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Die hohe Kunst, Gewinne zu gestalten

Es war die dritte Veranstaltung in der Reihe «Ethical Finance Research». Dieses Mal ging es um «Earnings Management», also um die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Gewinne gestalten und dabei den Spielraum zur betrügerischen Buchführung immer wieder ganz legal ausreizen.
Brigitte Blöchlinger

Baruch Lev (rechts), Professor an der New York University, Stern School of Business und Direktor des «Vincent C. Ross Institute for Accounting Research» führte aus, dass Bilanzen jährlich in Milliardenhöhe schöngefärbt werden.

«Der eigentliche Skandal bei Enron bestand darin, dass deren Betrügereien GAAP-konform waren», provozierte die New Yorker Rechnungslegungskoryphäe Baruch Lev an der Tagung «Earnings Management – Myths and Realities» des CCRS und Swiss Banking Institute der Universität Zürich. GAAP bedeutet «Generally Accepted Accounting Principles». Diese Prinzipien schreiben einen Rahmen zur Erstellung von Jahresabschlüssen vor. Man möchte also meinen, die Rechnungslegung von Unternehmen sei klar definiert. Es gibt aber immer wieder spektakuläre Fälle, in denen Unternehmen ihre Bilanzen manipulieren. Solche Fälle haben sich in letzter Zeit gehäuft. Enron, Worldcom, Parmalat und Refco sind Extrembeispiele eines mittlerweile alltäglichen Phänomens. Jährlich werden viele Milliarden Dollar legal und illegal schöngefärbt, führte Lev aus. Eine beachtliche Summe, die klar macht, dass es sich lohnt, die Bilanzierungspraktiken von Firmen an einer Tagung genauer anzuschauen.

Prof. Dr. Hans Caspar von der Crone, Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht und Prorektor der Universität Zürich, legte in seinem Vortrag rechtliche Aspekte des «Earnings Management» dar.

Gewinngestaltung mit Tricks und Kniffs

Earnings Management nennen die Ökonomen die so genannte «Gewinngestaltung». Unternehmenszusammenbrüche wie die oben genannten gehen oft mit illegaler Gewinngestaltung einher. Hier werden Gesetze gebrochen, indem man beispielsweise Vermögenswerte in der Bilanz aufführt, die man gar nicht besitzt. Weit öfter trifft man jedoch auf legale Gewinngestaltung. Mehr als die Hälfte der Posten eines Jahresabschlusses basiert auf Einschätzungen des Managements. Dazu gehören Rückstellungen, Abschreibungen oder die Bewertung bestimmter Vermögensgegenstände. Für diese Posten gibt es keine objektiven Werte. Manager müssen der Bewertung ihre Erwartungen zugrunde legen. Solche Erwartungen stellen sich im Nachhinein oft als falsch heraus – das liegt in der Natur der Dinge. Es stellt sich dann die Frage, ob der Manager bei der Bildung seiner Erwartungen gutmütig, also nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, oder ob er die Bewertung bewusst manipulieren wollte. Es ist jedoch schwierig, die Intention der Manager herauszufinden. Der Spielraum bei der Bewertung und den Gewinnen bildet eine Grauzone, in der sich Manager bewegen können, um Jahresabschlüsse in ihrem Sinne zu gestalten. Wie es scheint, wird diese Grauzone allzu oft zu Lasten der Aktionäre ausgenutzt.

Raymund Breu, Chief Financial Officer (CFO) und Mitglied der Geschäftsleitung von Novartis stellte klar, dass Gewinnmanipulation in den meisten Fällen nicht illegal seien.

Uneins: Praktiker und Theoretiker

Nicht einverstanden mit den genüsslich schwarz malenden Ausführungen von Baruch Lev war der Novartis-Finanzchef Raymund Breu. Zum einen stellte er klar, dass Gewinnmanipulation in den meisten Fällen nicht illegal sei und keine Betrugsabsicht seitens der Unternehmen bestünde. Er machte deutlich, wie schwer es für Unternehmen ist, ihren Jahresabschluss zu erstellen, also Erwartungen für die einzelnen Abschlussposten zu bilden. Der Finanzchef ist auf die Richtigkeit von Informationen angewiesen, die er von den Bereichsleitern erhält, welche wiederum auf die Informationen ihrer Mitarbeiter angewiesen sind. Hier bedürfe es vor allem des Vertrauens zu den Mitarbeitern. Voraussetzung für hohe ethische Standards bei den Mitarbeitern sei vor allem die Haltung des Topmanagements. Würden in der obersten Etage unsaubere Bilanzen akzeptiert, breite sich dieser schlechte Geist in alle unteren Bereiche aus. Neben einem gesunden Mass an Vertrauen brauche es aber auch Kontrolle: «Trust but verify», wie schon Ronald Reagan sagte.

Anzeichen für Schönfärberei

Umgekehrt gebe es durchaus Wege, so Breu weiter, betrügerische Machenschaften aufzudecken: Ein klares Zeichen für unsaubere Buchführung seien unterschiedliche Bilanzen für interne und externe Interessenten. Oder eine ungesunde Risikobereitschaft, die niemand mit seinem eigenen Geld eingehen würde. Oder Aktionen, die ökonomisch gesehen keinen Sinn machten. Im Gegenzug dazu würde ein ethisch lauteres Topmanagement wie jenes der Novartis problematische Einschätzungen von Managerkollegen gemeinsam diskutieren. «Wenn die Veröffentlichung einer Bilanz für die PR-Abteilung des Konzerns zum Problem werden würde, dann vergiss sie», führte Breu die Haltung von Novartis aus.

«Theoretiker» und «Praktiker» haben verschiedene Sichten auf das Problem der Gewinngestaltung, wie die Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Rudolf Volkart, Direktor des Swiss Banking Institute der Universität Zürich, verdeutlichte.

Mehr Einschätzungen als Facts

Die Podiumsdiskussion anschliessend zeigte eine klare Kluft zwischen den Einschätzungen von Praktikern und von Theoretikern der Gewinngestaltung. Die Praktiker betonten verständlicherweise ihre Seriosität und ethischen Prinzipien, die Theoretiker erzählten genüsslich von Patzern und Betrügereien des Managements. Und der anwesenden Berichterstatterin drängte sich vor allem ins Bewusstsein, dass eine Gewissheit mehr gefallen war: Auch in der Ökonomie haben wir es nicht mit harten Fakten, sondern vor allem mit «Einschätzungen», Vermutungen, Phantasien und Vorstellungen zu tun. Verwirrend zum einen, aber auch tröstlich, dass es «der Ökonomie» auch nicht besser geht.