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Schlechte Nachrichten aus Italien

Seine Spezialität sind die sprachhistorischen Besonderheiten italienischer Dialekte. Doch jetzt hat der Linguistikprofessor Michele Loporcaro ein aktuelles und politisches Buch geschrieben, über die Sprache der italienischen Massenmedien. «Cattive notizie» – schlechte Nachrichten – hat er es genannt.
Brigitte Blöchlinger

Antrieb für «Cattive notizie» war ein persönliches Unbehagen, erklärt der gebürtige Italiener Michele Loporcaro im Vorwort seines neusten Werks, das er Ende November im Rahmen des Kulturprogramms des Europäischen Parlaments vorstellen konnte. Gewohnt, die Sprache genau zu analysieren, ärgerte sich Loporcaro zusehends über die vereinfachende, emotionalisierende Art, wie in den telegiornali (italienisches Pendant zur Tagesschau) gesprochen und in den italienischen Zeitungen geschrieben wurde.

Sprach auf Initiative des «Comitato per l’Ulivo» und des Abgeordneten Giulietto Chiesa im Kulturprogramm des Europäischen Parlaments über sein neustes Buch: Linguistikprofessor Michele Loporcaro (Mitte) von der Universität Zürich.

Er begann «so nebenbei» und über Jahre hinweg die Ausdrucksformen der Massenmedien zu analysieren. Und kam zum Schluss, dass sie die Leute eher betäuben und davon abhalten, sich eine eigene Meinung zu bilden, statt zur «Erhellung» der italienischen Bürgerinnen und Bürger beizutragen.

Italien liest nicht, Italien schaut fern

Im Land des allgegenwärtigen Fernsehens, wo nur eine kleine Minderheit liest, sind in den letzten dreissig Jahren aus bilderlosen Zeitungsbleiwüsten und «abgehobenen», trockenen Nachrichten kunterbunte Infoshows für Hinz und Kunz geworden, schreibt Michele Loporcaro.

Unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat sich diese allgemeine Tendenz zur Simplifizierung und Emotionalisierung der News noch verstärkt. So durfte am 24. Dezember 2003 zu Beginn der Abendausgabe des tg (telegiornale) des staatlichen TV-Senders RAI 2 plötzlich ein Komponist zwei Minuten lang Klavier spielen; ein anderes Mal, im tg 1 vom 16. März 2002 anlässlich einer Walt-Disney-Filmpremiere, stellte statt des dafür zuständigen Kulturredaktors sein animiertes Comic-Alter-Ego die Interviewfragen.

Und selbst in seriösen Zeitungen wie dem «Corriere della sera» wurden die Texte beim letzten Redesign im vergangenen Herbst um dreissig Prozent gekürzt und die Seiten mit farbigen Bildern aufgepeppt. «Der weltweite Trend in der Berichterstattung der Massenmedien geht in Richtung Pathetisierung, Theatralisierung und Fiktionalisierung», sagt Loporcaro, «doch in Italien hat diese allgemeine Tendenz beunruhigende Ausmasse angenommen.»

Die Medien geben ihre kritische Distanz auf

Als Linguist hat sich Loporcaro nicht nur des medialen Erscheinungsbilds angenommen, sondern vor allem der sprachlichen und rhetorischen Formen in den italienischen Medien. Loporcaro zitiert Beispiele wie die folgende Schlagzeile aus der Mittagssausgabe des tg 1 vom 27. Februar 1995: «Ehepaar erschossen in Corleone – sie sahen etwas, was sie nicht sehen durften.» Die Wortwahl des Bericht erstattenden Journalisten ist nicht neutral, sondern möglichst bunt und lesernah («vicino alla gente»), erklärt Loporcaro. Er nennt das Vorgehen «Verlebendigung» («vivacizzazione»).

Mit Formulierungen wie «sie sahen etwas, was sie nicht sehen durften» baue der Journalist jegliche Distanz zwischen sich und dem, worüber er berichte, ab. Er schreibe so, wie der Mafiakiller hätte sprechen können. Der Journalist als Verfasser des Textes trete völlig in den Hintergrund – und schleiche sich damit auch aus der Verantwortung.

Betreibt linguistische Grundlagenforschung und «so nebenbei» aktuelle Medien- bzw. Sprachkritik: Professor Michele Loporcaro.

Loporcaro erwähnt die literarischen Vorläufer dieses Stils: es sind dies der italienische Verismo beziehungsweise der französische Naturalismus Ende des 19. Jahrhunderts; deren Vertreter Gustave Flaubert, Emile Zola, Giovanni Verga u.a. versetzten sich gänzlich in die Haut ihrer Protagonisten; sie formulierten so, dass sie als Autoren – oder moderner ausgedrückt: dass die Stimme der Erzählinstanz – möglichst unbemerkt blieben. Das Werk soll so aussehen, als ob es sich selbst gemacht hätte, lautete Vergas Motto.

Mit den «Worten des Herrn» sprechen

Diese «naturalistische» Erzählstrategie kann für Romane angemessen sein. Im Journalismus jedoch – der klassischerweise eine klare Trennung zwischen möglichst objektiver Berichterstattung und subjektivem Kommentar vornimmt – ist ein solches Vorgehen unstatthaft, findet Loporcaro. Und bei politischen Themen gar verheerend.

Der Sprachwissenschaftler nennt ein weiteres, harmlos wirkendes Beispiel: «Ministerpräsident Silvio Berlusconi traf sich mit seinem Freund Putin.» Mit der Wortwahl «Freund Putin» schreibe der Journalist so, wie Berlusconi spreche, er benutze «die Worte des Herrn» und mache sich zum Sprachrohr der politischen Macht. «Die Berichterstattung nähert sich den Machtinhabern so weit an, dass sich die Grenzen zwischen den beiden mehr und mehr verwischen», folgert Loporcaro. Von «vierter Macht» im Staat kann dann keine Rede mehr sein.

Information und Bildung als Ausweg

Dieser Mangel an Distanz betäubt bisweilen selbst kritische Rezipienten. So glaubte laut einer Meinungsumfrage Ende 2001 nach dem ersten Halbjahr von Berlusconi selbst die links-orientierte italienische Wählerschaft, dass das Renommee Italiens international gesehen unter dem neuen Ministerpräsidenten gestiegen sei – das Gegenteil war der Fall.

Gibt es einen Ausweg aus der Manipulation durch die Massenmedien? Ja, findet Loporcaro, «informazione e formazione» – Information und Bildung. «Das Lesen sollte auch in einem Land wie Italien, wo 95 Prozent der Leute täglich fernsehen und nur eine Minderheit Bücher liest, nicht aufgegeben werden.»

Denn Lesen schafft ein tieferes Verständnis der Dinge, als Bilder anschauen, ist Loporcaro überzeugt. «Ein Bild sagt eben nicht mehr als tausend Worte», sagt Loporcaro und nennt als Beispiel die Fernsehberichte über den Irak-Krieg: «Die Aufnahmen eines weinenden Mannes bedürfen immer einer sprachlichen Erklärung; die Bilder alleine sind Show, erst die erklärenden Worte, wo und weshalb der Mann trauert, führen zu einem tieferen Verständnis.»

Ohne Grundlagen keine Anwendung

Loporcaro geht in seiner Analyse einig mit aufklärerischen Geistern wie Umberto Eco, Pier Paolo Pasolini und dem deutschen Systemtheoretiker Niklas Luhmann. Und er ist ein Anhänger der anwendungsfreien Forschung: «Es ist gut, eine humanistische Bildung zu haben und Forschung zu betreiben, die nicht immer einen direkten Nutzen hat.» Als ordentlicher Professor und als Mitglied der Nachwuchsförderungskommission der Universität Zürich kann er diesen Weitblick ins universitäre Alltagsgeschäft einbringen.

Mit seinem Buch hat er ausserdem gezeigt, dass Grundlagenforschung – in seinem Fall: Grundlagenforschung in der Linguistik – die besten Voraussetzungen dafür schaffen kann, sich originell und produktiv mit gesellschaftlich relevanten Fragen auseinanderzusetzen. «Erst dank der profunden Kenntnis rein formaler, syntaktischer und phonologischer Analysen konnte ich ein ‚inhaltliches’ und medienkritisches Buch wie «Cattive notizie» schreiben», ist Michele Loporcaro überzeugt.