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Über die Milchstrasse ins Paradies

Wie ist es im Jenseits und wie gelangt man dorthin? Eine Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich beantwortet diese Fragen aus der Sicht unterschiedlicher Kulturen. In einem sind sich jedoch alle einig: Die Fortexistenz nach dem Tod steht ausser Zweifel.
Sascha Renner

Blolo Bla-Statuette, Elfenbeinküste, um 1900 (Völkerkundemuseum der Universität Zürich). Die weiblichen Blolo Bla- und männlichen Blolo Bian-Statuetten der Baule an der Elfenbeinküste stellen Liebhaber aus dem Jenseits Blolo dar.

Die Ethnologie unternimmt es immer wieder, uns vor Augen zu führen, wie relativ, kulturbedingt und konventional unsere Verhaltensweisen letztlich sind. Besonders schön lässt sich dies anhand der existentiellen Einschnitte im Leben demonstrieren, die aufwändiger Vorkehrungen bedürfen: der Geburt, dem Erwachsenwerden, der Heirat und vor allem dem Tod. Der Tod als radikalste Infragestellung aller Sinnhaftigkeit erfordert eine besondere kompensatorische Leistung: in Form von Welterklärungsmodellen, die den Lebenden Orientierung im Diesseits geben und das Verhältnis zur jenseitigen Welt regeln.

Einen faszinierenden Einblick in die Vielfalt solcher Jenseitsvorstellungen gibt nun die Ausstellung «Jenseitswelten. Von Geistern, Schiffen und Liebhabern» im Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Anhand von ausgewählten Objekten unternimmt die thematische Präsentation eine Tour d’horizon durch Europa, Asien, Amerika und Afrika. Sie ist das Ergebnis des Museologiekurses, einer Lehrveranstaltung unter Leitung von Marion Wettstein, die es Studierenden der Ethnologie erlaubt, praktische Erfahrung in der Erforschung und Vermittlung kulturhistorischer Sammlungen zu gewinnen. Ein Katalog mit prägnanten Beiträgen aller Studierenden rundet die Schau ab.

Ursprungsdorf in der Oberwelt, Ausschnitt aus einer Priesterzeichnung der Ngadju-Dajak, Borneo, um 1900 (Völkerkundemuseum der Universität Zürich). Die Zeichnungen der Priester bei den Ngadju-Dajak auf Borneo dienen dazu, dem Verstorbenen die Reise ins Dorf der Toten zu erleichtern.

Durch den dunklen Tunnel ans Licht

Gedanken gemacht haben sich die angehenden Museumsleute auch über die Szenografie der Ausstellung. Der Weg führt zuerst durch einen schwarzen Tunnel, an dessen Wänden Zitate zum Tod wie Sterne funkeln. «Die Toten leben, daran ist nicht zu zweifeln» (Lucien Lévy-Bruhl), liest man im fahlen Neonlicht, bevor man in das symbolträchtige Weiss des Ausstellungssaals entlassen wird.

Wie Recht der französische Ethnologe mit seiner Feststellung hatte, lässt sich an 15 Stationen überprüfen. Etwa am Beispiel Japans, wo liebeskranke Geister bisweilen die Urheber merkwürdiger Todesfälle sind. Ein Farbholzschnitt illustriert eine solche Begebenheit: Er zeigt eine verstorbene Dame, die ihren noch lebenden Liebhaber verführt und mit sich in den Tod reisst. Liebesbeziehungen zwischen Lebenden und Verstorbenen kennen auch die Baule an der Elfenbeinküste. Ihre sorgsam geschnitzten Statuetten stellen Jenseitspartner dar, die mit diversen Schönheitsmerkmalen ausgestattet sind: gepflegte Frisuren, ein runder, fester Hintern, eine makellose Haut. Wie ein lebender Mensch kann auch der Jenseitspartner eifersüchtig – und damit zum Plaggeist – werden. Verhindern lässt sich dies mit einer besonders aufmerksamen Pflege in Form von Zuwendung und Opfergaben.

Per Schiff oder auf funkelnden Sohlen

Dass sich das Jenseits in manchen Fällen kaum vom Diesseits unterscheidet, zeigt das Beispiel der Dajak in Borneo. Nicht Himmel und Hölle erwarten die Verstorbenen, sondern ein Totendorf, in welchem die Neuankommenden ihre einstige Arbeit und ihren sozialen Status beibehalten. Die Reise ins Totendorf ist lang und gefährlich und bedarf der tatkräftigen Unterstützung der Lebenden. Im Rahmen einer aufwändigen Zeremonie werden die Seelen zum Schiff geleitet, das sie auf einem Fluss in die Oberwelt führt. Eine prächtig illustrierte Zeichnung veranschaulicht diese Passage. Nicht übers Wasser, sondern über die Milchstrasse führt die Seelenreise bei den Lakota Nordamerikas. Die Verstorbenen tragen auf ihrer Wanderung Mokassins, die an der Sohle mit Perlen bestickt sind. So können die Angehörigen den letzten Weg ihrer Verstorbenen von der Erde aus mitverfolgen.

Schamanenpuppe der Jakuten, Sibirien, um 1900 (Völkerkundemuseum der Universität Zürich). Die Puppe, welche den Schamanen in seiner Abwesenheit vertritt, trägt wie er eine spezielle Rüstung. Die an ihr befestigten Anhänger aus Metall stellen Knochen, Federn, Hilfsgeister und Durchgänge zur Ober- und Unterwelt dar.

Die Präsentation macht klar, dass die unsichtbare Welt und diejenige der Menschen selten als gesonderte Sphären gedacht werden. Vielmehr umschliessen und durchdringen sie sich wechselseitig. Daher ist es berufenen Personen wie den Schamanen Sibiriens auch möglich, zwischen beiden Seinsbereichen hin und her zu wechseln. Unter Trance löst sich ihre Seele vom Körper. Drüben kämpfen sie gegen böse Geister und forschen nach der Ursache von Krankheiten und Unglück.

Die magische Welt der Seelenreisen und Jenseitswelten schlägt einen zweifellos in Bann. Die Faszination rührt wohl nicht zuletzt daher, dass den Gesellschaften im vermeintlich aufgeklärten Westen jegliche Gewissheit über eine Fortexistenz im Jenseits abhanden gekommen ist.

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