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Neuer Schwung für das Projekt Europa

Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zog am Mittwoch im Rahmen des Churchill Symposiums an der Universität Zürich Bilanz über den Traum und die Realität der Idee «Europa». In seiner engagierten Rede plädierte er dafür, Europa mit neuem Schwung weiter zu entwickeln.
Adrian Ritter

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Universitäts-Rektor Hans Weder (2. v. rechts) im Gespräch mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Bundesrat Joseph Deiss und alt Bundesrat Flavio Cotti.

Im September 1946 hatte Winston Churchill an der Universität Zürich zu einem geeinten und friedlichen Europa aufgerufen und seine Rede mit den Worten «Let Europe arise» beendet. «Es wäre faszinierend zu hören, was Winston Churchill heute dazu sagen würde, wie sich Europa weiterentwickelt hat», sagte der früherer Zürcher Regierungsrat Eric Honegger als Präsident des Vereins Europa Institut an der Universität Zürich zur Begrüssung in der vollbesetzten Aula der Universität.

Das Europa Institut ist Mitorganisator des 1996 ins Leben gerufenen jährlichen Churchill-Symposiums. Zum «Special Churchill Lecture» war der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eingeladen, anlässlich der 10-jährigen EU-Mitgliedschaft Österreichs einen Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der europäischen Idee zu werfen.

Bundesrat Joseph Deiss hob die Beharrlichkeit Churchills hervor, für seine eigenen Überzeugungen einzustehen.

Die Schweiz und Österreich hätten sich beide für Europa ausgesprochen, «allerdings auf unterschiedlichen Wegen», sagte Bundesrat Joseph Deiss in seiner Einführung. Die Schweiz verfolgt seit dem Nein zum EWR im Jahr 1992 beharrlich den Weg der bilateralen Verträge. Die Beharrlichkeit, für die eigene Überzeugung einzustehen, dafür gebe Winston Churchill ein Beispiel ab, schlug Deiss den Bogen zum Namensgeber der Veranstaltung. 

Erwartungen übertroffen

Auch wenn die EU noch keine Verfassung habe und nicht alles perfekt sei, so wolle er in seiner Rede doch den Erfolg der europäischen Idee betonen, sagte Bundeskanzler Schüssel. Die Realität habe nämlich «die kühnsten Erwartungen von Winston Churchill übertroffen». Die Sicherung des Friedens und die Wiedervereinigung Europas seien erreicht worden – und noch viel mehr.

Nicht zuletzt mit der Wiedervereinigung Deutschlands seien in Europa Grenzen gefallen und «ungeheure Veränderungen vor sich gegangen». Heute könne nicht nur von einem Sozialmodell Europas, sondern von einem eigentlichen «Lebensmodell» gesprochen werden, nahm Schüssel Bezug auf den jüngsten EU-Gipfel in Grossbritannien. Was die Grenzen der EU anbelangt, so sei die Definition Europas immer dort ein Problem gewesen, wo die Grenzen nicht geographisch definierbar seien wie mit Atlantik und Mittelmeer. Die Grenzziehung im Osten müsse somit auf Kriterien wie «Werte» und die Aufnahmekapazität der EU abstellen.

«Europa ist ein eigentliches Lebensmodell»: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel

Die alte Sehnsucht verwirklichen

Ein Zeichen für den Erfolg der europäischen Idee sieht Schüssel auch darin, dass das europäische Modell weltweit auf Interesse stosse und anregend wirke. Er erklärt dies damit, dass Europa die alte Sehnsucht verwirkliche, scheinbar widersprüchliche Werte zu vereinen: Wirtschaftliche Höchstleistungen, Lebensqualität, Friede, Stabilität, Nachhaltigkeit und kulturelle Vielfalt.

Die Globalisierung müsse dabei nicht als Bedrohung für das europäische Modell betrachtet werden, so Schüssel. Es dürfe nicht vergessen werden, dass der Euro heute nach dem Dollar die zweite Weltwährung sei und zu grösserer Stabilität beigetragen habe – beispielsweise in der Form von tiefen Zinsen, wie es sie seit 1945 nicht mehr gegeben habe.

In die Universitäten investieren

Handlungsbedarf bestehe natürlich trotzdem, zum Beispiel im Bereich Bildung. «Wir müssen bei den Universitäten besser werden», meinte Schüssel und forderte unter anderem die vermehrte Bildung von Netzwerken zwischen den Hochschulen. Wenn die EU-Mitglieder ernst machten mit dem Ziel, bis 2010 drei Prozent des Bruttoinlandproduktes in Forschung und Entwicklung zu investieren, dann entstehe dadurch eine eigentliche «Wachstumsmaschine». Österreich werde zusätzliche 500 Mio. Euro für bauliche Massnahmen für die Universitäten bereitstellen, veranschaulichte der Bundeskanzler sein Motto «Think big». Mit einem weiteren Motto rief Schüssel zu «neuem Schwung» für das Projekt Europa auf. Die Debatte über die Zukunft Europas sei neu zu entfachen, wobei auch die Bevölkerung in die Diskussion einbezogen werden müsse.

«Think Big» in der Hochschulförderung: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Rektor Hans Weder.

Die Landwirtschaft schützen

Eine Lanze brechen wolle er aber auch für die «Festung Europa», denn Wandel sei einfacher zu ertragen, wenn gleichzeitig auch Sicherheit geboten werde. Europa müsse daher «nützen und schützen». In diesem Sinne erachte er eine kohärente und schützende Landwirtschaftspolitik für nötig.

Der Markt für landwirtschaftliche Produkte sei zwar für die schwächsten Ländern zu öffnen. Bei starken Mitspielern auf dem Markt stelle sich aber durchaus die Frage, inwiefern die Landwirtschaftspolitik zumindest für einen bestimmten Zeitraum schützend sein müsse, da die Landwirtschaft ohnehin einen enormen Strukturwandel zu bewältigen habe.

EU-Präsidentschaft steht bevor

«Wir dürfen Europa nicht nur dulden und verwalten, sondern müssen es weiterleben und weitergeben an die Jungen, die an Europa ohnehin schon viel selbstverständlicher herangehen», so Schüssel. Dabei solle man sich leiten lassen von einer Dynamik der Hoffnung. Die Gelegenheit, dies in die Praxis umzusetzen, bietet sich Österreich im ersten Halbjahr 2006, wenn das Land die Präsidentschaft der EU übernehmen wird: «Eine schöne, aber auch schwierige Aufgabe steht bevor.»

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