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«Nation-Building» in Afghanistan

Trotz der erfolgreich durchgeführten Präsidentschaftswahlen im vergangenen Herbst steht die Etablierung demokratischer Institutionen in Afghanistan noch ganz am Anfang. In einem Seminar am Freitag, 10. Juni erörtern hochrangige afghanische Politiker und Experten auf Einladung von Prof. Albert A. Stahel den Stand des «Nation-Building».
Theo von Däniken

Auch nach der Stationierung der internationalen Koalitionstruppen von 2001 ist Afghanistan noch immer zum grossen Teil Kriegsgebiet. Der Einflussbereich von Präsident Hamid Karzai, der in Kabul unter Schutz der Amerikaner regiert, reicht nicht weit über die Hauptstadt hinaus. In den Provinzen im Norden, Osten und Süden regieren einflussreiche Stammesführer oder Warlords, wie Rashid Dostom in Mazar-e-Sharif, mit eigenen Armeen und Gefolgschaften.

Informationen aus erster Hand: Die Delegation unter Leitung von Albert A. Stahel (links) informiert sich auf dem Flughafen von Bamjyan.

Informationen aus erster Hand

Umso wichtiger ist es, auch aus diesen Regionen Informationen aus erster Hand zu erhalten. Seit mehreren Jahren unternimmt Albert A. Stahel, Titularprofessor für Politische Wissenschaft insbesondere strategische Studien, am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich, so genannte «fact-finding»-Missionen, um sich über die Lage in Afghanistan zu informieren. Die jüngste Reise führte ihn und seine Mitarbeitenden Ende April, anfangs Mai in insgesamt sieben Provinzen, wo die Delegation zahlreiche Gespräche mit Gouverneuren, Bürgermeistern, Geschäftsleuten und Professoren führte.

Die Schweizer Delegation bei Vize-Präsident Khalili.

«Es fehlt an allem»

Das Leben in Afghanistan ist nach wir vor geprägt von Armut und Notstand, wie die Politologie-Studentin Claudine Nick berichtet, die an der Reise teilnahm. Dies zeige sich nicht zuletzt an der schwierigen Situation der Universitäten. «Wir versuchen seit Jahren, den Kontakt mit den Universitäten in Afghanistan aufrecht zu erhalten», so Nick. Denn es sei wichtig, dass die Hochschulen nicht gänzlich vom aktuellen Forschungsstand und dem Wissensaustausch abgeschnitten seien. Doch allein die materielle Situation der Universitäten ist konsternierend. «Es fehlt an allem: Laborgeräte, Mikroskope, Computer, Bücher, studentische Unterkünfte und vieles mehr», erklärt Nick.

Zudem sind politischer Druck und Unsicherheit allgegenwärtig. Zum Beispiel in Jalalabad, mitten im Taliban-Herzland, wo der Rektor der Universität aus Furcht vor den Folgen nicht wage, politische Aussagen zu machen. Sein Kollege in Bamjyan ist seit sechs Monaten ohne Lohn, weil das Geld fehle.

Studentinnen der Universität Bamjyan.

Konkrete Hilfe

Nick wünscht sich angesichts der Situation verstärkt konkrete Hilfe für die Universitäten. Diese in Gang zu bringen, sei auch eines der Ziele der regelmässigen Reisen von Professor Stahel nach Afghanistan. Dabei seien auch kleine Schritte wichtig. Auf der jüngsten Reise sei es zum Beispiel gelungen, mit privater Hilfe das Geld für die Publikation eines Buches aufzutreiben.

Auch die Universität Zürich will sich mit konkreter Hilfe engagieren. Eine entsprechende Zusammenarbeit, so Nick, sei mit der Universität von Herat möglich. Die Universität sollte mit Material, Literatur und eventuell sogar mit dem Austausch von Dozenten unterstützt werden. Ebenfalls in Herat engagiert sich die Universität Zürich zusammen mit der «Ostschweizer Hilfe für Afghanistan» zugunsten des Spitals.

Wichtig sei dabei auch, dass die afghanischen Universitäten als Partner ernst genommen würden. «Die Amerikaner schicken beispielsweise Literatur aus den 60-er Jahren als Hilfsgüter nach Afghanistan», sagt Nick. «Damit nimmt man die afghanischen Wissenschaftler nicht für voll.»

«Tummelfeld für NGO»

Zwar flössen viele Hilfsgelder nach Afghanistan, doch der grösste Teil davon versickere in der Zentralregierung in Kabul und erreiche die Provinzen nie, erklärt Nick. Auch die zahlreichen Aktivitäten von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) sieht Nick als problematisch an: «Afghanistan ist zu einem richtigen Tummelfeld für NGO geworden. Dadurch wird den staatlichen Institutionen das Personal entzogen, weil die Menschen bei den ausländischen NGO ein Auskommen finden.» Zudem treibe die Präsenz der NGO die Mieten und Löhne besonders in Kabul in die Höhe.

Traditionelle Strukturen prägen die Gesellschaft: Stammesführer der Provinz Ghazni.

Die desolate Situation der staatlichen Institutionen und die träge Wirtschaft sind nicht die einzigen Herausforderungen für das «Nation-Building». Dem Demokratisierungsprozess stünden auch traditionelle Vorstellungen und die Abhängigkeit von den Stammesführern hindernd im Weg. «Die Stammesführer bestimmen, wie ihre Untertanen wählen», so Nick. Zudem seien die jetzigen Institutionen von der internationalen Gemeinschaft gestützt und eingesetzt und würden von der lokalen Bevölkerung kaum akzeptiert. «Der Wille zu einer Demokratisierung ist da», sagt Nick. «Aber die Afghanen wollen darüber selber bestimmen. Sie wünschen sich eine islamische Republik, die ihren Gewohnheiten und Bräuchen Rechnung trägt, und nicht eine westlich bestimmte Demokratie.»

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