden und der Zeugen nicht gewährleistet sei, erzählt Grieder weiter. Die Angst vor einer Wiederholung habe sich noch nicht gelegt.

Gedächtnis und Genozid

In ihrer Doktorarbeit behandelt Andrea Grieder zwei zentrale (wissenschaftliche wie menschliche) Themen der Gegenwart, jene des Gedächtnisses und des Genozids. Seit dem Holocaust hat die Auseinandersetzung mit Gedächtnis und Erinnerung an Bedeutung gewonnen; dabei wird Sich-Erinnern nicht als statischer Prozess verstanden, sondern als einer, der das erfahrene Trauma immer auch transformiert. Und das Erinnern impliziert immer auch Vergessen, beide Aspekte sind von Bedeutung für das Handeln von Individuuen.

Andrea Grieder arbeitet für ihre Dissertation zwar alleine; doch ist ihre Untersuchung in die umfangreiche wissenschaftliche Thematik der «Genozidforschung» integriert, bei der vor allem Arbeiten zum Gedächtnis an den Holocaust eine zentrale Referenz bilden.

Berührt und herausgefordert

Andrea Grieders Interesse an dieser wohl schwersten Thematik unserer Zeit entstand im Zusammenhang mit den Gedenkfeierlichkeiten zum Genozid der Tutsis in Ruanda im Jahre 2004 und deren mediale Thematisierung, worüber sie ihre erste wissenschaftliche Arbeit (an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris) realisierte. Damals entschloss sie sich auch, diese Forschungsthematik in den Mittelpunkt ihrer weiteren wissenschaftlichen Betätigung zu stellen: «Menschlich tief berührt, erachte ich es intellektuell als eine Herausforderung, mich der Frage nach der Ausgestaltung des sozialen und individuellen Lebens vor dem Hintergrund dieser menschlichen und moralischen Tragik und tiefgreifenden Zerstörung zu widmen.»

Der Forschungskredit der Universität Zürich bedeutet ihr finanzielle Absicherung und Anerkennung ihrer Arbeit. Auch die Einbindung in das interdisziplinäre Graduiertenkolleg «Gedächtnis, Körper und Geschlecht» 2005–08 der Universität Zürich schätzt sie sehr: «Dadurch kann ich meine Forschung in einem intellektuell inspirierenden Umfeld realisieren.» Durch die zweifache Förderung fühlt sich die Ethnologin denn auch «verpflichtet, mein Wissen und meine Erfahrungen im akademischen Umfeld einfliessen zu lassen und als Intellektuelle in meinem sozialen Umfeld Verantwortung zu übernehmen».

 

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