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Die Sicherheit nuklearer Anlagen aus erdwissenschaftlicher Sicht

Die Erdwissenschaften bringen nicht nur Licht in die Entstehungsgeschichte der Erde. Sie ermöglichen auch Aussagen über die weitere Entwicklung unseres Planeten. Angesichts von Problemstellungen wie Klimaerwärmung oder dem Umgang mit radioaktiven Abfällen ist ein verlässlicher Blick in die Zukunft von existentieller Bedeutung.
Theo von Däniken

Organisierte zusammen mit der Abteilung für Physikalische Geographie der Universität Zürich das Swiss Geoscience Meeting 05: Domenico Giardini vom Institut für Geophysik der ETH Zürich.

Erdwissenschaftler befassen sich nicht nur mit Phänomenen im dreidimensionalen Raum. Die Zeit als vierte Dimension ist in ihrer Arbeit ebenso wichtig. «4D-Earth» hiess entsprechend der Titel des dritten Swiss Geoscience Meeting, das am Freitag und Samstag an der Universität Zürich-Irchel stattfand.

An dem von Professor Wilfried Haeberli, Leiter der Abteilung Physikalische Geographie der Universität Zürich, und Professor Domenico Giardini vom Institut für Geophysik der ETH Zürich gemeinsam organisierten Treffen nahmen rund 500 Fachleute teil. In zwei Vorträgen am Freitagabend widmeten sich Giardini und Haeberli Fragen der Sicherheit nuklearer Anlagen in der Schweiz.

Wird Ihr Haus je durch ein grösseres Erdbeben zerstört werden? Wenn Sie eine entsprechende Karte mit der Erdbebenwahrscheinlichkeit in der Schweiz anschauen, dann können Sie sich beruhigt zurücklehnen: Die Wahrscheinlichkeit, zumal im Mittelland, tendiert gegen Null. Ganz anders sieht die Situation allerdings aus, wenn Sie «Haus» mit «Kernkraftwerk» ersetzen.

Widmete sich mit seinem ETH-Kollegen Domenico Gardini der Sicherheit nuklearer Anlagen in der Schweiz: Professor Wilfried Haeberli, Leiter der Abteilung Physikalische Geographie der Universität Zürich.

Kalifornische Verhältnisse

Rechnen Sie für ein Haus mit einer Lebensdauer von wenigen Menschengenerationen, dann sehen Sie sich bei Kernkraftwerken mit einem ganz anderen Massstab konfrontiert: Statt für 100 Jahre muss nun die Wahrscheinlichkeit grösserer Beben für 10'000 und mehr Jahre in Betracht gezogen werden. Hier sieht die Situation entschieden weniger gemütlich aus, wie Domenico Giardini am Swiss Geoscience Meeting ausführte. Statt mit den stabilen Schweizer Mittelland-Verhältnissen haben Sie es nun etwa mit einer Situation wie in Kalifornien zu tun, wo fast jederzeit mit grösseren Beben gerechnet werden muss.

Gerade die relative seismische Ruhe der Schweiz macht es schwierig, Aussagen über die Häufigkeit von Beben zu machen. Denn wo selten etwas passiert, da sind die verfügbaren Daten dünn gesät. Aber: «Wenn Sie ein Erdbeben suchen, dann werden Sie auch eines finden», so die Devise von Giardini, der für die Schweiz die Erdbebengeschichte der vergangenen 12'000 Jahre erkundet. Die Suche allerdings braucht Phantasie und Ausdauer: Es müssen viele verschiedene Daten erhoben werden, die erst miteinander kombiniert Hinweise auf wahrscheinliche Erdbeben geben.

Erst über einen längeren Zeitraum betrachtet, merkt man, dass selbst im ruhigen Mittelland Erdbeben die Ufer abrutschen liessen. Beim Vierwaldstättersee (Bild) war das in den letzten 12'000 Jahren fünfmal der Fall.

Giardini und sein Team haben etwa in den Sedimentschichten der Schweizer Mittellandseen gebohrt und dabei in einem Zeitraum von mehreren tausend Jahren mehrmals grossflächige Abrutschungen entdeckt. Während solche Abrutschungen viele, auch lokale Ursachen haben können, bringt der Vergleich der Daten über einen grösseren geografischen Raum die gesuchten Erdbeben ins Spiel: So rutschten in den vergangenen 12'000 Jahren fünfmal rings um den Vierwaldstättersee grosse Teile der Uferpartien ab. Dreimal deckten sich die Rutschungen zeitlich genau mit entsprechenden Befunden im Zürichsee. Für Giardini ein klarer Fall: Erschütterungen, die diese Rutschungen verursachten, können nur von einem Erdbeben ausgegangen sein. Mittels anderweitig erhobener Daten lassen sich Aussagen über Stärke und mögliches Epizentrum der Beben machen. So müsste ein solches Beben mindestens eine Stärke von sechs auf der Richter-Skala gehabt haben.

Die nächste Eiszeit kommt bestimmt

Auch über kommende Eiszeiten müssen Sie sich kaum Gedanken machen. Denn Katastrophenfilmen wie «The Day After Tomorrow» zum Trotz sieht Wilfried Haeberli die nächste Eiszeit erst in 50'000 bis 70'000 Jahren. «So lange wird es dauern, bis die Erde die vom Menschen verursachte CO2-Erhöhung vergessen hat. Wir haben also noch Zeit.»

Noch viel länger wird es dauern, bis die Erde die vom Menschen gemachten radioaktiven Abfälle «vergessen» kann. Für ein Lager radioaktiver Abfälle hat man es mit einem Zeithorizont von einer Million Jahre zu tun, während derer die Abfälle sicher verschlossen gehalten werden müssen. Ein Endlager muss also rund ein Dutzend Eiszeiten schadlos überstehen. Ob dies möglich ist, hat Haeberli für eine mögliche Endlagerstätte im Zürcher Weinland bei Benken untersucht.

Ein Endlager für radioaktive Abfälle muss rund ein Dutzend Eiszeiten schadlos überstehen. Ob dies möglich ist, hat Haeberli für Benken im Zürcher Weinland untersucht.

Erosion als Hauptgefahr

Es ist anzunehmen, dass Benken während kommender Eiszeiten jeweils für rund 20'000 Jahre unter mehreren hundert Meter dicken Eisschichten verschwinden wird. Die Hauptgefahr für ein Endlager unter dem Boden geht von der Erosion aus. Treibende Kraft ist dabei vor allem das Schmelzwasser unter dem Gletscher. «Das ist das Messer, mit dem der Gletscher in den Boden schneidet», so Häberli.

Dass dadurch eine tief im Boden vergrabene Endlagerstätte für radioaktive Abfälle an die Oberfläche gebracht werden könnte, hält Haeberli für wenig wahrscheinlich, da einerseits Permafrost 100 bis 200 Meter tief unter den Gletschern den Boden vereist. Andererseits dürften durch die Erosion vor allem bereits bestehende Täler weiter ausgewaschen werden. Dies dürfte die Auswaschung völlig neuer tiefer Täler, und damit eine eventuelle Freilegung der Lagerstätte, unwahrscheinlich machen.

Während sich Haeberli als Geologe selbst durch Zeiträume von einer Million Jahre wenig beeindrucken lässt, macht ihm etwas ganz anderes Sorgen: «Die relative Sicherheit, mit der wir geologische Prozesse für lange Zeiträume voraussagen können steht in scharfem Kontrast zu der Unsicherheit, wie sich die Menschen und die Gesellschaft selbst in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden. Wie die Wissenschaft und menschliche Gesellschaft in hundert Jahren sein wird, darüber wage ich keine Aussage.»

 

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