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Sportgeschichte zwischen Ost und West

Der Sport hat die Weltgeschichte nicht unwesentlich mitgeprägt, wie die sportgeschichtliche Forschung zeigt. Eine Tagung an der Universität Zürich widmete sich letzte Woche dem «Sport zwischen Ost und West». 
Adrian Ritter

Alpinisten bei der 1. Mai-Parade in der Sowjetunion 1936. Dem Verhältnis von Sport und Politik ging die Tagung «Sport in Ost und West» an der Universität Zürich nach.

Als der Britische Arbeitersportverband 1930 sowjetische Fussballer zu seinen «Rotsporttagen» einladen wollte, weigerte sich das Aussenministerium, Visa für die Einreise zu erteilen. Der zweite Weltkrieg veränderte dann die internationale Lage und 1945 waren die Fussballer von Dynamo Moskau bei der britischen Regierung gern gesehene Gäste und zu verschiedenen Freundschaftsspielen in Grossbritannien eingeladen.

Freundschaft und Machtbeweis

Welche Mechanismen in der Zeit von 1918 bis 1950 zwischen Sportverbänden und der Aussenpolitik von Deutschland, Grossbritannien und der Sowjetunion genau spielten, dieser Frage geht Dr. Christian Koller vom Historischen Seminar der Universität Zürich nach.

Zwischenergebnisse seiner Forschung präsentierte er an der interdisziplinären Tagung zur Sportgeschichte von letzter Woche. Sein Fazit: Die Bedeutung etwa des Fussballs für die Aussenpolitik war ambivalent. Sport konnte freundschaftliche Beziehungen zum Ausdruck bringen, aber auch dazu benutzt werden, die Stärke der eigenen Nation zu demonstrieren.

Ringkämpfer und Hooligans

15 Nachwuchsforschende aus Ost- und Westeuropa sowie den USA präsentierten an der Tagung ihre Projekte. Diese reichen von der «politischen Ausnutzung traditioneller Ringkämpfe in Bulgarien» über die «Etablierung des Alpinismus in der Sowjetunion 1925-1955» bis zu den Hooligans im heutigen Polen.

Organisiert war die Tagung vom Forum Ostmittel- und Südosteuropa (FOSE), in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der Universität Zürich. Die Tagung diente unter anderem dazu, dass Wissenschaftler aus Osteuropa ihre bisher wenig bekannten Forschungsresultate einem breiteren Publikum vorstellen konnten.

In der sportgeschichtlichen Forschung ist in den 1990er Jahren vermehrt die historische Bedeutung des Sports für die Lebenswelt der Individuen beachtet worden. Im Bild: Freibad in der Sowjetunion ca. 1952. 

Symbolisches Schachspiel

Neben Christian Koller beschäftigen sich auch Schweizer Forscher wie Stefan Rohdewald, Stefan Wiederkehr, Andreas Nievergelt und Arié Malz mit sportgeschichtlichen Fragen.

Stefan Rohdewald, derzeit an der Universität Passau tätig, untersucht den Diskurs über die Körperkultur in den 1930er Jahren anhand einer Zeitung aus der Sowjetunion.

Stefan Wiederkehr beschäftigt sich im Rahmen eines Aufenthaltes am Deutschen Historischen Institut in Warschau mit dem Phänomen, dass an internationalen Sportveranstaltungen in den 1960er Jahren «Geschlechtertests» Einzug hielten. Dazu kam es, nachdem die westliche Presse wiederholt die Weiblichkeit sozialistischer Sportlerinnen in Frage gestellt hatte, wenn diese bei Sportveranstaltungen erfolgreich waren.

Dr. Andreas Nievergelt untersucht am Deutschen Seminar der Universität Zürich das Schachspiel in Russland und der Sowjetunion und interessiert sich dabei insbesondere für das so genannte «Kunstschach». Dabei werden mit der Anordnung und der Bewegungen der Schachfiguren bildliche Darstellungen erzeugt, die auch ideologische Inhalte abbilden können: wenn auf dem Weg zum Matt der Turm übers Feld zieht, soll dies den Start einer sowjetischen Weltraumrakete und die Eroberung des Mondes durch die UdSSR symbolisieren.

Lebenswelt und Weltpolitik

Arié Malz von der Abteilung Osteuropäische Geschichte der Universität Zürich interessiert sich insbesondere für die Theorien der Sportgeschichte. Was die sportgeschichtliche Forschung anbelangt, so sieht er drei Phasen: Begonnen hat diese in Grossbritannien und den USA, wo man sich vor allem für den Wettkampfsport und die Geschichte einzelner Verbände interessierte.

Ab den 1980er Jahren entstand auch in Kontinentaleuropa eine sportgeschichtliche Forschung. Sie betrachtete den Sport im Rahmen von Theorien zur Modernisierung und untersuchte vor allem die Institutionen und Strukturen des modernen Sports. In den 1990er Jahren trat vermehrt die Bedeutung des Sports für die Lebenswelt des Individuums in den Vordergrund. Die neuesten Ansätze zeigen, dass der Sport als ein autonomes Subsystem der Gesellschaft erkannt wird – eine Tendenz, die sich gemäss Malz auch an der Tagung klar abzeichnete.

Mit «Sport zwischen Ost und West» war für die Veranstaltung eine Thema gewählt worden, welches bisher von der Forschung wenig beachtet wurde. Es bietet sich aber gemäss Malz aufgrund der Internationalität des Sport geradezu an, eine vergleichende Perspektive zu wählen und einmal der Frage nachzugehen, wie sich eigentlich der Sport auf den beiden Seiten des Eisernen Vorhangs entwickelt hat.